BVG streikt für Lohnverzicht

Nichts geht mehr: BVG-Beschäftigte legen durch Warnstreik U-Bahnen, Busse und Trams lahm. Eine Million Berliner sind betroffen. Im Tarifkonflikt droht Gewerkschaft gar mit unbefristetem Ausstand

von ULRICH SCHULTE

Auch auf die Gefahr hin, Ihnen jetzt das Frühstück zu verderben: Falls Sie gleich per U-Bahn, Tram oder Bus zur Arbeit wollen, sollten sie im Büro anrufen. Denn die rund 11.500 BVG-Beschäftigten streiken. Seit Betriebsbeginn, also 3 Uhr heute Morgen, stehen sämtliche Fahrzeuge still in den Betriebshöfen, die U-Bahnhöfe sind verwaist. Mit dem Warnstreik, der bis 10 Uhr dauert, macht Ver.di eine Drohung wahr, die sie im Tarifkonflikt mit dem Senat in den letzten Wochen mehrmals angekündigt hat. Und das dicke Ende könnte noch folgen: Die Urabstimmung sei vorbereitet. „Wenn es bis zu den Sommerferien keine Einigung gibt, können wir den unbefristeten Streik ausrufen“, sagt Frank Bäsler, BVG-Spezialist bei Ver.di.

Rund eine Million BerlinerInnen müssen heute Vormittag also auf anderen Wegen zur Arbeit oder zum Einkauf kommen, so viele sind – bei täglich 2,5 Millionen BVG-Kunden – im morgendlichen Berufsverkehr unterwegs. Erst gegen 11 Uhr werden Busse und Bahnen wieder planmäßig fahren, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz.

Der Grund für den Arbeitskampf ist ein Tarifstreit, der ein Unikum darstellt. Die BVGler streiken nämlich dafür, dass sie auf Lohn verzichten dürfen. Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) und Ver.di haben sich im Januar auf einen Spartentarifvertrag für den Nahverkehr geeinigt. Demnach müssten BVG-Altbeschäftigte auf 8 Prozent Lohn verzichten, dafür aber weniger arbeiten. Das Urlaubsgeld fiele weg, Lohnerhöhungen würden bis Ende 2007 gestrichen. Ein neu eingestellter Busfahrer müsste mit über einem Drittel weniger Gehalt auskommen. „Der Vertrag befindet sich nachweislich auf dem Niveau von vergleichbaren Verkehrsunternehmen“, so Ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen.

Im Gegenzug fordern die Arbeitnehmervertreter unter anderem vom Senat, betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen und die BVG zehn Jahre vor Wettbewerb zu schützen. So soll das Land zum Beispiel die Rechtsform Anstalt öffentlichen Rechts nicht antasten und die Konzession für den Nahverkehr wie bisher in vollem Umfang an die BVG geben.

Das lehnen die zuständigen Senatoren ab, an der Spitze Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Ihr Kernargument ist dabei, dass EU-Recht das Land ab 2008 zwingt, die Vergabe von Verkehrsleistungen auszuschreiben. Damit die BVG den Zuschlag bekommt, muss sie andere Bewerber wie Connex ausstechen.

Sarrazin argumentiert, die Verkehrsbetriebe beschäftigten 3.000 Mitarbeiter mehr als notwendig, im Vergleich zu gut geführten Unternehmen gäben sie 150 Millionen Euro pro Jahr mehr für Personal aus. „Der Senat kann nur einem Vertrag zustimmen, der dazu beiträgt, die Wettbewerbsfähigkeit ab 2008 zu erreichen.“ Gegenüber dem BVG-Vorstand konkretisierte Sarrazin dies. Die Gehälter müssten 12 Prozent runter, ein Verzicht auf den Rechtsformwechsel bis 2015 sei inakzeptabel, heißt es in einem Brief des KAV.

Unter den Verkehrsfachleuten löste der BVG-Streik gemischte Reaktionen aus (siehe Text rechts): „Es ist traurig, dass ein Streit, der durch völlig unbewegliche Positionen gekennzeichnet ist, auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen wird“, sagte Matthias Horth vom Fahrgastverband IGEB. Den letzten Nebensatz übernahm wortgleich der Nahverkehrsexperte und BVG-Vielfahrer Klaus Wowereit (SPD) – allerdings verbunden mit einem Vorwurf an Ver.di.