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Ein klingender Bogen

Jordi Savall, Waed Bouhassoun und ihre Ensembles verzauberten das Publikum im Pierre Boulez Saal mit Musik aus dem Mittelmeerraum und Vorderasien

Von Katharina Granzin

Im Krieg sind nicht nur die Menschen, sondern auch die Künste in ihrer Existenz bedroht. So wurden während des Bürgerkriegs in Syrien viele Menschen aus dem Land vertrieben, die zuvor eine aktive Rolle im Kulturleben gespielt hatten. Um trotz aller politischen Verwerfungen in der Region deren Musik am Leben zu halten und den grenzüberschreitenden künstlerischen Dialog nicht abreißen zu lassen, gründete der unermüdliche katalanische Gambist, Dirigent und Musikethnologe Jordi Savall im Jahr 2016 das Ensemble Orpheus 21. Darin kommen MusikerInnen zusammen, die die Erfahrung eines Lebens im unfreiwilligen Exil teilen, um gemeinsam Musik aus ihren jeweiligen Heimaten zu spielen und ihr Wissen weiterzugeben. Als Leiterin des Projekts fungiert von Beginn an die syrischstämmige Sängerin und Oud-Spielerin Waed Bouhassoun, die schon lange vor Kriegsbeginn in Frankreich lebte und sich von dort aus dafür engagiert, dass die reiche musikalische Tradition Syriens bewahrt wird. Die künstlerische Leitung von Orpheus 21 teilt sie sich mittlerweile mit ihrem Landsmann Moslem Rahal.

Moslem Rahal ist es, der mit seiner Ney, der traditionellen syrischen Flöte, das Konzert am Donnerstag im Pierre Boulez Saal einleitet, an dem Orpheus 21 mit Savall und dessen Ensemble Hespèrion XXI auftritt. Vom Bühneneingang aus gemessen einherschreitend wie ein flötender Hirte, gewinnt Rahal mit seinem Eingangssolo, dem ostsyrischen „Shaouia“, sogleich die elektrisierte Aufmerksamkeit des gesamten Saals. Den ausdrucksvollen Tonkaskaden der Ney schließen sich die Schlaginstrumente an, übernehmen einen immer aktiveren Part, bis aus dem Solo eine schwungvoll rhythmisierte Ensemblenummer geworden ist, die von der Ney abgeschlossen wird und an die sogleich, wie in einer Antwort auf das musikalisch Gesagte, Jordi Savall mit seiner Fidel das Gespräch mit einem solistischen Beitrag fortsetzt.

Es sind die ersten Takte einer melancholischen sephardischen Melodie, die ebenfalls in eine Ensemblenummer mündet und diesmal die gesamte Gruppe mit einschließt. Dieses Stück trägt den Namen „La Rosa enflorece“. Danach verliert sich allmählich die Übersicht der Zuhörerin über die im Programmheft angegebene Nummernfolge; denn die aus verschiedenen Regionen stammenden Stücke folgen fast immer attaca aufeinander, und die musikalische Dramaturgie sieht fließende Übergänge vor, die bewirken, dass sich ein großer klingender Bogen formt, dem man beim Zuhören bald nur zu gern wie in Trance folgt.

Die Abfolge von Ensemblepassagen und Soli – darunter berührender Gesang der iranischen Sängerin Nazanin Saveh und ihres syrischen Kollegen Rebal Alkhodari – hat eine narrative Anmutung, und die Wiederholung musikalischer Muster in immer neuen Variationen wirkt häufig mitreißend spontan improvisiert, was es in Teilen wohl auch ist.

Am Ende teilt Savall dem Publikum mit, dass es ihn seltsam berühre, fröhliche Musik zu spielen, während zur selben Zeit Menschen in Kriegen sterben. Er widme ihnen das Konzert.

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