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Osman Engin Alles getürktDer Ein-Mann-Marathon

Spät am Nachmittag laufe ich völlig geschafft von der Sonntagsschicht in Halle 4 nach Hause zurück. Ich bin total kaputt. Fast so kaputt wie die deutsch-türkischen Beziehungen. Dass mein Ford-Transit ausgerechnet heute streikt und mich zu Fuß nach Hause schickt, das werde ich ihm nie verzeihen. Mein kommunistischer Sohn Mehmet hat sehr schlechten Einfluss auf ihn.

Meine Frau Eminanim hat wohl schon Recht: Ich sollte was für meine Fitness tun, da ist ein bisschen Laufen nicht verkehrt. Verwundert sehe ich, dass überall die Straßen für Autos abgesperrt sind. Die ganze Stadt. Nicht nur unser Karnickelweg. Was für einen Hellseher doch mein lieber Ford-Transit ist. Man sollte nicht jeden Streikenden gleich als nichtsnutzigen Kommunisten verdammen. Der hat wohl instinktiv gespürt, dass die ganze Gegend abgesperrt worden war.

Mitten auf der Straße kommt mir plötzlich ein sehr dicker Mann mit hochrotem Kopf entgegen getorkelt. Es gibt wohl noch unsportlichere Zeitgenossen als ich. Er kann sich kaum noch auf den Beinen halten und schwankt sehr bedrohlich hin und her. Ihm folgt mit fünf Metern Abstand, im Schritttempo, ein vollbesetzter Polizeibus. Dicht dahinter zwei Notarztwagen. Bei Allah, erst jetzt wird mir die tragische Reichweite der Situation bewusst! Dieser stöhnende, schwankende und wie ein Wasserfall schwitzende Mann ist ein Selbstmordattentäter!

Er ist rund wie eine Regentonne, weil er unter dem T-Shirt einen dicken Sprengstoffgürtel trägt! Kein Wunder, dass ihm niemand zu nahekommt. Nicht mal die Polizei. Alle warten nur noch darauf, dass er endlich in die Luft fliegt.Ich wittere plötzlich die einmalige Chance, in ganz Deutschland als der große Held, der den Selbstmordattentäter gestoppt hat, gefeiert zu werden und rolle ihm todesmutig meine leere Thermoskanne zwischen die Beine. Er kommt leicht ins Stolpern, aber fängt sich leider wieder.

„Hey, sind Sie verrückt geworden?“, brüllt mich ein Polizist an, der ihn in drei Meter Abstand zu Fuß verfolgt. „Warum torkelt dieser Terrorist denn so bedrohlich? Habt ihr ihn angeschossen?“, frage ich. –„Guter Witz. Aber dieser Marathon-Läufer terrorisiert uns tatsächlich seit Stunden“, lacht er. –„Wie bitte? Das ist ein Marathon-Läufer? Wo ist denn hier ein Marathon?“, frage ich verwirrt. –„Da haben Sie schon wieder Recht. Der eigentliche Marathon-Lauf ist schon seit drei Stunden zu Ende. Das ist hier der letzte Mohikaner. Wegen ihm dürfen wir die Absperrungen nicht wegräumen und müssen warten, bis er sich über die Ziellinie rettet.“

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter www.youtube.com/@osmanengin1916. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

„Mit mehreren Notarztwagen und einer riesigen Polizeieskorte hinter sich kann ja jeder Marathon laufen – sogar ich“, jubele ich und renne nach Hause. Überhole dabei locker den Marathon-Man. „Eminanim, Eminanim, du hast ja so Recht. Ich will ab sofort Sport machen. Ich werde Marathon-Läufer. Noch heute fange ich mit dem Training an!“ –„Das ist ja toll, Osman. Da hast du aber einiges zu tun“, freut sich Eminanim. –„Das stimmt! Jetzt stell bitte alles Essbare auf den Tisch. Ich muss nämlich vorher 50 Kilo zunehmen.“

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