Britische Dozenten boykottieren Unis in Israel

Die größte Gewerkschaft von Universitätsangehörigen beruft in London einen Sonderkongress ein. Dort will sie heute erneut über ihren Beschluss beraten, die Zusammenarbeit mit zwei israelischen Hochschulen einzustellen

„Die Resolution wird infolge des Drucks der Mitglieder rückgängig gemacht“

JERUSALEM/DUBLIN taz ■ Der Boykott wird wohl kurzlebig sein. Ende April hatte die größte Gewerkschaft der britischen Universitätsdozenten (AUT) auf ihrem Kongress in Eastbourne mit knapper Mehrheit beschlossen, die israelischen Universitäten Haifa und Bar-Ilan zu boykottieren und alle akademischen Kontakte abzubrechen. Wegen der Proteste aus Israel, aber auch vieler AUT-Mitglieder hat die Gewerkschaft für heute einen Sonderkongress in London einberufen, auf dem erneut über den Boykott debattiert und abgestimmt werden soll.

Die britische Gewerkschaft wirft der konservativ-religiösen Bar-Ilan-Universität vor, dass sie Verbindungen zu der im Westjordanland gelegenen „Hochschule Judäas und Samarias“ unterhält. Mina Teicher, Vizepräsidentin für Forschung und Entwicklung in Bar-Ilan, sagt: „Bar-Ilan beaufsichtigt Hochschulen in der Peripherie während ihrer Gründungsphase.“ Inzwischen sei die Hochschule im Westjordanland aber autonom.

Für Teicher ist der „heuchlerische Akt des Boykotts ein Zeichen für einen neuen Antisemitismus“. Der israelische Premierminister Ariel Scharon reagierte auf den Boykott mit einer Aufwertung der „Hochschule Judäas und Samarias“, die nun den vollen Universitätsstatus genießt.

Den Boykott der Universität Haifa begründet die britische Gewerkschaft damit, dass dort die akademische Freiheit von Kritikern des israelischen Staates einschränkt werde. Beweis sei eine vor fünf Jahren eingereichte Magisterarbeit zum Thema „Vertreibung der arabischen Bevölkerung am südlichen Fuß des Karmelgebirges im Jahr 1948“. Der Student Teddy Katz hatte dafür die beste Note erhalten.

Die Arbeit beschreibt u. a. die Schlacht in dem Dorf Tantura, bei der über 200 unbewaffnete Männer ums Leben gekommen waren. Katz verzichtete zwar auf das Wort „Massaker“, aber Veteranen der Militäreinheit, die Tantura besetzt hatte, reichten dennoch Verleumdungsklage gegen ihn ein. Im Gerichtsverfahren kam heraus, dass Katz einige Ungenauigkeiten in der Dokumentation der Zeugenaussagen unterlaufen waren. Als die Universität Katz daraufhin aufforderte, eine neue Magisterarbeit einzureichen, sprang Dr. Ilan Pappe, Historiker an der Universität Haifa, für ihn in die Bresche, obwohl er mit Katz’ Forschungsarbeit bis dahin gar nichts zu tun hatte. Pappe ist erklärter Antizionist und gehört zu der Gruppe der „neuen Historiker“, die sich besonders mit dem Schicksal der Palästinenser in der Staatsgründungsphase befassen.

Trotz der „unwesentlichen“ Ungenauigkeiten, so Pappe, beweise die Arbeit, dass es ein Massaker in Tantura gegeben habe. Die Universität müsse deshalb die Magisterarbeit anerkennen, forderte er und zog sich dadurch den Zorn der Militärveteranen zu. Der Fall kam vor den Ethikausschuss der Universität, der jedoch die vom Dekan angestrebte Kündigung Pappes ablehnte.

Pappe tritt für einen Boykott aller israelischen Hochschulen ein. „Die Universitäten sind zur offiziellen Propaganda geworden“, sagte er in einem Interview mit der Wochenzeitung Mossaf-Ha’aretz. „Sie sind der wichtigste Botschafter Israels bei der Behauptung, dass wir die einzige Demokratie im Nahen Osten sind.“

Seit dem Boykottbeschluss der AUT, der sich vor allem auf den Fall Pappe stützte, ist der Historiker unter den israelischen Akademikern vollkommen isoliert. Das Massenblatt Ma’ariw nannte ihn „einen der größten neuen Antisemiten“. Die Universität von Haifa hat inzwischen eine Klage gegen die Gewerkschaft eingereicht.

In Großbritannien hat der Boykott die Gewerkschaft, die 48.000 Dozenten vertritt, gespalten. Mehrere Mitglieder sind inzwischen ausgetreten, in den Ortsverbänden wurde der Boykott im Vorfeld des mit Spannung erwarteten Sonderkongresses heftig diskutiert. Reinier Salverda, Professor für Niederländisch am University College London, sagte: „Für mich stellt sich die Frage, ob ich als nichtbritischer Akademiker nun meine britischen Kollegen boykottieren sollte, weil ihre Regierung einen illegalen Krieg gegen den Irak geführt hat, bei dem viele Unschuldige getötet wurden.“

Sue Blackwell von der Universität Birmingham, die den Boykottantrag mit verfasst hat, will sich für seine Aufrechterhaltung einsetzen. „Ich bin stolz darauf, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, die sich für die Menschenrechte in der ganzen Welt einsetzt“, sagte sie. Mina Teicher von der Universität Bar-Ilan rechnet jedoch damit, dass „die Resolution infolge des massiven Drucks der eigenen Mitglieder rückgängig gemacht wird“.

SUSANNE KNAUL, RALF SOTSCHECK