: „Europa will schneller handeln“
MODERATIONDANIELA WEINGÄRTNER
taz: Der Vorwurf, die Union nehme in der veränderten Welt immer stärker eine militärische Rolle wahr, und der Vorwurf, die Verfassung sei militaristisch, werden in der Debatte häufig vermischt. Versuchen wir das mal getrennt zu sehen: Hat sich die Union bereits vor der Verfassungsdebatte in Richtung Militärmacht entwickelt?
Angelika Beer: Als Konsequenz der Unfähigkeit der Europäischen Union in den 90er-Jahren, die Kriege auf dem Balkan zu verhindern, war die Entscheidung, sich eigene außenpolitische und militärische Kapazitäten anzueignen, richtig. Es geht keineswegs darum, den USA militärisch die Stirn zu bieten. Aber die EU muss als Akteur in der Welt Verantwortung auch in der Frage der Sicherheitspolitik übernehmen – und zwar in erster Linie auf europäischem Gebiet.
In Mazedonien haben wir im polizeilichen Bereich Verantwortung übernommen. Dort ist es uns immerhin gelungen, einen Kriegsausbruch zu verhindern. Mit den Battle-Groups hat die EU die neue Möglichkeit, im Zweifel auch militärisch eine Sicherheitslage zu gewährleisten. Ich halte das für richtig. Gäbe es diese Möglichkeit nicht, würden kleinere Gruppen von Mitgliedsländern in eine „Koalition der Willigen“ eintreten, völlig unkontrolliert. Dann könnte sich Bush diejenigen raussuchen, die bereit sind, völkerrechtswidrige Angriffskriege zu unterstützen. Genau das will ich verhindern.
Herr Becker, sehen Sie einen anderen Weg?
Peter Becker: Die Alternative sieht so aus, dass die EU zwei Instrumente bereitstellen müsste: Die zivile Konfliktbearbeitung und die – nachgeschaltete – militärische Konfliktbearbeitung. Es gibt in der Union eine Rüstungsagentur, aber keine Agentur für zivile Konfliktbearbeitung. Die EU hat ja ein Programm zur Krisenprävention. Wenn man sich aber die finanzielle Ausstattung ansieht, gibt es eine unglaubliche Diskrepanz zum militärischen Bereich.
In Deutschland sind in den letzten fünf Jahren 58 Millionen Euro bereit gestellt worden. Man hat 160 zivile Konfliktbearbeiter ausgebildet und schickt sie nun weltweit in Einsätze. Wenn man diese Zahlen mit dem militärischen Potenzial in Deutschland vergleicht, sieht man die Diskrepanz.
Beer: Bevor man um das Geld streiten kann, braucht man erst die Institutionen, die es sinnvoll verwenden können. Deutschland ist international Vorreiter, zum Beispiel mit dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze. Gerade die Erfahrung mit dem Tsunami hat gezeigt, dass andere Länder hinterherhinken. Zurzeit analysieren wir, wie unterschiedliche Elemente aus der zivilen Konfliktbearbeitung, zum Beispiel in Großbritannien, Schweden und Österreich, konzeptionell mit dem Europäischen Zivilen Friedenskorps zusammengebracht werden können. Wir wollen dafür sorgen, dass auf europäischer Ebene schneller gehandelt werden kann.
Aber davon mal abgesehen – man muss doch sehen, wie groß die Unterschiede sind zwischen der Europäischen Sicherheitsstrategie und der nationalen Sicherheitsstrategie der Amerikaner. Die Europäer versuchen auf friedlichem Wege den Iran davon abzuhalten, Nuklearwaffen zu beschaffen. Die Amerikaner haben das gleiche Ziel – aber sie sitzen Gewehr bei Fuß und sagen: Wenn es schief geht, geht es vor den UN-Sicherheitsrat – und was das bedeutet, wissen wir spätestens seit dem Irak. Ich kritisiere an der Friedensbewegung, dass sie diese Probleme einfach ignoriert. Auch was den Terrorismus angeht, kann man nicht einfach sagen: Schön, dass es uns bislang nicht getroffen hat. Da müssen wir uns doch im Bedrohungsfall gegenseitig helfen, auch im transatlantischen Bündnis.
Ist die Friedensbewegung da zu naiv, Herr Becker?
Becker: Die Friedensbewegung fragt eben erst mal, woher die Bedrohungen kommen. Auch da können wir feststellen, dass zu wenig an den Ursachen für den Terrorismus gearbeitet wird. Präventiv militärisch wird jede Menge gemacht, angefangen von der Verminung der Flughäfen …
Beer: Aber das ist doch ein Grund, die EU zu unterstützen! Das ist das erste Staatenbündnis, das klar sagt, der Terrorismus ist militärisch nicht zu besiegen, wir müssen an den Ursachen ansetzen! Die Union setzt sich zum Beispiel für mehr Entwicklungshilfe ein …
Becker: Wir bekommen von Leuten wie Schily die Allianz gegen den Terrorismus aufgedrückt! Wir haben die Chance nicht ergriffen, die Kultur der friedlichen Konfliktlösung, diesen unglaublich positiven europäischen Entwurf, mit der richtigen Konsequenz voran zu bringen.
Sehen Sie die Europäische Sicherheitsstrategie von Solana auch als einseitig an?
Becker: Solana sagt ja selber, dass die zivile Konfliktbearbeitung immer zu spät kommt, dass die zivilen Helfer hinterher reingehen, um die Schlachtfelder aufzuräumen. Das hat er sehr gut erkannt.
Herr Becker, dann kommen wir jetzt mal zum Verfassungstext. Ialana sagt, es sei völlig legitim, die Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf zu verweigern und von inhaltlichen Änderungen bei der Außen- und Sicherheitspolitik abhängig zu machen. Was sollten das denn für inhaltliche Änderungen sein?
Becker: Wir haben mehrere Forderungen im Verfassungskonvent gestellt: „Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Bewahrung und Förderung des Friedens.“
Beer: Steht drin!
Becker: „Wir verurteilen den Einsatz von Gewalt als Mittel zur Lösung internationaler Streitfälle.“ Das ist Völkerrecht! Im Konvent war es dennoch nicht konsensfähig! Sogar Abgeordnete, die dieser Position nahe stehen, hielten es für aussichtslos, das reinzubekommen. Schade! Der dritte Punkt war: „Der Einsatz militärischer Gewalt ist nur nach vorheriger Feststellung der rechtlichen Unbedenklichkeit in einem geeigneten Verfahren zulässig.“
Wir wollten nach den Erfahrungen im Irak erreichen, dass eine rechtliche Barriere eingebaut wird. Fehlanzeige! Die Nationalstaaten lassen sich diese Entscheidungsmöglichkeit nicht aus der Hand nehmen. Und was steht stattdessen drin? Die Verteidigungsagentur!
Beer: Für mich ist die Verfassung eine Werteverfassung. Die Verteidigungsagentur oder die so genannte Aufrüstungsverpflichtung gehören da nicht rein. Wenn die Verfassung in Kraft ist, kann ich ein Bürgerbegehren anstreben und dafür sorgen, dass verfassungsrechtlicher Unsinn wieder rauskommt. Aber aus solcher Kritik im Detail kann ich doch nicht die ganze Verfassung ablehnen, verhindern, dass die Charta der Grundrechte rechtsverpflichtend für die Europäische Union wird. Damit vergebe ich mir doch unendliche Chancen, europäische Friedenspolitik mitzugestalten.
Und noch mal zurück zur Verteidigungsagentur: Ich will sie nicht in der Verfassung haben, aber als Instrument kann sie positiv wirken. Wenn Deutschland das Raketenabwehrsystem Meads aus der Planungsphase des Kalten Krieges jetzt mit den USA und Italien zusammen verabschiedet, ist das sicherheitspolitisch irrelevant, ein finanzieller Amoklauf – dieser Unsinn wäre mit einer funktionsfähigen Verteidigungsagentur schlichtweg nicht mehr möglich.
Wie stehen Sie zum Vorwurf von Ialana , Artikel I-41 enthalte ein Aufrüstungsgebot? („Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“)
Beer: Ich hab mir die erste militärpolizeiliche Mission der EU in Bosnien gerade angeguckt. Solange die Krise nicht wieder aufflammt, klappt das wunderbar. Doch weder die Funktionsfähigkeit noch die Kommunikation ist da sichergestellt. Ich bin für eine Harmonisierung der europäischen Streitkräfte. Wo sie politisch gewollt zum Einsatz kommen, müssen sie arbeitsfähig und kommunikationsfähig sein. Deshalb bin ich dafür, die militärischen Fähigkeiten auf europäischer Ebene auszubauen.
Frau Beer, Sie haben deutlich den Zusammenhang hergestellt: Nur die Verfassung verhindert ein Kerneuropa, eine Koalition der Willigen in Verteidigungsfragen. Doch die strukturierte Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik wird durch die neue Verfassung doch gerade enorm erleichtert!
Beer: Es ist ein Unterschied, ob sich Regierungen unkontrolliert zu einem Kerneuropa zusammenschließen oder ob das im institutionellen Rahmen der EU stattfindet – also auch mit Konsultationspflichten gegenüber den anderen Mitgliedstaaten und dem EP. Ich könnte mir vorstellen, dass man einen Rat der Parlamente einrichtet, wo sich die nationalen Parlamente und das EP regelmäßig abstimmen. Der Bundestag ist doch bislang fast genauso wenig an der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik interessiert wie die Friedensbewegung. In Deutschland ist derzeit eine enorme Renationalisierung zu beobachten – nehmen Sie die Forderung nach dem deutschen Veto im Sicherheitsrat … gegen solche Alleingänge könnte ein Rat der Parlamente ein Regulativ bilden.
Herr Becker, Ialana sagt, dass im Bereich der Sicherheitspolitik künftig weder eine gerichtliche noch eine parlamentarische Kontrolle stattfindet. Was ist mit dem deutschen Parlamentsvorbehalt? Wird der nicht durch das neue Parlamentsbeteiligungsgesetz gestärkt?
Becker: Es gibt keine Mitentscheidung des europäischen Parlaments und auch nicht des Europäischen Gerichtshofs bei der ESVP. Natürlich muss weiterhin der Bundestag zustimmen. Aber mittelfristig soll der Ministerrat mit Mehrheit über solche Einsätze entscheiden können. Da entsteht doch im Bundestag ein unglaublicher Anpassungsdruck, sich dem nicht zu verweigern.
Beer: Selbst unter einer schwarz-gelben Bundesregierung wird dieser Parlamentsvorbehalt nicht angetastet werden. Frau Merkel hätte die Amerikaner unterstützt beim Präventivschlag gegen den Irak, aber hätte der Bundestag mitgemacht? Ich bin überzeugt, er hätte den Einsatz abgelehnt.