: „Eine Blockadehaltung bringt nichts“
GELD Der Finanzminister will doch keine Finanztransaktionssteuer einführen. Unverständlich findet das der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. Die Steuer nütze auch in einzelnen Ländern etwas
■ ist einer der bekanntesten österreichischen Ökonomen. Er forscht am Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien zu Finanzmärkten und ihren Folgen für die Realwirtschaft.
taz: Herr Schulmeister, Finanzminister Schäuble will die Finanztransaktionssteuer nicht einführen – weil zu wenig europäische Staaten mitmachen würden. Was halten Sie davon?
Stephan Schulmeister: Ich bin fassungslos. Die EU-Kommission hat extra ein Konzept erarbeitet, wie die Finanztransaktionssteuer auch in einzelnen Ländern eingeführt werden kann. Diese 1.300 Seiten sind überhaupt nur entstanden, weil Frankreich und Deutschland Druck gemacht haben. Und jetzt kommt diese Kehrtwende von Schäuble. Ich stehe vor einem Rätsel.
In Deutschland haben viele die Sorge, dass die Bankgeschäfte nach London abwandern, wenn die Finanztransaktionssteuer nur von Frankreich und Deutschland eingeführt wird.
Genau deswegen gibt es doch das EU-Konzept, damit dies nicht passiert. Es sieht vor, dass Deutschland alle Finanztransaktionen deutscher Unternehmen besteuern kann – egal wo diese stattfinden. Wenn also eine Tochter der Deutschen Bank in London sitzt und dort mit Derivaten handelt, dann würde auch dort die deutsche Finanztransaktionssteuer anfallen.
Das würde aber voraussetzen, dass die Briten mitteilen, welche Finanzgeschäfte von deutschen Banken in London getätigt werden. Ist damit wirklich zu rechnen?
Rechtlich wären die Briten dazu verpflichtet, weil es schon jetzt eine Steuerrichtlinie gibt, die von jedem EU-Land verlangt, dass es relevante Informationen weiterreicht. Zugegeben: Wahrscheinlich würden sich die Briten nicht daran halten.
Aber was würde die Finanztransaktionssteuer dann noch bringen?
Eine Blockadehaltung würde den Briten gar nichts nutzen, denn die rechtliche Unsicherheit wäre für die deutschen Firmen so groß, dass sie ihre Finanzgeschäfte dann eher in Deutschland abwickeln würden. Es bringt den Banken ja nichts, wenn sie die ganze Zeit damit rechnen müssen, dass sie vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden könnten – und also Millionen an Nachzahlungen drohen.
Aber es gäbe doch noch einen einfachen Ausweg für die deutschen Banken: Sie könnten offiziell nach London umziehen.
Das ist extrem unwahrscheinlich, wenn man den Steuersatz sehr niedrig ansetzt – und zum Beispiel nicht mehr als 0,01 Prozent pro Finanzgeschäft verlangt. Dafür ruiniert die Deutsche Bank nicht ihr Image, das ja schon im Namen angelegt ist: nämlich die führende Bank in Deutschland zu sein.
Wenn es nicht die Angst ist, Finanzgeschäfte nach London zu verlieren: Wie erklären Sie dann, dass sich Schäuble plötzlich von der Finanztransaktionssteuer verabschiedet?
Für die Union war es immer nur Wahlkampftaktik, eine Finanztransaktionssteuer zu fordern. Ich war im November bei der Anhörung im Deutschen Bundestag zu dem Thema. Mich hat schon damals stutzig gemacht, dass CDU und CSU vor allem Experten eingeladen hatten, die gegen eine Finanztransaktionssteuer waren.INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN