: Hartz IV-Reform wird immer teurer
Langzeitarbeitslose kosten den Bundeshaushalt erheblich mehr Geld als erwartet. Schon acht Milliarden Euro wurden verbraten. Überraschend viele junge Erwachsene, ehemalige Sozialhilfeempfänger und Selbstständige stellen einen Antrag
VON BARBARA DRIBBUSCH
Das Arbeitslosengeld II wurde oft geschmäht als letzte Auffangstation im sozialen Absturz. Doch jetzt mehren sich die Anzeichen, dass viele Menschen die Leistung als eine Art Grundsicherung betrachten, derer man sich nicht schämen muss. „Die Hemmschwelle, einen Antrag auf Alg II auszufüllen, ist niedriger als die Hemmschwelle früher war, zum Sozialamt zu gehen und Sozialhilfe zu beantragen“, sagt Klaus Pohl, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Bis Ende April verschlang das Alg II bereits 8,04 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, das geht aus dem gestern veröffentlichten Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums hervor. Für das Gesamtjahr sind im Haushalt von Finanzminister Hans Eichel (SPD) aber nur 14,6 Milliarden Euro für das Alg II vorgesehen. Rechnet man die 8 Milliarden im abgelaufenen Viermonatszeitraum auf das Jahr hoch, ergeben sich Gesamtkosten von 24 Milliarden, also Mehrausgaben von 10 Milliarden Euro.
Ursache für die hohen Ausgaben für Hartz IV ist die unerwartet hohe Zahl der Empfänger. „Da tauchen Leute auf, die vorher in keiner Statistik standen“, sagt Pohl. Im April bezogen 4.667.000 Millionen Menschen das Arbeitslosengeld II. Davon waren 2.819.000 arbeitslos gemeldet. Die restlichen 1,9 Millionen erhielten zwar das Alg II, waren aber nicht als arbeitslos registriert. Darunter sind Mütter mit kleinen Kindern, die dem Jobmarkt nicht zur Verfügung stehen, Schüler, Leute in Ein-Euro-Jobs oder Menschen, die zusätzlich zu einem Arbeitslohn die aufstockende Leistung bekommen.
Im Jahresdurchschnitt hatte die Regierung jedoch nur mit 3,4 Millionen Arbeitslosengeld-II-Beziehern gerechnet. Die unerwartet hohe Zunahme ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sich mehr erwerbsfähige ehemalige Sozialhilfeempfänger bei den Arbeitsagenturen meldeten als erwartet. Auch stellten viele junge Menschen einen Antrag auf Arbeitslosengeld II, die zuvor von ihren Eltern mit unterhalten wurden, erklärte Klaus Pohl, Sprecher der BA. Nach dem alten Sozialhilferecht griffen die Sozialämter auf die Eltern zurück, wenn erwachsene Kinder Sozialhilfe beantragten. Dies ist bei der Gewährung des Arbeitslosengeldes II nicht der Fall.
Nach einer Statistik des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) stieg die Zahl der Arbeitslosen unter 25 Jahren im Januar dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahresmonat sprunghaft um 135.000 auf 635.000 Personen an.
Auch der Anteil der Selbstständigen, die sich arbeitslos melden, ist leicht gestiegen, erreicht aber dennoch nur knapp zwei Prozent der Zugänge an Arbeitslosen, so die Statistik der BA. Selbstständige bekommen nach den Hartz-IV-Gesetzen auch das Alg II. Früher hatten sie im Notfall nur einen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Freibeträge für Vermögen und Besitzstand waren dort erheblich niedriger als im Alg II. Viele in Not geratene Selbstständige scheuten den Weg zum Sozialamt.