: Dortmund kämpft
Nach der Niederlage ist vor der Niederlage: Ein Besuch bei der NRW-SPD im Wahlkreis des Vorsitzenden Schartau
DORTMUND taz ■ Harry Heyn wird in der heißen Phase des Wahlkampfs auf den Kanaren sein. „La Palma. Das sag ich doch nicht ab“, sagt der bärtige Genosse. Auch das Gewerkschafter-Ehepaar Arthur und Gertrud Gerszewski fährt wie jeden Sommer auch diesmal nach Teneriffa. Und der Stadtwerke-Betriebsrat Reiner Kunkel hat überhaupt keine Lust auf Wahlkampf: „Ich lasse mich doch nicht dafür verheizen, dass der Schröder einen sauberen Abgang bekommt“, sagt er. An der Wand hängt ein altes Wahlplakat von Helmut Schmidt. Darauf steht: „Den Nutzen des Volkes vermehren, Schaden von ihm wenden und für Freiheit und Gerechtigkeit sorgen.“
In einem mit Graffiti besprühten Flachbau in einer Ecke des Grundschulhofs trifft sich der SPD-Ortsverein Dortmund-Asseln zu seinem ersten politischen Stammtisch nach der verlorenen NRW-Landtagswahl. Siebzehn Genossinnen und Genossen schauen sich Tabellen und Zahlenkolonnen an, die der Ortsvereinsvorsitzende Reiner Opitz, ein hagerer pensionierter Regierungsschuldirektor mit Brille und feinkariertem Hemd, an die Wand projiziert. Asseln, fünf S-Bahn-Stationen vom Stadtzentrum entfernt, gehört zum Wahlbezirk Dortmund III. Direktkandidat war SPD-Landeschef Harald Schartau, er gewann sein Mandat mit 47,8 Prozent der Stimmen. Eine der letzten SPD-Hochburgen. Will die SPD im September eine Bundestagswahl gewinnen, muss sie hier knapp 60 Prozent holen. „Achtzehn Leute brauche ich, um alle Häuser im Wahlkampf mit Postwurfsendungen abdecken zu können“, rechnet Reiner Opitz vor. Im jüngsten Wahlkampf habe das „bestimmt zwei Prozent extra gebracht“. Nun denkt er über Hausbesuche nach.
Glaubt man Manfred Güllner, dem Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, dann braucht die SPD überhaupt keinen Wahlkampf zu machen. „Völlig egal, was die machen – die haben keine Chance mehr“, sagt er. „Die Leute haben das Gefühl: Die können es nicht. Die müssen weg.“ Man solle das Beispiel Hartz IV nehmen, schlägt Güllner vor: „Drei Viertel der Menschen kennen einen Arbeitslosen persönlich. Und die finden, dass alles schlechter wird.“ Bei den Arbeitslosen hat die SPD in NRW 8 Prozent der Stimmen verloren. Also Hartz ändern, und einen linken Wahlkampf machen, gegen sieben Jahre eigene Regierungspolitik? „Quatsch. Wenn es doch so einfach wäre, dass man mit ein paar Korrekturen Stammwähler zurückgewinnt. Es hilft nicht, dass die Parteilinke jetzt kräht.“
Die Parteilinke in Asseln, das sind die Gerszewskis, Kunkels, Heyns. Und die beschweren sich, dass sie durch die SPD-Reformen ihren Zahnersatz selbst bezahlen müssen, dass sie 50, 100 oder 150 Euro weniger im Portemonnaie haben „Auch wenn es uns persönlich nicht wehtut. Das kann man den Leuten schlecht erklären“, sagt Gertrud Gerszewski. Es ist nicht die Existenzangst, die die Menschen in Asseln umtreibt: Zwar sind die Straßen nicht ausgebessert, aber die Reihenhäuschen mit ihren kleinen Vorgärten zeugen von einem gewissen Wohlstand. Es geht ums Prinzip: „Die Leute sind sauer auf uns“, sagt Reiner Kunkel. Da hilft es auch nicht, dass sich der Ortsvereinsvorsitzende Opitz müht: „Der produktive Kern Deutschlands schrumpft, die konsumierende Peripherie wächst. Da ist es richtig, Unternehmensteuern zu senken“, doziert er. Und das man im Wahlkampf endlich die Chance habe, die Agenda 2010 noch einmal gründlich und genau zu erklären.
Nur erklären reicht nicht, findet dagegen Thomas Meyer. Der Politikwissenschaftler von der Universität Dortmund hat über Inszenierung von Wahlkämpfen geforscht, zudem ist er Mitglied der SPD-Grundwertekommission. „Man muss die Agenda einbetten“, fordert er. Vermögen- und Erbschaftssteuer, massiver Ausbau der Ganztagsbetreuung – so könne man die Balance in der Gesellschaft wieder herstellen. Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb stellt sich Meyer als Kampf zweier Demokratiemodelle vor: Soziale Demokratie gegen libertäre Demokratie, soziale Teilhabe gegen Marktradikalismus. „Dafür muss es einen Kompromiss zwischen Schröder und der Parteilinken geben“, sagt Meyer. Denn der Kanzler allein könne keine Wahlen mehr gewinnen. „Schröder wird von den Menschen nicht mehr als personifiziertes Erfolgsrezept wahrgenommen. Er muss jetzt mehr Rücksicht auf die Partei nehmen.“
Die Partei allerdings hat nicht viel Zeit, sich zu finden – weder in Berlin noch in Dortmund-Asseln. Denn der Wahlkampf hat längst begonnen. „Wir Sozis nöckeln jetzt erst mal rum, und am Ende stehen wir dann doch alle am Stand“, spricht sich die Ratsfrau Brigitte Thiel Mut zu. Und der Ortsvereinsvorsitzende Opitz sagt: „Es ist normal, dass Leute in Urlaub sind. Das ist immer so.“ Nur aus der Sache mit den Hausbesuchen, daraus wird wohl nichts. „Dann müsste ich ja fast allein gehen.“ KLAUS JANSEN