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Archiv-Artikel

Mehr Schein als Sein

In Berlin werden immer mehr Betriebe gegründet. Verursacht wird der Boom vor allem durch Arbeitsmarktprogramme wie die Förderung der Ich-AG. Der Bezirk Pankow ist dabei Spitzenreiter

VON RICHARD ROTHER

Wer mit offenen Augen durch Prenzlauer Berg geht, wird sich über diese Nachricht nicht wundern: der Bezirk Pankow, zu dem das Viertel gehört, ist Berlins Spitzenreiter bei den Neugründungen von Unternehmen und Kleingewerbetreibenden. Die vielen kleinen Geschäfte, Imbissbuden und Kneipen, die im Bezirk neu öffnen, sind nur der sichbare Teil des Gründerbooms; andere Selbstständige – etwa Grafikdesigner und Internetspezialisten, Fliesenleger und Scheibenputzer, sieht man auf den ersten Blick nicht.

In Pankow wurden im vergangenen Jahr über 5.000 Betriebsgründungen registriert. Dies ergibt eine Studie, die die Berliner Bürgschaftsbank gestern vorstellte. Pankow wird dicht gefolgt von Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg. Schlusslicht beim Gründungsgeschehen sind Spandau, Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf. Insgesamt wagten im vergangenen Jahr rund 39.200 Berliner den Schritt in die Selbstständigkeit. Das ist ein Plus von 32 Prozent gegenüber 2003.

Allerdings ist der Boom bei den Neugründungen vor allem auf arbeitsmarktpolitische Instrumente wie die Förderung so genannter Ich-AGs zurückzuführen. Zwei von drei Neugründungen erfolgten aus der Arbeitslosigkeit. Zudem ist der Anteil „echter Unternehmensgründungen“ in Berlin seit 1997 kontinuierlich von 40 auf jetzt 17 Prozent zurückgegangen. Angesichts der durch die umstrittenen Hartz-Reformen erhöhten Gründerzahlen verwundert es auch nicht, dass im Moment die Zahl der Neugründungen die der Pleiten deutlich übersteigt. Unklar sei aber, wie das in zwei Jahren aussehen wird, so Bürgschaftsbank-Geschäftsführerin Waltraud Wolf.

Immerhin sank die Zahl der Neugründungen in diesem Jahr rapide, nachdem die Arbeitsagenturen dazu übergegangen sind, die Geschäftsideen stärker zu überprüfen. Dies könnte schon einen Hinweis darauf geben, wie wenig überlebensfähig viele der zuvor gegründeten Kleinstunternehmen sind.

Gründer in allen Branchen

Dass Pankow Spitzenreiter beim Gründungsgeschehen ist, bleibt den Experten der Bürgschaftsbank ein Rätsel. Möglicherweise liegt es daran: In dem Ostberliner Bezirk leben offenbar besonders viele Menschen zwischen 25 und 45, die sich mit dem Schicksal Arbeitslosigkeit nicht abfinden wollen – und sich deshalb selbstständig machen. Sei es, um die monatliche Förderung des Arbeitsamtes mitzunehmen, sei es, um tatsächlich ein neues Geschäft aufzuziehen.

Gegründet wird in allen Branchen. Allerdings ist es leichter, etwa eine Kneipe oder einen Imbiss zu übernehmen als einen kleinen Industriebetrieb, weil man dafür weniger Geld braucht. Spitzenreiter im Gründungsgeschehen sind die Dienstleistungen sowie der Handel. Die deutlichsten Zuwächse verzeichnete jedoch das Baugewerbe. Hier steht aber zu befürchten, dass aus bisherigen Arbeitern einfach Scheinselbstständige wurden.