: Bremen spart illegal bei Hartz IV
SOZIALGESETZBUCH Der Bremer Erwerbslosenverband wirft der Sozialsenatorin Rechtsbruch vor: Die Verwaltungsanweisung zu den Wohnkosten an die Bagis widerspricht Sozialgerichtsurteilen
„In Höhe der tatsächlichen Aufwendungen“ werden Hartz IV- und ALG II-EmpfängerInnen die Kosten für Unterkunft und Heizung nach §22 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs II gezahlt – „soweit diese angemessen sind“. Strom und Warmwasseraufbereitung zählen nicht dazu. Sie sind Teil der Regelleistung.
Einen „fortlaufenden Rechtsbruch zu Lasten zehntausender Haushalte in Bremen“ wirft Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosenverband (BEV) der Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) vor. Sie habe die jüngsten Urteile der Sozialgerichte zur Bewilligung der Kosten der Unterkunft für Hartz IV-EmpfängerInnen in Bremen bislang nicht in die entsprechende Verwaltungsanweisung aufgenommen.
Gleich in drei Punkten hatte die Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis) – verantwortlich für die Umsetzung der Sozialgesetzgebung Hartz IV – seit Jahresanfang Niederlagen vor Gericht kassiert: Hartz IV-EmpfängerInnen hatten zu wenig Wohngeld bekommen. Punkt 2: Die öffentliche Hand muss Mietkautionen übernehmen, auch bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Die Bagis verweigert das bis heute. Drittens: Die Bagis muss Stromschulden als Darlehen übernehmen, wenn eine Sperrung der Strom- oder Wasserzufuhr bei Hartz-IV-Empfängern droht. Auch bei Haushalten ohne Kinder. Die Verwaltungsanweisung – herausgegeben vom Sozialressort – sieht das „vor allem“ für Familien mit Kindern vor, also nicht generell. Dass Rosenkötter eben ihre Verordnung nicht an die Urteile anpasse, sei rechtswidrig, so Thomsen. „Innerhalb weniger Monate“ habe die Bremer Sozialbehörde und die Bagis „in vier Punkten durch Sozialgerichte“ bescheinigt bekommen, dass ihre Umsetzung der Sozialgesetzbuches rechtswidrig sei.
Von Rechtsbruch könne nicht gesprochen werden, meint hingegen der Staatsrat für Soziales, der SPD-Politiker Joachim Schuster. Im Sozialrecht gebe es immer „unbestimmte Rechtsbegriffe, vor allem in den Hartz IV-Gesetzen“. Die hätten bis zu den Urteilen zum Teil einzelne Bagis-MitarbeiterInnen in der Praxis auslegen müssen. Mit neuen Anweisungen an die Bagis sei man bereits auf die jüngste Rechtssprechung eingegangen. „Wir sind in ständigem Kontakt“, sagt Schuster. Die Bagis selbst sah sich gestern zu einer Stellungnahme nicht in der Lage.
Die Verwaltungsanweisung zu den Mietobergrenzen etwa, führt Staatsrat Schuster an, werde in der heutigen Deputationssitzung offiziell geändert. Das bedeutet laut Deputationsvorlage 1,8 Millionen Euro Mehrkosten für die öffentlichen Hand. Geld, dass ansonsten die „Menschen aus ihren Regelsätzen hätten zahlen müssen“, bemerkt Thomsen. Auch an anderen Stellen rechnet Schuster mit Mehrkosten beim Wohngeld. „Es gibt eine hohe Fluktuation bei den entsprechenden Menschen“, sagt er. Ein Drittel der rund 15.000 Bremer Bedarfsgemeinschaft ziehe jährlich um – auch in teurere Wohnungen. Schuster befürchtet, dass Vermieter die Situation für Mieterhöhungen nutzten. AG