: Der Tanz auf einem Bein
Hippen empfiehlt: „Rumba“ von Dominique Abel, Fiona Gordon & Bruno Romy ist ein Pas de deux für Amnesie und Amputation
von Wilfried Hippen
Man kennt die klassische Geschichte von dem klugen Lahmen, den der starke Blinde oder Dumme auf seinen Schultern trägt, wodurch die beiden zu einer starken Einheit verschmelzen. Das wird bewegend, oft auch mit Pathos erzählt, aber komisch kann diese Geschichte nicht sein. Wenn aber der Träger einbeinig wäre und sein Steuermann das Gedächtnis verloren hätte, dann wären die zahlreichen Missgeschicke, die ihnen zwangsläufig unterliefen, von einer, zugegeben eher robusten, Komik. Auf diesem Prinzip baut der belgische Spielfilm „Rumba“ auf, und weil er es zwar mit einer fast schon boshaften Konsequenz bis zum Ende durchspielt, aber auch nichts anderes erzählen will, hat er mit seinen 77 Minuten genau die richtige Länge.
Und er stilisiert von der ersten Einstellung an so radikal, dass kein Zuschauer die beiden Protagonisten als reale Personen ansehen dürfte, über deren Unglück man eher weinen als lachen müsste. Fiona und Dom sind Lehrer an einer Bilderbuch-Schule. Fiona wird von ihren Englischschülern geliebt, weil sie zu der Vokabel Dog einen wunderschönen Hund an die Tafel malt und Dom ist einer von diesen militärischen Sportlehrern, denen die Trillerpfeife an die Lippen gewachsen zu sein scheint. Beide sind exzentrisch und ein wenig linkisch, passen also ideal zusammen. In Schwäne verwandeln sich diese hässlichen Entlein, wenn sie zusammen Rumba tanzen. Bei Wettbewerben gewinnen sie regelmäßig Trophäen, denn so leidenschaftlich, wie sie sich zu dem sinnlichen Latino-Rhythmus umeinander winden, können nur wahre Liebenden tanzen.
Aber nachdem die Musik vorüber ist, wirken sie eher tollpatschig. Wenn da plötzlich ein ebenso ungeschickter Selbstmörder mitten auf der Straße steht, wundert es deshalb keinen, dass dieser schließlich heil und enttäuscht abzieht, während sie direkt in die Katastrophe hineinfahren. Sie verliert ein Bein, er sein Gedächtnis, und so werden ihre Versuche, normal weiterzuleben, zu grotesken Missgeschicken, die sie mit stoischer Ergebenheit über sich ergehen lassen.
Das Darstellerpaar Fiona Gordon und Dominique Abel kommt vom Kabarett und hat zusammen mit dem Filmemacher Bruno Romy jede Sequenz wie einen Auftritt auf der Bühne inszeniert. Regietricks wie die Rückprojektion bei einer Autofahrt sind so betont auffällig eingesetzt, dass dem Publikum auch immer der Prozess des Filmemachens vor Augen geführt wird. Und auch wenn den Figuren noch so Schlimmes widerfährt, wenn ihnen etwa das Haus über dem Kopf abbrennt oder sie sich scheinbar endgültig verlieren, weil Dom natürlich den Weg zurück zur qualmenden Ruine vergisst, wird all das in leuchtend hellen Farben gezeigt. Nicht nur durch die extreme Reduktion bei den Dialogen (die Untertitel bei der Originalfassung hätte sich der Verleih fast sparen können) ist der Einfluss von Jacques Tati nicht zu übersehen, aber ganz so lakonisch wie bei ihm ist der Witz hier nicht, sodass man selten überrascht loslacht, sondern eher amüsiert zusieht, wie eine Situation langsam immer mehr ins Chaos abgleitet. Wenn sich Fiona mit dem gerade von der Post gelieferten und frisch angelegten Holzbein an ein Lagerfeuer setzt, kann man im Grunde schon ausmalen, was in den nächsten 3 Filmminuten passieren wird. Und gerade weil so ausgiebig Fehlschritt für Fehlschritt ausgeführt wird, sieht man mit zunehmender Faszination zu. Der Zuschauer weiß immer mehr als die Filmfiguren, die verzweifeln würden, wenn sie selber Einsicht in ihr Schicksal hätten. So wird hier schön die These illustriert, jede Komödie sei eine Tragödie plus Distanz.