piwik no script img

Archiv-Artikel

Heute glücklich, bald grausam

Als Oppositionsführerin reichte es Angela Merkel, nur schneidende Kritik zu üben. Als Kanzlerin müsste sie zu schmerzhaften Einschnitten bereit sein

AUS BERLIN BETTINA GAUS

In zumindest einer Hinsicht bedeutet die Ankündigung vorgezogener Neuwahlen eine gute Nachricht: Die quälende Kandidatenkür der Union ist abgekürzt worden. Keine koketten Interviews mehr zu diesem Thema, kein Augurenlächeln, keine Zeitverschwendung mit einer Frage, deren Antwort ohnehin längst bekannt ist. Angela Merkel wird die Spitzenkandidatin der Opposition. Sie will Kanzlerin werden.

Interessant wird es erst, sobald diese Selbstverständlichkeit offiziell bestätigt ist. Voraussichtlich also am kommenden Montag, nach einer gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU. Danach geht es nicht mehr um politischen Klatsch, danach wird es konkret. Kann Angela Merkel gewinnen? Gelingt es ihr, die Unzufriedenen, die Konservativen, die Wechselwähler und die Nichtwähler zu mobilisieren? Und wenn sie das schafft: Wird sie das Amt ausfüllen?

Vieles – nicht nur das Ergebnis aller Meinungsumfragen – spricht derzeit dafür, dass sich die CDU-Vorsitzende am Wahlabend als Siegerin feiern lassen darf. Protestantisch, geschieden, kinderlos, ostdeutsch: Interne Gegner von Angela Merkel haben immer wieder auf diese biografischen Merkmale hingewiesen, um damit zu belegen, dass ihr der Stallgeruch fehle. Dass sie also nicht fest genug in der Partei verwurzelt sei, um die Union an die Macht zu bringen.

Diese Sichtweise zeugt von einem angestaubten Bild der politischen Landschaft in Deutschland. Als ob es 15 Jahre nach der Vereinigung ein vordringliches Ziel sein müsse, einen möglichst intensiven Stallgeruch auszuströmen, der in der westdeutschen Nachkriegszeit entstanden ist. Das Gegenteil ist richtig. Gerade für diejenigen, die sich keinem Lager mehr zugehörig fühlen, dürfte Angela Merkel derzeit attraktiv sein. Wirkt sie doch so, als verkörpere sie in ihrer Person gleichzeitig all das, was objektiv unvereinbar zu sein scheint: die Moderne und die alten Werte.

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, der über einen sicheren Instinkt verfügt, hat sich stets darum bemüht, diesen Eindruck zu erwecken. Aber ein Regierungschef kann nicht dauerhaft unverbindlich sein, schon gar nicht in schweren Zeiten. Wenn er einen verfassungsgemäßen Haushalt hinbekommen und zugleich den sozialen Frieden einigermaßen wahren will, dann muss er sich entscheiden.

Für Angela Merkel werden die Schwierigkeiten deshalb vermutlich in der Stunde ihres vermeintlich größten Triumphes beginnen. Nach dem Wahlsieg nämlich. Dann wird auch sie sich entscheiden müssen. Bislang hat sie das – so weit irgend möglich – vermieden. Beispiel Außenpolitik: Niemals hat sie offen gefordert, Bundeswehrsoldaten in den Irak zu schicken. Stattdessen betonte sie den Wert des transatlantischen Bündnisses, übte vernichtende Kritik an der rot-grünen Regierung, erzwang die Solidarität zögerlicher Parteifreunde. Und hielt sich im Übrigen bedeckt. Wäre sie Bundeskanzlerin gewesen, dann hätte diese Taktik nicht gereicht.

Die deutsche Bevölkerung hat derzeit andere Sorgen als die Außenpolitik. Aber wenn sie die Union wählt, dann wählt sie auch innenpolitisch eine Wundertüte. Noch weiß man nicht so recht, was die Opposition für den Fall der Machtübernahme eigentlich plant. Eine große Steuerreform und die Rückkehr zur Kernenergie, gewiss, auch eine neue Rentenformel, eine Gesundheitspauschale und die Einschränkung des Kündigungsschutzes. Der Flächentarifvertrag soll weg, und abgeschafft werden sollen auch die Subventionen für Steinkohle. Und weiter?

Unabhängig von politischen Präferenzen steht fest: Diese Maßnahmen werden nicht reichen, um den Haushalt zu konsolidieren und außerdem noch Geld übrig zu haben für Investitionen in die Zukunft. Als Oppositionsführerin kann man mit schneidender Kritik durchkommen. Als Regierungschefin muss man grausam sein.

Im unmittelbaren politischen Umfeld hat Angela Merkel durchaus bewiesen, dass sie rücksichtslos sein kann. Sie hatte in den letzten Jahren keine Angst davor, sich Feinde zu machen – wie einflussreich diese Feinde auch immer zu sein schienen. Friedrich Merz, Wolfgang Schäuble, Volker Rühe, sogar Helmut Kohl: die Liste derjenigen ließe sich verlängern, die in der Union nach wie vor hohes Ansehen genießen und gute Gründe haben, ihre Parteivorsitzende zu verabscheuen.

Hat Angela Merkel es vermocht, vergleichbar wichtige Verbündete für sich zu gewinnen? Wie man’s nimmt. Mindestens zwei Ministerpräsidenten – der saarländische Peter Müller und der bayerische Edmund Stoiber – hätten wohl nichts dagegen, als Mitglieder ihres Schattenkabinetts benannt zu werden. Der eine, weil er noch etwas werden will, und der andere, weil er nichts sonst mehr werden kann.

Und was ist mit den anderen regierenden Hoffnungsträgern der Union? Mit Christian Wulff, Roland Koch und Jürgen Rüttgers? Die meisten suchen derzeit Deckung. Fest steht dennoch: Gegen Rüttgers – der im Falle einer Niederlage in Nordrhein-Westfalen erledigt gewesen wäre – geht nun nichts mehr in der Union. Er steht für das westliche Erfolgsmodell des rheinischen Kapitalismus, ebenso wie Stoiber. Auch wenn der vermutlich eine andere Floskel dafür bevorzugte.

Was beide eint: die Ablehnung neoliberaler Positionen. Das dürfte zum Problem für Angela Merkel werden, vor allem mit der FDP als Partner. Es sieht so aus, als ob Flügelkämpfe künftig eher innerhalb einer Koalition und nicht länger zwischen Regierung und Opposition ausgetragen würden.

In der Vergangenheit gab es Konservative, die das – scheinbar – Unmögliche erreicht haben. Also Unvereinbares versöhnten. Helmut Kohl und Margret Thatcher beispielsweise. Warum sollte Angela Merkel das nicht gelingen? Weil sowohl Kohl wie Thatcher prinzipielle Überzeugungen hatten, für die sie auch eine Abwahl in Kauf zu nehmen bereit waren. Eine solche Überzeugung ist bei Angela Merkel – noch? – nicht zu erkennen. Wenn sich viele Leute über eine Regierung ärgern, dann kann auch ein Besenstiel gewählt werden. Um an der Macht zu bleiben, muss der aber irgendwann sagen, wo er eigentlich fegen möchte.