: Jagd auf Oppositionelle in Kairo
Am Tag des Referendums in Ägypten über das neue Gesetz zur Präsidentenwahl verprügeln Regimeanhänger Demonstranten. Die wichtigsten Oppositionsparteien rufen zum Boykott und zu Protestkundgebungen auf. Die Regierung mobilisiert massiv
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Eigentlich wollten sie an diesem Tag in Kairo in der Nähe des ägyptischen Parlamentes nur friedlich für die Ablösung des seit einem Vierteljahrhundert regierenden Präsidenten Hosni Mubarak demonstrieren: mehrere Dutzend Anhänger der Harakat Kifaya, der „Es-reicht-Bewegung“. Doch es dauerte nur wenige Minuten, bis die ersten Minibusse ankamen, die die muskulösen Schlägertrupps der Regierungspartei, bewaffnet mit Mubarak-Postern und Holzstöcken, herankarrten.
Zunächst herrschte eine Pattsituation, in der Kifaya-Anhänger das „Ende des Pharaos“ forderten und die Gegendemonstranten verbal „ihr Blut und ihre Seele für Mubarak“ gaben. Doch während die Zahl der Mubarak-Anhänger stetig zunahm, stellte sich die Polizei den Oppositionellen in den Weg, die zur Verstärkung kamen. Als die Mubarak-Anhänger sich auf die umringten Kifaya-Leute stürzten, unternahm die Polizei nichts.
Es folgten regelrechte Jagdszenen unter den Augen der Sicherheitskräfte. Die Kifaya-Anhänger, wenn sie nicht gleich auf der Straße verprügelt wurden, flüchteten sich in einige Läden in den Seitengassen, die anschließend von den Mubarak-Anhängern und der Polizei belagert wurden. „Das ist unsere Demokratie, schaut genau hin“, flüsterte ein Kifaya-Anhänger mit Tränen in den Augen. Die Szene wiederholte sich später vor dem Gebäude des Journalistenverbandes, wo sich die Kifaya-Anhänger neu gruppiert hatten.
Die Ereignisse stellten das gestrige Referendum in den Schatten, in dem die Ägypter aufgerufen waren, über eine Verfassungsänderung abzustimmen. Dabei geht es um die Präsidentschaftswahl im Herbst, bei der erstmals mehrere Kandidaten zugelassen werden sollen. Der Haken dabei: Es ist faktisch Mubaraks Regierungspartei, die unabhängige Kandidaten absegnen darf. Die großen Oppositionsparteien hatten daher zum Boykott des Referendums und zu Demonstrationen aufgerufen.
Vor den Wahllokalen selbst ging es friedlich zu. Die Szene am Wahllokal vor dem staatlichen Fernsehgebäude war symptomatisch. In den Morgenstunden interessierte sich kaum jemand für die Urnen. Um elf Uhr schließlich eröffneten die Mitarbeiter des staatlichen Fernsehens in einem von der Regierungspartei organisierten Demonstrationszug unter dem Ruf „Unsere Seele für Mubarak“ die Abstimmung. Das staatliche Fernsehen strahlte den ganzen Tag über Wahlsendungen aus. „Wählen ist eine Pflicht“, lautete das Motto.
Nichts wurde ausgelassen, um die Wahlbeteiligung nach oben zu treiben. Universitäten, die für den Tag Prüfungen angesetzt hatten, wurden aufgefordert, den Studenten anschließend eine Mahlzeit und eine Fahrmöglichkeit zu den Wahllokalen zur Verfügung zu stellen.
In den staatlichen Zeitungen wurde Mubarak in ganzseitigen Anzeigen dafür gedankt, dieses Referendum möglich gemacht zu haben. Auch das religiöse Establishment wurde eingespannt. „Wer nicht zum Referendum geht, erfüllt nicht seine muslimische Pflicht“, warnte der Großscheich der islamischen Azhar-Universität in Kairo.
Die Oppositionszeitungen hatten dagegen für den Boykott mobil gemacht. Die Tageszeitung Al-Wafd sprach vom „Tag der Niederlage“. Auch das Wochenblatt der nasseristischen Partei rechtfertigt den Boykott. „Wir können nicht mit Nein stimmen, weil wir immer Wahlen mit mehreren Kandidaten gefordert haben. Aber wir können auch nicht mit Ja stimmen, weil die vorgeschlagene Verfassungsänderung bei weitem nicht ausreicht“, hieß es. „Kein Mensch mit klarem Verstand kann erwarten, dass alles beim Alten bleiben kann. Entweder verändern sich die Dinge zum Besseren oder es gibt eine Explosion. Bei Letzterem kann niemand voraussagen, wie diese aussehen wird“, sagt das Blatt voraus. Das vorhersehbare Ergebnis des Referendums wird für heute Mittag erwartet.