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Archiv-Artikel

Träumen, ohne zu erschrecken

STRESS Fluglärm zerschneidet Gefühle, Gedanken, Gespräche und Träume

„Ohrstöpsel bringen da gar nichts“

„Da ist dieser scheußlich dumpfe Ton von den großen Flugzeugen, der dich kaputt macht“, erklärt Claudia P.. „Ohrstöpsel bringen da gar nichts.“ Mit geschlossenen Fenstern zu schlafen, sei auch keine Alternative. Welche Kopfschmerzen sind besser, die vom Fluglärm oder die vom Sauerstoffmangel? „Selbst wenn ich in der Nacht nicht aufgewacht bin, merke ich am Morgen, wie schlecht ich geschlafen habe“, sagt die 42-Jährige. Dann kommt die Müdigkeit, die betäubt und lähmt. Kurz darauf folgen die Kopfschmerzen. „Und dann muss ich mich mit Medikamenten fit für den Tag machen, anstatt mit gesundem Schlaf.“

Ihre beiden Töchter Nina und Charlotte scheinen mit dem Lärm besser zurechtzukommen. Sie wachsen mit dem Luftverkehr über den Dächern auf. „In der Grundschule sind alle Kinder vom Fluglärm betroffen“, sagt Claudia P.. „Vielleicht leiden alle unter Schlafmangel, Stress und Konzentrationsstörungen. Aber da es allen so geht, fällt das nicht auf.“ Im Jahr 2005 hat die Familie ihr Haus in Halle gebaut. „Natürlich wussten wir vom Flughafen. Aber die sagten uns, dass da nur eine Notabflugroute über das Wohngebiet geht.“ Inzwischen wurde sie durch die Interkontinentalroute für die großen Frachtmaschinen ersetzt.

VON PHILIPP BRANDSTÄDTER

„Jetzt habe ich Angst vor den Nächten“

Unweit der Landebahn geht Silvia Schäfer mit ihrem Hund spazieren. Die Rentnerin sorgt sich um den Yorkshire-Terrier, der die Welt vor allem riecht und hört. Der Vierbeiner verschläft den halben Tag, weil er – wie sie auch – in der Nacht nicht zur Ruhe kommt, wenn die Post am Luftfahrtdrehkreuz vor der Haustür der 61-Jährigen wieder Container verlädt und Tonnen von Metall knirschend, scheppernd auf noch mehr Tonnen von Metall gewuchtet werden.

Ständig bleiben Kerosinwolken im Wohngebiet hängen. „Wenn ich mit meinem Hund draußen bin, mache ich mir Gedanken darüber, wie viel das Tier von dem Gift aufnimmt“, sagt Silvia Schäfer. „Das kann richtig übel sein. Das hängt ganz von der Windrichtung ab.“ An den Gestank gewöhne man sich nie. Viele Anwohner von Flughäfen fürchten sich vor Giftgasen und Feinstaub, vor Asthma und Allergien. „Seit zwei Jahren leide ich unter Bluthochdruck und nehme Medikamente dagegen“, sagt Silvia Schäfer. Die Unruhe habe zugenommen, seit nachts immer mehr Transportflugzeuge landen und abheben. „Wenn es am Flughafen beim Passagierbetrieb geblieben wäre, dann wäre alles halb so wild. Jetzt habe ich regelrecht Angst vor den Nächten.“

Nervosität. Bluthochdruck. Kopfschmerz. Depression. Herzinfarkt. Menschen, die in der Nähe von Flughäfen leben, werden krank vom Krach. Das Fluglärmgesetz sieht Lärmschutzbereiche bei einem Schallpegel ab 50 Dezibel (db) vor. Stetiger nächtlicher Fluglärm jedoch verursacht bereits ab 40 db Herz-Kreislauf-Beschwerden und psychische Erkrankungen, wie das Umweltbundesamt in einer Studie nachgewiesen hat.

„Schon geringe Lärmpegel können zu Schmerzattacken führen oder vorhandene Beschwerden verstärken“, erklärt der Schmerzforscher Paul Nilges, der untersucht, wie sich Lärm auf den Menschen auswirkt. Das allgemeine Stresslevel steigt, Kopf- und Gelenkschmerzen treten auf. Lärmempfindlich oder nicht, „ab 60 Dezibel kann kein Mensch mehr abschalten“, sagt Nilges. „Stellen Sie sich vor, Ihnen würde jemand nachts einen laufenden Rasenmäher vor Ihr Bett werfen.“

„Die alte Antonow 26 ist der Wahnsinn“

Würde Thomas S. bei „Wetten, dass ..?“ mitmachen, könnte er damit beeindrucken, dass er russische Militärflugzeuge erkennt – nur am Geräusch. Der 42-Jährige wird regelmäßig aus dem Schlaf gerissen, wenn die Flieger über seinem Bett abheben.

„Die alte Antonow 26, ein Transportflugzeug aus den späten 60ern, die ist der Wahnsinn“, sagt S.. „Das ist so eine Kerosin- und Lärmschleuder.“ Das Dröhnen der Antonow schwillt langsam an, wird lauter, erreicht den Höhepunkt, wenn das Flugzeug über das Wohngebiet donnert. Dann flacht der Lärmpegel wieder ab. Volle 90 Sekunden dauert das. Pro Maschine.

„Die A-124 aus dem Militärbetrieb ist auch der Brüller“, erzählt der Chemieingenieur. „Die fliegt Panzer unter dem Deckmantel ,Hilfsgüter‘. Bei der Fluglast hebt die so langsam ab, die reißt dir fast die Ziegel vom Dach.“ Ähnlich die McDonnell Douglas. „Das metallische Scheppern der MD-11 ist unverwechselbar, die erkennt jeder.“ Die Nächte auf Dienstag und Donnerstag seien besonders schlimm, sagt S., bei Ostwind nicht ganz so sehr. „Bei dem bisschen Schlaf, den ich bekomme, überlege ich mir, wozu ich die wenige Energie nutze, die ich getankt habe. Das ist demotivierend, das macht depressiv.“

Die sonntaz hat Lärmopfer des Flughafens Halle/Leipzig getroffen, an die keiner denkt, wenn er in den Urlaub fliegt oder auf ein Paket wartet.