: Flötenschmieden zum Kaiserwalzer
ALTES GEWERBE Peter Müller ist Hamburgs ältester Hersteller von Holzblasinstrumenten. Mit Leidenschaft schmiedet er Silberteile zu Querflöten. Einen Nachfolger hat der 68-Jährige allerdings noch nicht gefunden
VON TIMO ROBBEN
Das abgewetzte Buchenholz der Werkbänke beißt sich mit den frisch gestrichenen weißen Wänden. Werkzeuge, die durch die Hände verschiedener Generationen gingen, liegen neben einer hellblauen Schleifmaschine. Eine Sinfonie Peter Tschaikowskys ertönt aus einem Funkradio. Peter Müller, mit 68 Jahren ältester Instrumentenbauer Hamburgs, sitzt an seiner Werkbank. Auf der Fensterbank gegenüber stehen Fotos seiner Kinder und Enkel.
Die Werkstatt für Holzinstrumentebau im Hamburger Karolinenviertel öffnete ihre Türen erstmals 1905. Chef war damals August Seidel. 1952 wurde der Betrieb von der Familie Müller übernommen und auf den Namen „Josef Müller“ getauft. Peter Müller, der heutige Chef, hat lange in der väterlichen Werkstatt mitgearbeitet. 1985 übernahm er sie. 2011 zog er ein Haus weiter.
Sein Vater, erzählt er, habe bis zum Schluss gearbeitet. „Am Freitag war er noch in der Werkstatt. Und am Dienstag ist er verstorben“, erzählt Müller sachlich. Die Familie stammt aus dem „Musikwinkel“ im sächsischen Vogtland an der tschechischen Grenze. Vor dem Zweiten Weltkrieg war hier ein Zentrum des Musikinstrumentenbaus.
Peter Müller baut in der vierten Generation Instrumente. „Wer etwas mit Geschmack haben möchte, der kommt hierher“, sagt er und schaut über die Ränder seiner Brille auf die Böhm-Flöte in seinen Händen. Nr. 2142, so viele Instrumente haben er und sein Vater in der alten Werkstatt gebaut. Sie ist die vorerst letzte Flöte aus Müllers Hand – 6.500 Euro soll sie kosten.
Nach dem Unterschied zwischen einer Blockflöte aus dem Supermarkt und einer Flöte aus seiner Werkstatt gefragt, hält er inne und schaut auf. „Ob Sie sich jetzt auf ein Fahrrad oder in einen Maserati setzen: Der Unterschied ist doch klar“, sagt er.
In den wilden 60ern rebellierte Müller nicht, wie viele andere, gegen seinen Vater, sondern erlernte das Flötenspiel. Eigentlich hätte er lieber Fußball gespielt. „Aber das war kein Honigschlecken mit meinem strengen Vater.“ 1963 wurde er eingezogen – für 18 Monate.
Nach der Grundausbildung tauschte Müller den Gewaltmarsch gegen die Marschmusik ein. Er wurde Mitglied des Musikcorps der Bundeswehr. „Unser Offizier glorifizierte das Corps. Deswegen konnte ich mir fast jeden Samstag einen Urlaubsschein holen“, sagt Müller. Seine Augen werden feucht, wenn er von den alten Zeiten spricht. Der sonst so strenge Musikmeister gerät ins Schwelgen, während er an der Flöte arbeitet. Im Radio läuft der Kaiserwalzer von Johann Strauss.
Die meisten Holzblasinstrumente, die Müller verkauft, sind gar nicht aus Holz: Neben Klarinetten bietet er unter anderem Querflöten und Saxophone an. Nicht das Material nämlich gibt diesen Instrumenten den Namen, sondern die Art der Klangerzeugung, sagt Müller: „Ein Holzbläser erzeugt eine durchgehende Luftsäule, die Klappen auf dem Resonanzkörper verkürzen sie; so entstehen verschiedene Töne.“
Die Bauteile für eine Flöte zum Beispiel bestehen aus Silber und werden dann zuerst geschmiedet. Danach dreht Müller winzige Gewinde in das Metall. Die Klappen stellt er auf der Drehbank her. Gezielte Schläge mit dem Hammer geben den vielen einzelnen Teilen ihre endgültige Form. Schlussendlich wird alles zusammengelötet und verschraubt. Dann kommt die Prägung: „Josef Müller Hamburg“. Fertig ist die Flöte.
„Drei Wochen sitze ich an so einem Instrument“, sagt Peter Müller. Aber eigentlich repariert er hauptsächlich. Seine Kunden kommen aus ganz Deutschland. „Letztens hatte ich eine Flöte aus München. Die hatten wir der Oma des Kunden 1968 verkauft. Die habe ich repariert.“ Flöten aus dem Supermarkt repariert er so gut wie nie. „Die sind nicht dafür gedacht, repariert zu werden. Wenn die kaputt sind, dann werden sie im allgemeinen weggeworfen.“
Vier Jahre läuft sein Mietvertrag im Hamburger Karolinenviertel noch. Danach kann er um fünf Jahre verlängern. „Ob ich das mache, weiß ich noch nicht. Wer die Werkstatt übernimmt, steht in den Sternen“, sagt Müller. Frische Wandfarbe und ein neues Radio hat er schon. Einen Nachfolger nicht. Die Folgegenerationen bleiben wohl nur durch Bilder in der Werkstatt vertreten.