: Die Millionen fest im Blick
VON DOMINIC JOHNSON
Senzeyi Ryamukuru erinnert sich eigentlich gern an Deutschland. Stolz spricht der grauhaarige bebrillte Kongolese auf dem Sofa in Goma das Wort aus, das für ihn das Westdeutschland der 70er-Jahre symbolisiert: „Gemüsesuppe“. Heute ist Ryamukuru Vizepräsident einer Bergbaugesellschaft, und Deutschland schmeckt ihm nicht mehr. Um 13,3 Millionen Dollar, hat er errechnet, hat der deutsche Geschäftsmann Karl-Heinz Albers den Staat Kongo betrogen, als er zwischen 1999 und 2003 ein Bergwerk im Rebellengebiet im Ostkongo betrieb. In einem Land, wo der Staatshaushalt rund eine Milliarde Dollar umfasst, sind 13 Millionen sehr viel.
Es geht um die Mine Lueshe, eines der wenigen noch funktionsfähigen industriellen Bergwerke der Region. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben Staatszerfall, Milizenterror, Flucht, Hunger und Seuchen seit 1998 über drei Millionen Menschen das Leben gekostet. In Lueshe, mitten im Kriegsgebiet, gibt es Pyrochlor. Aus dem Erz wird Niobium gewonnen, ein seltenes Metall, das unter anderem für Legierungen in der Raketenherstellung verwendet wird und das mit dem für die Mobilfunkindustrie wertvollen Tantalum verwandt ist. Lueshe ist mehrheitlich in deutschem Besitz. An der 1981 gegründeten Betreibergesellschaft Somikivu (Société Minière du Kivu) halten die Nürnberger Gesellschaft für Elektrometallurgie (GfE) 70 Prozent, der Kongo 20 Prozent und privates Kapital den Rest.
Als in den 90er-Jahren im Ostkongo Krieg ausbrach, wurde Lueshe zunächst geschlossen. Aber der von der GfE bestellte Geschäftsführer Karl-Heinz Albers machte sich selbstständig und öffnete das Bergwerk wieder, geschützt von Kongos Rebellen. Zwischen Juli 2000 und September 2004 wurden aus Lueshe 3.365,1 Tonnen Pyrochlorkonzentrat gefördert und über das Nachbarland Ruanda exportiert.
Der Clou, so führt ein von Ryamukuru erstelltes Dossier aus, das der taz vorliegt: Albers exportierte an sich selbst und verdiente fett daran. Der Bericht des im März 2004 von Kongos Regierung zum Somikivu-Vizepräsidenten bestellten Ryamukuru führt aus: Die von Albers geleitete Somikivu exportierte das Mineral an die ruandische Zweigstelle der ebenfalls von Albers geleiteten Handelsfirma NMC (Niobium Mining Company) zum Festpreis von 2,05 US-Dollar pro Kilo, während der Weltmarktpreis bei durchschnittlich 6 Dollar lag. Zu diesem höheren Preis verkaufte NMC in Ruanda weiter an NMC in London, für den Weltmarkt.
Pro Kilo entgingen der Somikivu damit 3,95 Dollar, die stattdessen die NMC einstrich. Macht bei 3.365,1 Tonnen genau 13.292.115 US-Dollar Gewinn für Albers an der Somikivu vorbei, rechnet Ryamukuru vor. Der Kongolese verlangt jetzt eine unabhängige Buchprüfung und die Neubestellung der Somikivu-Leitung.
Wenn das alles stimmt, ist es ein eindeutiger Fall von Untreue und der bisher konkreteste Nachweis einer deutschen Ausplünderung des Kongo zu Kriegszeiten. Für die kongolesische Seite ist das besonders bitter, weil sie erst letztes Jahr die Deutschen als Eigentümer der Mine Lueshe bestätigt hat. Eine österreichische Firma, Krall Metal, nämlich hatte aufgrund eines Vertrages aus Kriegszeiten den Eigentumstitel beansprucht. Wüste Drohungen seitens Kralls halfen nichts: Kongos Allparteienregierung entschied am 8. September 2004 zugunsten Somikivu und sucht jetzt Investoren.
Deutschland aber zeigt keine wahrnehmbare Reaktion. Die Lueshe-Mehrheitseignerin GfE sagt, sie habe an der Mine kein Interesse und zudem mit Albers nichts zu tun: Der sei 1996 aus der GfE ausgeschieden und habe 1997 sein Amt als Somikivu-Geschäftsführer niedergelegt. „In der Folgezeit behielt er diese Position jedoch de facto ohne Legalisierung durch die Gesellschafterversammlung und ohne Genehmigung durch die GfE bei“, schrieb das Unternehmen der taz. GfE-Rechtsvertreter Dietrich Kessel erklärt, die GfE sei „vertraglich verpflichtet“, die Genehmigung der Bundesrepublik Deutschland für Entscheidungen zur Somikivu einzuholen.
Für Ryamukuru ist damit klar: Die Bundesregierung ist am Zug. Aber das offizielle Deutschland hält sich ebenfalls bedeckt. Als der Kongolese Ende Februar in Goma die grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, treffen wollte, strich die deutsche Botschaft ihn kurzfristig von der Gästeliste. Von deutscher Regierungsseite gibt es zu der gesamten Affäre keine Stellungnahme. „Die haben noch überhaupt nicht reagiert“, erklärte Ryamukuru diese Woche der taz. „Ich muss warten, dass die Deutschen etwas tun. Ich will, dass die GfE oder die deutsche Regierung eine Somikivu-Vorstandssitzung einberufen.“
Das deutsche Schweigen ist symptomatisch. In Ostkongos Mineralienhandel hatten Deutsche zu Kriegszeiten erheblichen Einfluss; heute ist das Deutschland eher peinlich. Karl-Heinz Albers’ Handelsfirma Masingiro war zusammen mit lokalen Partnern vor fünf Jahren kurzzeitig der größte Exporteur von Coltan aus Ostkongo. Aus dem Erz wird neben Niobium auch das für die Handy-Herstellung nötige Tantalum gewonnen. Die deutsche Bayer-Tochterfirma H. C. Starck, größter Tantalverarbeiter der Welt, war damals Hauptabnehmer. UN-Untersuchungen haben diese deutsche Kongo-Connection scharf angeprangert.
Diese Zeiten sind vorbei. Aber das Erbe der Deutschen ist Chaos. Karl-Heinz Albers ist abgetaucht: nachdem er kurzzeitig in Goma in Haft geriet, legte er im März 2004 seinen Somikivu-Posten nieder, meldete seine Firmen als insolvent an und verschwand spurlos. Als Nachfolger bei Somikivu bestellte er einen französischen Geschäftspartner, der wenige Tage später das Amt an Gomas reichsten Geschäftsmann, Modé Makabuza, übergab. Die Mine Lueshe liegt nun still. Es gibt dringenden Handlungsbedarf – aber es geschieht nichts.
Im Coltansektor sieht es nicht besser aus. Tantalverarbeiter H. C. Starck, der nach eigenen Angaben seit 2001 kein Coltan mehr aus dem Kongo kauft, gründete 2003 zusammen mit der britischen Naturschutzorganisation „Dian Fossey Gorilla Fund“ den „Durban-Prozess“ für Coltan, in Anlehnung an den „Kimberley-Prozess“ für zertifizierte Diamanten: Im ostkongolesischen Nationalpark Kahuzi-Biega, wo seltene Berggorillas und auch irreguläre Milizen leben, sollten international überwachte Pilotprojekte für „Gorilla-freundliches Coltan“ entstehen. Die Parkleitung – übrigens ebenfalls deutsch – protestierte erfolgreich gegen diese Begünstigung von Bergbau unter dem Deckmantel des Naturschutzes. Das Projekt kam nicht zum Zuge.
Die Coltan-Förderung im Ostkongo geht unterdessen weiter, spielt aber keine kriegswichtige Rolle mehr. Geld verdienen Ostkongos Händler und Milizen heute mit Zinnerz, um das genauso heftige bewaffnete Konflikte toben wie vor vier Jahren um Coltan. Um neue Ressourcenkriege einzudämmen, wären die deutschen Erfahrungen wichtig.
Aber Deutschland ist nicht dabei, wenn im Kongo Reformvorhaben für den Bergbau diskutiert werden. Kongos Allparteienregierung kämpft gegen Diamantenschmuggel und will der britischen Initiative EITI (Extractive Industries Transparency Initiative) beitreten, die freiwillige Mindeststandards für rohstofffördernde Industrien festlegt – Deutschland ist dieser Initiative nicht beigetreten. Eine parlamentarische Untersuchungskommission überprüft derzeit die bestehenden Verträge kongolesischer Staatsbetriebe und würde gerne mit internationalen Partnern darüber diskutieren – deutsche Vertreter vor Ort lehnen eine Unterstützung dieses Vorhabens ab.
Dabei rückt die Notwendigkeit, Rohstoffausbeutung besser zu regulieren, auf die Tagesordnung der internationalen Menschrechtsdebatte. Amnesty international meldet in seinem gestern veröffentlichten Jahresbericht 2005 „erkennbare Fortschritte“ bei „Arbeiten an einer Kodifizierung der menschenrechtlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten multinationaler Unternehmen“. Die UN-Menschenrechtskommission in Genf beschloss bei ihrer diesjährigen Sitzung erstmals die Einrichtung eines UN-Sonderbeauftragten für die menschenrechtliche Verantwortung transnationaler Konzerne. Lediglich drei Bergbaumächte stimmten dagegen: USA, Australien und Südafrika. Deutschland war dafür. Vielleicht bietet ja die Affäre Somikivu einen Anstoß, dass darauf doch Ideen und Taten folgen.