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Archiv-Artikel

Kanzler befiehlt, SPD akzentuiert

Schröder und Müntefering heißen die Autoren des „Wahlmanifests“. Doch die SPD-Linke ist sicher: Ihre Wünsche, etwa bei Hartz IV, werden aufgegriffen

VON ULRIKE WINKELMANN UND LUKAS WALLRAFF

Die Quadratur des Kreises ist jetzt ein sozialdemokratisches Patent. Die SPD wird in die vorgezogenen Bundestagswahlen am 18. September mit einem Kanzler ziehen, der erstens fest zu seiner Agenda 2010 steht und zweitens deren Aufweichung verspricht.

Gerhard Schröder wird das „Wahlmanifest“ allein mit Parteichef Franz Müntefering verfassen. Nein, ein „Team“ werde es tatsächlich nicht geben, erklärte Müntefering in der Nacht zu gestern der staunenden Presse im Berliner Willy-Brandt-Haus. Zuvor hatte der SPD-Vorstand mit den Länderchefs getagt und die Entscheidung für Neuwahlen fast einstimmig begrüßt.

Müntefering verkündete, das Wahlprogramm falle wie das Kanzlerprogramm aus: Agenda 2010 plus der 20 Punkte vom März-Jobgipfel. Ja, auch die Bürgerversicherung sei dabei, sagte der SPD-Chef dann, überlegte kurz und ergänzte: „Die stößt bei mir auf Gegenliebe.“

Trotzdem ist die Parteilinke sicher, dass nicht nur die Bürgerversicherung, sondern „alle Punkte, die wir eingebracht haben“, in dem Manifest „aufgegriffen“ werden, sagte Ex-Juso-Chef Niels Annen gestern zur taz. Er sei „wirklich zufrieden“. Auch Saar-SPD-Chef Heiko Maas ist überzeugt, dass sich die x-fach verlangten Kurskorrekturen in dem Manifest wiederfinden werden. Das soll auf der nächsten Vorstandssitzung am 4. Juni als Skizze vorliegen, und am 4. Juli soll auf einem „kleinen Parteitag“ darüber abgestimmt werden. Maas nannte der taz einen Stopp der Unternehmensteuersenkungen, Mindestlöhne und Modifikationen bei Hartz IV.

Die Arbeitsmarktreform Hartz IV ist es, die der SPD seit eineinhalb Jahren die Zustimmung ihrer Wählerschaft raubt und so als Grund für die Neuwahlen gelten kann. Jetzt könnte sich an Hartz IV auch die Überzeugungskraft des SPD-Blitzwahlkampfs entscheiden. Zwar kündigt Müntefering weiterhin bloß „Akzentuierungen“ an. Darunter wurde bislang verstanden, dass die Gesetzesumsetzung genau verfolgt werden sollte; nur gegebenenfalls werde ein Schräubchen nachjustiert.

Doch nun wird voraussichtlich der Kanzler selbst dafür wahlkämpfen, nicht bloß ein Schräubchen, sondern einen gewaltigen Hebel zu bewegen: mehr und längere Unterstützung für ältere Arbeitslose. Dies ist genau der Punkt, für den Schröder den Hartz-IV-Gegner Ottmar Schreiner „früher regelmäßig angebrüllt hat, sobald der im Vorstand darauf nur zu sprechen kam“, sagte ein Mitglied gestern. Auf der Sitzung am Dienstag habe sich jedoch ein „Fenster“ dafür geöffnet.

Schröder kann kaum anders. Denn gestern stieg die CDU in einen „Hartz IV kuschelweich“-Wahlkampf ein. Der Vizefraktionschef der Union, Ronald Pofalla, erklärte: „Wir glauben, dass Menschen, die lange Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, anders behandelt werden müssen als diejenigen, die erst sehr kurz eingezahlt haben.“ Pofalla schlug vor, dass Arbeitslose ab 15 Jahren Beitragszahlung stufenweise länger Arbeitslosengeld bekommen.

Zieht die Union dies im Wahlkampf hoch, „dürfen wir uns von ihr nicht die Butter vom Brot nehmen lassen“, kommentierte Saar-SPDler Maas gestern. Der Grünen-Linke Christian Ströbele triumphierte: „Ich fühle mich bestätigt“, und brachte die Ironie der rot-grünen Lage auf den Punkt: „Was wir nicht machen, schlägt jetzt die Union vor.“

Sein Parteichef Reinhard Bütikofer freute sich weniger: „Das ist ein demagogisches Versteckspiel.“ Pofalla verschweige, „wie solche Leistungsverbesserungen für ältere Arbeitslose finanziert werden sollen“, sagte Bütikofer zur taz. „Es ist unseriös, hier Hoffnungen zu wecken, die entweder Schimären sind, weil sie gar nicht umgesetzt werden sollen, oder die nur die halbe Wahrheit sind“ – weil Zumutungen an anderer Stelle verschwiegen würden.

Doch SPD und Grüne wollen ja ohnehin getrennt in den Wahlkampf. Dazu passte, dass auch die SPD-Fraktion, die sich gestern zu einer vierstündigen Sondersitzung traf, dem Kanzler „schnelle Änderungen“ für „ältere Arbeitslose“ nahe legte – und ansonsten die Neuwahlen begrüßte. Sehr bald soll sich klären, bis wann ein Konzept zur Hartz-IV-Korrektur stehen kann. Immerhin ist die Riesenbaustelle Hartz IV für die noch amtierende Regierung dank explodierender Kosten eine Riesenbelastung.

Schröder habe auf der Fraktionssitzung beteuert, er wolle keine „Dolchstoßlegenden, die der SPD nur schaden würden“, hieß es gestern. Der Kanzler wolle demnach nicht, dass es so aussieht, als sei er Opfer der Linken und als habe er überhaupt nur deshalb zur Exit-Option „Neuwahlen“ gegriffen.

Der Bundestagslinke Ottmar Schreiner wird sich für so viel Großmut bedanken. Er wollte dem Vernehmen nach seinen Saar-Genossen gestern Abend erläutern, dass er nun doch nicht zur neuen Linkspartei gehen wird – sondern bei der SPD bleibt. Wahlkampf schweißt einfach alles zusammen.