Bissfertige Vierbeiner

WURST Das Frankfurter caricatura-Museum zeigt Bilder von Nikolaus Heidelbach

VON MARIO SCALLA

Die Wurst soll Frankfurts Ambition untermauern, Hauptstadt der Satire zu sein. Seit Ende 2008 existiert in der Mainstadt das caricatura-Museum, das mit einer Dauerausstellung, die der Neuen Frankfurter Schule gewidmet ist, bereits beträchtliche Satirepfunde in die Waagschale wirft und die nicht geringe Hauptstadtabsicht verkündet. Zu den Frankfurtern Poth, Traxler oder F.K. Wächter kommen in Wechselausstellungen einheimische wie internationale Karikaturisten hinzu – aktuell der Kölner Zeichner und Buchautor Nikolaus Heidelbach. Seit 25 Jahren veröffentlicht der 1955 geborene Heidelbach Bücher und gilt als einer der anerkanntesten und eigenwilligsten Illustratoren. In Bild und Buch hat er sich um Wein, Wild, Gemüse sowie Weihnachten verdient gemacht und rückt nun die Wurst in den Mittelpunkt seines zeichnerischen Könnens.

Zwar ist die Wurst traditionell ein fester Bestandteil der deutschen Küche. Aber sie drohte zuletzt, da auch das deutsche Braten, Sieden und Kochen globalisiert und verfeinert wurden, etwas ins Abseits zu geraten. Eine Bock- oder Blutwurst nämlich lässt sich nicht verfeinern. Man könnte sie natürlich mit Foie gras anreichern und damit zwei sehr unterschiedliche Zielgruppen ansprechen – beide aber auch verprellen. Umso mehr ist Heidelbach für diese Exponate zu loben, dokumentieren sie doch aufs Beste, was alles in den Würsten steckt.

Das caricatura-Museum hat sein Erdgeschoss bis auf ein paar vegetarische Einsprengsel, die aus der Weihnachten- und Gemüse-Phase des Künstlers übrig geblieben sind, den Wurst-Zeichnungen Heidelbachs gewidmet. Sie befinden sich alle in einem großen viereckigen Raum, so dass Heidelbachs Methode schnell klar wird. In „Schwein im Sprung“ zum Beispiel hat der Vierbeiner zu einem weiten Satz angesetzt, schwebt noch in der Luft, wurde dort jedoch auf geheimnisvolle Weise in bissfertige Scheiben zerteilt. Das Vorderteil ist noch intakt, der Rest – Schlachtplatte. Die Schlussfolgerung ist zunächst klar: Wo noch Schwein ist, wird bald schon Wurst werden. Das ist doch wohl das Vanitas-Motiv, das hier auf moderne, industrielle Weise interpretiert wird und weitere Fragen provoziert. Kann der Fleischkonsument überhaupt noch am Getier vorbeigehen, ohne an das Endprodukt zu denken? Hat das Schwein überhaupt noch ein Eigenleben oder existiert es selbst in der Blüte seiner Jahre nur als Brotbelag in spe?

Aber so schlicht fleischfresserkritisch sind die Zeichnungen natürlich nicht. Sie haben zumeist eine klare Bildidee, eine Pointe, die blitzschnell, beim ersten Betrachten erfasst wird. Auf diesen Zeichnungen finden sich keine Nebenschauplätze, keine Schraffuren wie etwa bei Chlodwig Poth, bei dem Figuren und Umwelt nicht so streng getrennt sind und Details dem Dargestellten eine neue Wendung geben. Heidelbach benutzt unterschiedliche Techniken, fertigt Gouachen, zeichnet und malt.

Das Ergebnis hat etwas Klassisches, allerdings nicht in dem bekannten Wortsinn des Stilisierten und Entrückten. In „Kleine Wurstgöttin“ etwa tänzelt eine nackte Schönheit auf einer Scheibe Blutwurst, die als ein Stück Weltraummaterie identifiziert werden kann. In der Linken trägt sie einen Steinguttopf Senf, in der Rechten einen Löffel. Die Bildaussage ist doch, dass hier ein Planet verwurstet wird. Aber wozu der Senf? Wer einen Planeten ressourcenmäßig hinschlachtet, braucht dazu kein kulinarisches Beiwerk. Vielleicht ist es doch treffender, mit dieser Karikatur der titanischen Freude des Genusses zu frönen, die, wie das All, keine Grenzen kennt.

Diese Vermutung wird auch genährt durch „Chorizorudel in der Extremadura“, wo Paprika-Knoblauch-Würste über die Felder hüpfen; oder „Würstchenträgerinnen in der Serengeti“, die vermutlich eine afrikanische Version der deutschen Bockwurst auf dem Kopf expedieren; die Weißwurst ist ebenso dabei wie die Leber- und Teewurst. Die Currywurst scheint zu fehlen, womöglich weil der Künstler, wie in „Sozialfall Schaschlik“, reine, klare Würste präferiert. Aber dann taucht sie in dem ausstellungsbegleitenden Buch auf, das ebenfalls für die These vom titanischen Vergnügen an der Wurst spricht.

Texte von Wiglaf Droste sowie Rezepte von Vincent Klink runden diese Hommage ab und bringen die Wurst wieder nach vorne – und der Karikaturist Nikolaus Heidelbach tritt das Erbe Arcimboldos an, allerdings ohne dessen Manierismus. Klassik mit Witz, oft mit Hintersinn, manchmal auch mit Senf.

■ Ausstellung: Nikolaus Heidelbach. Wurst. Mit Wein, Weihnachten, Wild und Gemüse. caricatura-Museum Frankfurt. Weckmarkt 17. Bis 29. Juli

■ Nikolaus Heidelbach, Wiglaf Droste, Vincent Klink: „Wurst“. Dumont Verlag 2007