Juveniler Schwermut

LO-FI-INDIE-FOLK Vor fünf Jahren hatte die französische Sängerin und Schauspielerin Stéphanie Sokolinski alias SoKo einmal einen kleinen Hit gehabt – dann kam die Angst vor der Musikindustrie. Nun ist doch noch das Debütalbum „I Thought I Was An Alien“ erschienen

Im Mittelpunkt steht die brüchige und nicht immer tonsichere Stimme

VON NILS SCHUHMACHER

Wer sich häufiger mal die Zeit nimmt, auf einschlägigen Internet-Videoportalen herumzuschauen, wird nicht erst gestern zwei Dinge festgestellt haben: nicht nur ist hier natürlich ein hervorragendes Medium der Rezeption von Popkulturprodukten (und der entsprechenden Selbstdarstellung) zu besichtigen. Rezeption und Produktion sind vor allem auch so eng zusammengerückt, dass sie praktisch kaum noch sinnvoll zu unterscheiden sind.

Das gilt für die Akteure, die sich da mit allerlei Gecovertem und Selbstkomponiertem der Öffentlichkeit präsentieren, ebenso wie für die Art und Weise, in der sie das tun: Wacklige farbstichige und verpixelte Videos, in denen vor sich hingesungen wird, können hier mal die Vorboten einer Karriere (als Social-Network-Star), mal bereits Ausdruck einer gut durchkalkulierten Werbestrategie sein – oder einfach beides in einem. Von dieser Warte aus betrachtet, stellt die Schauspielerin und Sängerin Stéphanie Sokolinski als SoKo ein aktuell beachtetes Role Model dar.

Fünf Jahre, in neuer Zeitrechnung also etwa 20 Musiktrends, ist es her, dass die junge Französin mit polnischem Hintergrund mit ihrem Überraschungshit „I’ll Kill Her“ einen kleinen informellen Hype auslöste, der in manchen europäischen Ländern ganz formal in Charts-Platzierungen einmündete. In einem von stärkstem Akzent geprägten Englisch wird hier eine irgendwie dann doch vor allem putzig wirkende Morddrohung gegen eine Konkurrentin ausgestoßen, die einen an die prinzipielle Möglichkeit einer Amour Fou im Sandkasten erinnert.

Jene Art von Unverbrauchtheit und „Naivität“ wird es gewesen sein, die das Lied so nett klingen und erfolgreich werden ließ. Auch erste Touren, unter anderem mit Daniel Johnston oder den Babyshambles, wurden bestritten, dann schien alles wieder von neuen Strömen klappriger Garage-Band-Komponist/innen ins Meer der Bedeutungslosigkeiten zurückgespült zu sein.

Umso erstaunter darf man jetzt zur Kenntnis nehmen, dass sich angesichts des nun erscheinenden Debütalbums noch jemand erinnert. Das spricht ja auch ein wenig gegen die allseits beschworenen Marktmechanismen, denen zufolge im Popbetrieb nur Dauerpräsenz zählt. Irrtum: mindestens genauso wichtig ist eine gute Strategie. Und die ist nun wirklich zu erkennen. Für ihr Vorhandensein spricht etwa, dass die Platte nicht auf einem Kleinstlabel erschien, sondern auf einen Unterlabel von Warner, dass nicht die Peer-Group an den Reglern in einem Homestudio saß, sondern andere Kaliber beteiligt waren (unter anderem der Produzent von Elliott Smith, Fritz Michaud).

Und so klingt „I Thought I Was An Alien“ dann auch ein wenig: Eine im Sound durchweg fragile Platte, die ohne große Aufgeregtheiten und sogar ohne riesige Hits auskommt. Zwar werden die gesammelten Möglichkeiten zwischen Akustikballade, orgeligem Indie-Low-Fi-Pop, Beats aus der Dose und orchestraler Liedinszenierung durchgekostet. Im Mittelpunkt steht aber durchweg Sokolinskis brüchige, sprechsingende und nicht immer tonsichere Stimme, die sehr viel erwachsener klingt und sehr viel weniger akzentlastig ausfällt, aber weiterhin jene Art juvenilen Schwermut aufweist, der auch vor fünf Jahren ein gewisses Entzücken ausgelöst hat.

■ Mi, 4. 4., 21 Uhr, Molotow, Spielbudenplatz 5