: In der U-Haft
Keine Fragen, nur Urteile: Die Doku „Folter in Stamm- heim? – Die Propaganda der RAF“ (23.30 Uhr, ARD)
Warum sind in den 70ern so viele der RAF-Propaganda von der Isolationsfolter in Stammheim auf den Leim gegangen? War es nur Lüge – oder gab es auch einen wahren Kern? Welche Rolle spielten die Anwälte dabei genau? Glaubten Baader & Co selbst, dass sie gefoltert würden? Interessante Fragen, die zu beantworten aber etwas mühsam ist. Und so viel Mühe macht sich dieses WDR-Feature nicht.
Ziemlich wahllos werden Zeitzeugen-Schnipsel montiert: Hans-Jochen Vogel, der Ex-RAFler Karl Heinz Dellwo, der Anwalt Christian Ströbele, der Sohn von Siegfried Buback u. a. Der Kommentar hält sich an die eingefräste Rhetorik: Die RAF wird mit Ingrimm für das Böse gehalten, als wäre all das nicht 30 Jahre, sondern erst drei Monate her. Und Stammheim-Bilder werden mit schicksalsdüsterem Hintergrundsound unterlegt. Es ächzt vor deutscher, schwerer Tragik. Und vor Klischees.
Dafür fehlen die etwas komplizierteren Aspekte. Die Beschreibungen der Freiheiten der RAFler im Stammheimer Alltag, vor allem von dem Ex-Justizangestellten Horst Bubeck, sind plausibel, wenn auch nicht neu. Allerdings waren diese Haftbedingungen das Ergebnis des Todes von Holger Meins 1974. Einen zweiten RAF-Hungertoten wollten die Behörden zu Recht verhindern. Zudem saßen die RAF-Gefangenen in Stammheim in U-Haft. U-Haft ist Einzelhaft – deshalb war es ungewöhnlich, dass sie täglich miteinander reden durften. Allerdings hatten noch nie zuvor Angeklagte fünf Jahre lang in U-Haft verbringen müssen. Erwähnenswert wäre auch gewesen, dass renommierte Wissenschaftler den RAF-Gefangenen beschränkte Prozesstauglichkeit wegen der Haftbedingungen attestiert hatten. War das nur ein Fake, ein Trick? Gute Frage – aber dieses Feature interessiert sich nicht für Fragen und Kontexte, sondern für Urteile.
Auch die Anwälte werden noch mal unter Komplizenverdacht gestellt. Dafür fällt kein Wort über den grenzwertigen Verteidigerausschluss 1975, dass in einem Rechtsstaat Anwälte auch RAFler so verteidigen dürfen, wie diese es wollen. Der RAF-Sympathisant Klaus Croissant und der pflichtbewusste Anwalt Otto Schily kommen gewissermaßen in einem Atemzug vor – und das ist mehr als oberflächlich. Es ist falsch.
Ein Verdienst hat „Folter in Stammheim“: Es kommen Angehörige von RAF-Opfern zu Wort, und zwar auch weniger Prominente. Etwa die Witwe des Hamburger Polizisten Norbert Schmidt, der von RAFlern erschossen wurde. Das war vor 34 Jahren, aber in ihrer Stimme klingt ein Hass mit, der bis heute reicht. Doch was fehlt, ist ein kühler, nüchterner Blick auf das Ganze. Und der Mut, die eingeübten Bilder- und Moralfloskeln mal wegzulassen. S. REINECKE