: Wenn er nicht zum Götzen wird
Dass in Deutschland der Reichtum an die Stelle Gottes getreten ist, kann Margot Käßmann nicht gefallen. Sie schätzt die Politik mit dem Einkaufskorb. Sich nicht alles bieten lassen. Aber Heinz Rudolf Kunze hört die Landesbischöfin dann doch ganz gern
Interview Philipp Gessler
taz: Das Motto des Kirchentags ist: „Wenn dich dein Kind morgen fragt …“ – welche Fragen Ihrer vier Töchter haben Sie besonders in Erinnerung?
Margot Käßmann: Was mir besonders in Erinnerung geblieben sind waren existenzielle Fragen, etwa als der Patenonkel meiner jüngsten Tochter gestorben ist: „Was passiert beim Tod?“ Das ist für viele junge Leute eine elementare Frage – und das Christentum muss seine Antwort, dass nämlich der Tod nicht das Ende, sondern ein Schritt auf einem Weg zu Gott ist, viel basisnäher, wenn Sie wollen: kindlicher sagen.
Ist es Ihnen damals schwer gefallen, diese Antwort zu geben?
Schwer gefallen nicht, aber es ist keine Antwort, die Sie mal flapsig über den Mittagstisch werfen, sondern da ist es schon gut und ungeheuer wichtig, Zeit zu haben, auch über diese Fragen zu reden. Das fehlt vielen Kindern heute: Zeit, diese Fragen des eigenen Lebens, der Sinnfindung zu besprechen.
Hatten Sie manchmal für die Fragen Ihrer Kinder keine Zeit – Sie waren ja sehr früh kirchlich sehr beschäftigt?
Ich glaube, für die wichtigen Dinge war immer Zeit da – aber das müssten Sie vielleicht meine Kinder fragen.
Sie haben einmal gesagt, das Leben auf dem Dorf mit drei Kindern hätten Sie „als richtige Sackgasse empfunden“ – nicht sehr charmant für ihre Kinder.
Frauen wird das ja sehr gern vorgeworfen, der „Schlechtes-Gewissen-Vorwurf“. Sie soll ganz glücklich sein, nach einer akademischen Ausbildung dann ihr ganzes Lebensglück drei oder später vier Kindern widmen zu dürfen. Ich fühle mich überhaupt nicht als Rabenmutter, wenn ich sage, dass ich immer beides wollte: Kinder und Beruf. Ich hätte es ohne Kinder – nur Beruf oder nur Kinder – kein Beruf, beides als eine gewisse Sackgasse empfunden.
Die ursprüngliche Übersetzung des Kirchentagsmottos im hebräischen Original wäre eigentlich – gerade weil es hier im jüdischen Verständnis um das Einhalten von Gesetzen geht: „Wenn dich dein Sohn fragt …“. War das „Sohn“ dem Kirchentag aber nicht politically correct genug?
Wenn wir uns den Text und den Kontext anschauen, ist es weniger der Sohn oder der junge Mann, der fragt, sondern die jungen Generation, die fragt: „Was haben euch eure Regeln bedeutet, haben die euch Orientierung gegeben?“ Genau das fehlt uns heute, dass zwischen junger und alter Generation erzählt wird, wo Menschen Halt und Orientierung gefunden haben. Dafür brauchen wir mehr Zeit.
Ist das ein vielleicht typisch deutsches Problem, weil in den 50er Jahren so viel Schweigen am Mittagstisch war über die Vergangenheit der Eltern?
Es mag schon sein, dass dieses Schweigen über die eigene Verantwortung in der Zeit des Nationalsozialismus dazu geführt hat, dass es zwischen den Generationen so wenig Gesprächskultur gibt. Aber erstaunlich ist in den neuesten Umfragen schon, dass die Eltern heute den Kindern heute viel näher sind, als sie das früher waren. Das ist ja auch ein positives Zeichen. Wir wollen schließlich nicht alles in eine große Depression reinreden.
Aber das machen wir Deutschen doch so gern!
Ja, furchtbar gern! Ich war kürzlich in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Erde. Da habe ich Sterbende auf der Straße gesehen – trotzdem ist das ein Land mit einer Zukunftshoffnung. Was in Deutschland diese Verliebtheit in die Depression ausmacht, weiß ich wirklich nicht.
Sie haben zum Thema Armut und Reichtum als Anfrage an die Kirche promoviert: Hat die Generationen-Gerechtigkeit, die etwa der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber immer betont, nicht fast automatisch zur Folge, dass wir uns einschränken müssen zugunsten unserer Kinder? Und hieße das nicht ganz konkret in heutige Politik übersetzt: Die Kirche muss für Hartz IV sein?
Der Schluss geht mir jetzt zu schnell. Es ist richtig, wir müssen, wenn wir in Zukunft investieren wollen, in Kinder und Jugendliche investieren, was viel zu wenig passiert.
Wir müssen uns aber einschränken um unserer Kinder willen, oder?
Ja, aber ist einschränken eigentlich so wahnsinnig schlimm? Dieses Land hat sei 1945 immer mehr gehabt, es ist immer mehr geworden. Aber es ist nicht glücklicher geworden, das ist doch das Verrückte.
Das Problem ist: Wer muss sich einschränken?
Das ist tatsächlich die große Frage. Gibt es auch eine Bereitschaft zum Miteinander – oder nur eine Egomanie, dass jeder rafft und festhält, was er kann? Es ist klar, dass es eine Verantwortung der Starken für die Schwachen gibt. Was mich umtreibt: Nur noch 38 Prozent der Bevölkerung über 50 Jahre ist erwerbstätig. Jetzt wird dauernd über ein soziales Pflichtjahre für junge Leute geredet – warum gibt es das nicht für Menschen über 50?
Vieles, was im Zuge einer neoliberalen Wirtschaftspolitik gemacht wird, trifft gerade die, die sich nicht einschränken können, oder?
Das ist ein Problem für unser Land, dass die Schere auseinander geht zwischen den Leuten am Existenzminimum, die am 20. aufgebraucht haben, was sie für den Monat brauchen, und denen, die sich drei Mal im Jahr einen Urlaub leisten können. Auch die Lebenswelten fallen immer weiter auseinander. Das kann für das soziale Miteinander im Land nicht gut sein. Manche Familien wissen einfach nicht mehr, wie es weiter gehen soll.
„Grundsätzlich hat die Bibel nichts gegen Reichtum“, haben Sie einmal gesagt. Aber andererseits gibt es das Jesuswort der Seligsprechung der Armen und den Satz: „Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel.“ Gibt es nicht tatsächlich auch persönlichen Reichtum, der pervers ist?
Grundsätzlich hat die Bibel tatsächlich nichts gegen Reichtum, wenn er nicht zum Götzen wird, der angebetet wird. Bei uns tritt tatsächlich Reichtum an die Stelle Gottes: Bist du reich, kaufst du dir einen Busen wie Paris Hilton, dann macht dein Leben Sinn. Ein perverses Beispiel sind für mich die Leute, die jede Stunde wissen wollen, wie es der Börse geht – sie wollen nicht jede Stunde wissen, wie es den Menschen geht. Wer hat eigentlich in diesem Land so viele Aktien, dass ihn das permanent interessieren muss?
Wie deuten Sie diesen Satz: „Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr …“?
Ich glaube schon, dass es für Reiche viel mehr Versuchungen gibt, nur noch für sich selbst zu leben. Und sich abzukoppeln vom Rest der Welt und dem, was ich an Elend und Armut sehe.
Muss die Kirche protestieren, wenn deutsche Unternehmen Milliarden-Gewinne machen und gleichzeitig Arbeitsplätze massiv abbauen?
Ja.
Muss sie dann zum Boykott aufrufen, etwa der Deutschen Bank?
Ich denke, dass Politik mit dem Einkaufskorb wichtig ist. Konsumenten haben – siehe die Aktion „Kauft keine Früchte der Apartheid!“ – Macht.
Die Kirche könnte dazu aufrufen, die Konten bei der Deutschen Bank aufzulösen und zu einer anderen Bank zu gehen.
Aber ob das weiter führt? Zuerst sollte sie mit Ackermann & Co. sprechen und deutlich machen: Die Werte, von denen Sie sprechen, sind keine Werte, auf die sich ein Miteinander in der Welt aufbauen lassen. Und Victoryzeichen dieser Art sind zynisch.
Würden Sie dazu aufrufen?
Ich habe jedenfalls mein Konto nicht bei der Deutschen Bank. Allerdings: Auch die Kirche muss ihr Geld anlegen. Da bin ich für klare Kriterien, wie sie der Ökumenische Rat formuliert hat: Wo Geld etwa durch Waffenhandel verdient wird, kann die Kirche ihr Geld nicht anlegen. Und: Wenn alle immer nur billig kaufen, müssen sie sich nicht wundern, dass die Arbeitsplätze auch immer billiger werden.
Das Konservative scheint derzeit in Glaubensdingen – siehe den Hype beim Tod des alten und der Wahl des neuen Papstes – wieder zu kommen: Muss auch die evangelische Kirche den Laden strenger zusammenhalten, strikter auch mal gegen den Zeitgeist stehen? Der österreichische katholische Theologe Paul Zulehner hat es in der taz einmal polemisch so ausgedrückt: „Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, ist bald geschieden.“
Ich ärgere mich oft über den lapidaren Zeitgeist-Vorwurf, weil es doch um die Liebe zu den Menschen geht. Dann müsste Jesus auch Zeitgeist-Versessenheit vorgeworfen werden, weil er den einzelnen Menschen in seiner Lebenssituation angesehen hat und sie so angesehene Personen wurden – auch die Ehebrecherin, auch der Ausländer. Selbst Judas hat er so angesehen. Aber ich erhalte solche Zeitgeist-Beschimpfungen derzeit viel per e-mail.
Zulehner hat präzisiert, dass sich die protestantischen Kirchen zu sehr der Moderne der 70er Jahre verschrieben hätten und nun auch an der Krise dieser Moderne litten – ist da was dran?
Dem würde ich in gewissen Umfang zustimmen, weil wir viel zu viel über die Folgen des christlichen Glaubens geredet haben – und dabei vergessen haben, was eigentlich der Glaube ist. Wenn die Menschen nicht mehr wissen, wer Jesus Christus war und was Ostern bedeutet, dann kann ich nicht von den Konsequenzen und der Diskursivität des christlichen Glaubens reden.
Zum Abschluss: Hören Sie sich den offiziellen Song des Kirchentags von Heinz Rudolf Kunze freiwillig an?
Ich höre ihn mir freiwillig an, ich kann ihn gut hören. Es gibt daran viel Kritik – aber das macht nichts: Auseinandersetzung gehört zum Protestantismus.
Am Donnerstag, 26. Mai, gibt es von 9.30 bis 10.30 Uhr Bibelarbeit mit Margot Käßmann in der Themenhalle Globalisierung, Halle 2, Messegelände. Gleichfalls Donnerstag diskutiert sie von 11 bis 13 Uhr u.a. mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries über „Der ganz normale Wahnsinn – Gewalt im Alltag“ (Halle 14, Messegelände), sowie von 15 bis 18 Uhr u.a. mit Antje Vollmer über „Frauen – eine ohnmächtige Macht“ (Convention Center, Saal 2, Messegelände). Am Samstag, 28. Mai, stellt sie sich u.a. mit der Bundesbeauftragten Marianne Birthler dem Streitgespräch „Religion und religiöse Symbole in der Schule“, 15 bis 18 Uhr, Pavillon 32, Messegelände