: Das grüne Rettungsboot heißt „Umweltpolitik“
Warum bis zum gemeinsamen Untergang mit der SPD warten? Die Grünen versuchen sich der Konkurrenz von links mit „Konzentration auf Kernkompetenzen“ zu erwehren
BERLIN taz ■ Auch das noch. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer hatte gestern Mittag, bei einem Gespräch mit Berliner Journalisten, eigentlich schon genug damit zu tun, halbwegs überzeugend Optimismus zu verbreiten und die neuen Chancen zu erläutern, die sich aus den vorgezogenen Neuwahlen für seine Partei ergeben. Kurz zuvor, mit dem Zeit-Interview des Kanzlers, war endgültig klar geworden: Die Grünen müssen diesmal allein kämpfen. Gerhard Schröder setzt nicht mehr auf seinen Partner Joschka Fischer. Kaum war das verdaut, platzte die Nachricht herein, Oskar Lafontaine wolle mit der PDS antreten. Was nun? Bütikofer gab sich gelassen: „Strategisch halte ich das für ein totgeborenes Kind“, sagte er über das Ost-West-Linksbündnis. „Man kann nicht mit einer linken Nostalgiepartei Zukunft gestalten.“
Auch Grünen-Fraktionschefin Krista Sager versicherte der taz, sie befürchte „keine Abbröckelung am linken Rand der Grünen“. Die Linkspartei sei „eher eine Konkurrenz zur SPD“. Das wiederum ist für die Grünen wohl nur noch halb so schlimm: Denn Verluste für die SPD wären für sie ja nur dann noch von Bedeutung, wenn sie die Chancen von Rot-Grün als gemeinsamer Formation bedrohen. An eine echte Chance für Rot-Grün scheint aber ohnehin kaum ein Grüner noch zu glauben.
Insbesondere die Landespolitiker, die gerade erfolglos für rot-grüne Koalitionen gekämpft haben, sind ernüchtert. Der gemeinsame Wahlkampf sei „offensichtlich nicht ganz so erfolgreich gewesen“, stellte nicht nur NRW-Spitzenfrau Bärbel Höhn fest. „Jede Partei muss jetzt erst mal ihre Eigenständigkeit betonen“, sagte auch Annes Lütkes, die in Schleswig-Holstein als grüne Spitzenkandidatin gemeinsam mit Heide Simonis SPD verloren hatte, der taz. Für die Nord-Grünen gelte schon jetzt die Devise „Oppositiv denken“. Es gebe keine Fluchtwelle oder einen Rückzug in die innere Emigration, sondern gar Neueintritte. Kein Zweifel: Die Grünen überlegen sich notgedrungen, wie sie allein überleben können, und nehmen dabei nicht mehr allzu viel Rücksicht auf die Sozialdemokraten: „Wir wollen nicht in Würde aussterben“, so Lütkes.
Auch der Spitzenkandidat bei der nächsten Landtagswahl Anfang 2006 in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, setzt auf Grün pur. „Das ist ein klarer Affront“, sagte Kretschmann zu Schröders Absage an eine Koalitionsaussage für die Grünen. „Jetzt ist die Koalitionsdisziplin gestorben“, erklärte Kretschmann der taz, „wir konkurrieren jetzt offen.“
Schon gibt es erste Ratschläge an die Grünen, kurzen Prozess zu machen und das eigene Aussterben durch noch schnellere, weiter gehende Distanzierung von der SPD zu verhindern. Warum bis zum Herbst, bis zum gemeinsamen Untergang warten, den alle Demoskopen prophezeien? „Die Aufkündigung der Koalition wäre ein radikaler, aber durchaus konsequenter Schritt“, sagte etwa der Historiker und Publizist Paul Nolte der taz. Der Publizist („Generation Reform“), der den Grünen durchaus gewogen ist, plädiert schon lange dafür, dass die Partei sich aus der Zwangsumarmung der SPD befreien müsse, um zu ihrer eigentlichen Stärke als Reformkraft zu finden.
Worin die Stärken der Grünen liegen – darüber gibt es jedoch durchaus unterschiedliche Vorstellungen innerhalb der Partei, die sich nolens volens auf die Opposition einstellt. In der Berliner Führung ist man sich bewusst, dass die verbliebenen Vertreter des linken Flügels die anstehenden Listen-Aufstellungs-Parteitage nutzen werden, um einen Kurswechsel, womöglich gar eine Abkehr von der Hartz’schen Reformpolitik, zu fordern. Ob sich Christian Ströbele und die wortgewaltigen NRW-Linken mit den von der Grünen-Spitze versprochenen „Korrekturen“ an Hartz IV abspeisen lassen, ist mehr als fraglich – angesichts der dräuenden Konkurrenz durch die Linkspartei erst recht.
Eine grundsätzliche Programmdiskussion wollen aber selbst Parteilinke wie Frithjof Schmidt, NRW-Landeschef der Grünen, jetzt nicht führen. Er rate, „bei dem eingeschlagenen Weg“ zu Neuwahlen zu bleiben. „Kurzschlussreaktionenen würden jetzt nicht weiterhelfen.“ Die beste Perspektive, um grüne Grabenkämpfe zu vermeiden, sei deshalb die „Konzentration auf unsere Kernkompetenzen“, also vor allem: die „Umweltpolitik“. Das, meint Schmidt sei auch die beste Art, um der Konkurrenz durch Lafontaine & Co. zu begegnen: „Die haben nicht verstanden, dass moderne Linke im 21. Jahrhundert die ökologische Frage stellen müssen.“
Die Berliner Parteiführung stellt sie jetzt umso lauter. „Die Wahl im Herbst entscheidet über die Frage: Atomausstieg oder Atomausbau“, teilte Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke gestern mit. „Wir werden die Auseinandersetzung darüber im Wahlkampf offensiv führen.“
ASTRID GEISLER, HANNES KOCH, LUKAS WALLRAFF