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Archiv-Artikel

Stromkonzerne warten auf die Wahl

Der Stromwirtschaft kommt eine vorgezogene Bundestagswahl sehr gelegen: Diese schafft ein Jahr früher Klarheit überden Fortgang des Atomausstiegs und den künftigen Energiemix. Andere Unsicherheiten für die Branche aber bleiben

AUS FREIBURGBERNWARD JANZING

Unabhängig davon, wie eine vorgezogene Bundestagswahl am Ende ausgeht: Der Stromwirtschaft kommt ein früherer Urnengang sehr gelegen. Denn so wird die Branche ein Jahr eher mittelfristige Planungssicherheit erhalten. Offiziell allerdings wollten Unternehmen und Lobbyisten die Neuwahlen gestern trotzdem nicht kommentieren.

Die Stromwirtschaft steht vor schwierigen Entscheidungen: In den nächsten Jahren werden für den Kraftwerksbau in Deutschland Investitionen in hohen zweistelligen Milliardenbeträgen notwendig. Nicht nur für die möglicherweise abzuschaltenden AKWs muss Ersatz geschaffen werden, sondern auch für veraltete Kohlekraftwerke, von denen viele in 15 Jahren vom Netz gehen. In der Branche ist von 40.000 Megawatt Neubau bis 2020 die Rede.

Mit der vorgezogenen Bundestagswahl wird auch ein Jahr früher klar sein, ob der Atomausstieg Bestand hat. So unumkehrbar, wie vom Bundesumweltministerium dargestellt, ist der Ausstieg nämlich nicht: Eine schlichte Gesetzesänderung kann ihn zunichte machen. Die Zukunft der 17 noch bestehenden Anlagen liegt allein in den Händen künftiger Bundesregierungen.

Nicht die einzige Unwägbarkeit der Strombranche: Es fehlen etwa mittelfristige Vereinbarungen zum Emissionshandel. Bis 2007 sind die Bedingungen im Rahmen des Kioto-Protokolls zwar festgezurrt und bis 2012 gibt es immerhin grobe Anhaltspunkte, doch was ab 2013 kommt, ist völlig offen. Entsprechend weiß niemand, was künftig die Emission einer Tonne Kohlendioxid kosten wird – für ein Unternehmen, das heute zwischen dem Bau von Kohle- oder Gaskraftwerken entscheiden muss, eine unbefriedigende Situation. Zumal der Preis der Emissionsrechte mit zeitweise über 17 Euro je Tonne in den vergangenen Wochen längst gezeigt hat, dass der Emissionshandel sehr wirkungsvoll sein kann.

Darüber hinaus gibt es die generellen Preisunsicherheiten bei den einzelnen Energieträgern Kohle, Gas und Öl. Und schließlich ist auch die grundsätzliche Struktur der künftigen Stromwirtschaft eine Unwägbarkeit: Möglicherweise steht die Branche vor einer enormen Dezentralisierung. Mit einer Vielzahl von Blockheizkraftwerken in privaten Kellern könnte theoretisch ein Großteil des anstehenden Investitionsvolumens durch Häuslebauer erfolgen: Wenn 30 Millionen deutsche Haushalte in Zukunft beim Heizen zugleich Strom erzeugen sollten, kämen bei nur einem Kilowatt je Haushalt 30.000 Megawatt an Kraftwerkskapazität zusammen.

Offen ist auch, wie schnell es mit den erneuerbaren Energien weitergeht: Die deutsche Energie-Agentur schätzt, dass in den nächsten zehn Jahren in Deutschland weitere 20.000 Megawatt Windkraft – überwiegend offshore – errichtet werden. Auch das sind Leistungen, die den Aufbau des weiteren Kraftwerksparks nicht unberührt lassen würden.

Als letzter Faktor kommt die Höhe des Stromverbrauchs hinzu, die schwer zu prognostizieren ist. Wenn es tatsächlich gelänge, erstmals in der Stromgeschichte durch Effizienzverbesserungen den Verbrauch zu senken, hätte auch das erhebliche Folgen für die Branche. Das Problem der Stromkonzerne: Sie müssen in Kürze über Milliardeninvestitionen für 40 Jahre entscheiden, während sie noch nicht einmal die Entwicklung des Energiemarktes in den nächsten zehn Jahren überblicken können. So unsicher die Rahmenbedingungen in der Stromwirtschaft auch sind: Die Unternehmen können mit ihren Entscheidungen nicht beliebig warten. So hieß es zum Beispiel bislang bei der EnBW, sie werde „zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007“ bestimmen, wo neue Kraftwerkskapazitäten aufgebaut und welcher Art diese Kraftwerke sein werden. Es ist die Rede von „zwei größeren Kraftwerksinvestitionen“. Mit einem vorgezogenen Wahltermin ist nun deutlicher denn je, dass die Branche die Bundestagswahl noch abwarten wird. Ohnehin war es ein offenes Geheimnis, dass die Branche alle Investitionsentscheidungen möglichst erst nach der Wahl fällen wird. Schließlich stehen in der kommenden Wahlperiode gleich vier große Atomkraftwerke vor dem Ende – oder eben auch nicht.