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Archiv-Artikel

Das obskure Subjekt der Begierde

Für Groupies sind schlechte Zeiten angebrochen: Die Megastars des Musikbusiness können und wollen sich keine Skandale mehr leisten. Keine Chance mehr für Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll?

VON CHRISTINA KRETSCHMER

Nobody knows what the famous groupies know

And nobody goes where the famous groupies go

Wings: „Famous Groupies“, 1978

Als den US-Rapper Eminem während seiner vergangen Deutschland-Tournee amouröse Gefühle überkamen, griff er – so vermeldeten es die Boulevardmedien – auf die Dienste einer Prostituierten zurück, statt auf einen von vermutlich hunderten Freiwilligen seiner Fans. Ganz im Gegensatz zu den Hoch-Zeiten des Rock ’n’ Roll, als sich Mick Jagger oder Steven Tyler, Sänger von Aerosmith, mit Groupies so eingehend beschäftigten, dass diese fast ebenso berühmt wurden wie die Stars, mit denen sie Sex hatten: Pamela des Barres, ihre Ostküsten-Rivalin Bebe Buell oder Cynthia Plaster Caster. Die Groupies der Sixties wollten Zugehörige eines Zirkels sein, der sie so faszinierte, dass sie um jeden Preis zu seinem inneren Kern vordringen wollten. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Fans gibt sich ein Groupie nicht damit zufrieden, die Musik des Bewunderten zu hören. Er sucht und findet gezielt Gelegenheiten, in möglichst engen Kontakt mit der von ihnen bewunderten Person oder Gruppe zu kommen.

Doch die großen, die glamourösen Zeiten des Groupies scheinen vorbei zu sein. Möglicherweise haben sie immer nur in der sentimentalen Rückschau derer existiert, die dabei waren. Vielleicht aber hat sich wirklich eine Menge geändert seit den Tagen der berühmtesten Vertreterinnen ihrer Art.

Nachdem sich der Musikmarkt bis Anfang der 90er-Jahre auf über 40 Milliarden Dollar pro Jahr aufgebläht hatte, brach der Umsatz in den Jahren danach dramatisch ein. In der Folge wurde geradezu hysterisch gespart, die großen Labels konzentrieren sich fast ausschließlich auf diejenigen Künstler, die Erfolg garantierten – eine große, bis heute andauernde Langeweile zog ein in ein Geschäft, das einmal wegen moralischer Gefährdung Jugendlicher verdächtigt worden war. Und mit der Plattenindustrie hat sich auch die Welt des Groupies verändert.

Kaum ein internationaler Star, der sich noch ganz unironisch mit seinem enormen Frauenverschleiß brüsten würde und es sich leisten könnte. Selbst wenn er es womöglich gern täte, steht ihm sein sorgsam aufgebautes und vehement verteidigtes Image meist im Wege. Denn der größte Teil der Platten wird heute nicht mehr von rebellierenden Teenagern gekauft, sondern von den erwachsen gewordenen Babyboomern, die ihre wildere Zeiten längst hinter sich haben. Die Familientauglichkeit eines Musikers, der eine breite Masse erreichen will, ist elementar geworden. Nicht mehr Exzesse, sondern die Betonung der eigenen Bodenständigkeit sind neuer Chic – Modell Justin Timberlake: niedlich, aber langweilig. Der Parole von „Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll“ ist die beständige Versicherung gewichen, am liebsten verbringe man seine Abende zu Hause auf dem Sofa bei einer Runde Scrabble.

Hinzu kommt: Wo früher ein Mädchen seine Abenteuer mit einem Star höchstens an einige Freunde weitergeben konnte, ist es heute möglich, innerhalb von wenigen Augenblicken seine Abenteuer in einschlägigen Internetforen zu veröffentlichen. Und auf die hat die ganze Welt Zugang. Ein geradezu besessenes Interesse am Privatleben Prominenter und die umfassende Berichterstattung darüber lassen ihnen kaum noch eine Privatsphäre. Jede noch so unverbindliche Knutscherei wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Regenbogenpresse veröffentlicht und wochenlang wiedergekäut. Wer da noch seiner Libido freien Lauf lässt, tut es kalkuliert.

Looking for a chick

That love that West Coast gangster shit

Yeah girl if you think that you’re the one

Let’s go and have ourselves some fun

213: „Groupie Luv“, 2004

Nichtsdestotrotz sind die Groupies nicht verschwunden. Internetforen, in denen sie sich über ihre Beziehungen zu Musikern austauschen, erfreuen sich größter Beliebtheit. Die Webseite www.metal-sludge.tv, ein am Rande der Realsatire entlangschrammendes Forum für Heavy-Metal-Fans, beherbergt sogar eine Hitparade von Musiker-Penissen, die die Qualitäten und Besonderheiten der jeweiligen „private parts“ von Musikern auflistet. So erfährt der Leser über Zack De La Rocha (früher Rage Against The Machine): „Er ist hervorragend im Bett, obwohl er ein wirklich hässliches Geschlechtsorgan hat, aber seine oralen und Fingerfertigkeiten machen das wieder wett. Er scheint davon besessen zu sein, mit den Haaren eines Mädchens zu spielen.“

In den Foren diskutieren die Teilnehmer darüber, wie am besten an den Star ranzukommen ist, welche Vorlieben er hat, ob er momentan eine Freundin hat. Also doch alles wie früher, in den Swinging Sixties? Nicht ganz, denn die Lektüre mutet wenig enthusiastisch, eher technisch und pragmatisch an. Und prahlerisch. Natürlich kann jeder User behaupten, er sei mit einem Rockstar ins Bett gegangen, und sich ausführlich über dessen sexuelle Fertigkeiten oder Dysfunktionen ergehen. Ob es dazu eine tatsächlich wahre Geschichte gibt oder nicht, ist in der Regel nicht zu ergründen. Wichtiger als der Wahrheitsgehalt scheint den Groupies zu sein, sich zu positionieren. Indem sie behaupten, ein exklusives Wissen zu haben, sich auszukennen, und dieses Insiderwissen an die armen Unwissenden weitergeben, erleben sie eine Aufwertung der eigenen Persönlichkeit.

You always wondered what it’s like

To go from place to place

So, darlin’, take a little ride

On the Mixer’s face

Frank Zappa: „Crew Slut“, 1979

Kerstin Grether, Schriftstellerin und Autorin, hat sich in ihrer Groupie-Kolumne „Zungenkuss“ in der Musikzeitschrift intro ihrer Erlebnisse als Fan bedient, um Mythen und Popidentitäten durchzuspielen. Für sie ist der Begriff Groupie keinesfalls negativ besetzt: „Fans müssen nicht unbedingt Groupies sein; Groupies sind meistens Fans. Frauen, denen es nur um Berühmtheit geht, die gar keine Fans sind, werden eher Ehefrauen als Groupies. Im Rock-’n’-Roll-Biz ist es, im besten Falle, so: Die Groupies kriegen den Spaß und den Spott, die Ehefrauen den Sportwagen. Und die Fans die spontane gute oder schlechte Laune des Stars.“

Groupies treibt es, ins Innere des Zirkels vorzudringen. Dass sie dabei ihre Sexualität einsetzen, sehen sie nicht als Makel an. Im Gegenteil: Pamela des Barres, Mitbegründerin der berühmten Groupie-Formation „GTOs“ (Girls Together Outrageousley), sieht sich selbst als eine der Wegbereiterinnen des Feminismus. Dieser postfeministische Ansatz – wohlgemerkt zu einer Zeit, als die Frauenbewegung selbst gerade Anlauf nahm, den Zeitgeist zu erobern – und das Frauenbild, das Groupies vermitteln, irritieren. Denn einerseits vermittelt das Groupie den Eindruck von Unselbstständigkeit und Unterwürfigkeit: die klassische Muse, die den (männlichen) Künstler durch ihre reine Anwesenheit zu Höchstleistungen inspiriert und ihren Körper vom Genius bewohnen lässt, aber selbst nie von sich aus künstlerisches Potenzial entwickelt. Nicht weil das Groupie keine solche Kreativität hätte; sondern weil es seine Berufung darin sieht, dem Mann zu dienen und dessen Leben zu bereichern.

Andererseits ist der Lebensstil dieser Frauen extrem unkonventionell. Schließlich: Gerade sie waren es, die eine Ökonomisierung der sexuellen Beziehungen betrieben. Schon in den 60er-Jahren verweigerten sie sich der gängigen Frauenrolle, die für sie vorbestimmt schien: der der braven Hausfrau. Stattdessen betonten die Groupies ihren Willen zum Spaß und zelebrierten ihren hedonistischen und unkonventionellen Lebensstil offensiv in der Öffentlichkeit.

From San Jose down to Santa Fe,

Kiss me quick, baby, won’tcha make my day.

Down to New Orleans with the Dixie Dean,

’cross to Dallas, Texas with the Butter Queen.

Rolling Stones, „Rip This Joint“, 1972

Bevor Pamela des Barres zum bekanntesten Groupie der Welt wurde, war auch sie Fan. In ihrem Jugendzimmer unter Beatles-Postern war der Höhepunkt ihrer Ekstase, ein Sammelbildchen von Paul McCartney zu betrachten, das sie wie eine Reliquie aufbewahrte, weil sich unter der Hose des Popstars seine Männlichkeit abzeichnete. Erst als sie 1965 durch Freunde den Musiker Captain Beefheart in Los Angeles traf, veränderte sich ihr Leben grundlegend. Mit sechzehn Jahren begann sie, die Welt des Rock ’n’ Roll selbst zu erkunden, statt weiterhin nur davon zu träumen. Im Laufe ihrer Karriere als Groupie Nr. 1 traf sie vier der fünf Beatles persönlich, ließ sich von einem hartnäckig insistierenden Mick Jagger zu einer Affäre überreden (sie hatte eigentlich ihrem damaligen Freund treu sein wollen) und hatte eine komplizierte Liaison mit Jimmy Page von Led Zeppelin, den sie auch auf einer Tournee begleitete. Über dieses Erlebnis schreibt sie in ihrer Biografie „I’m with the Band“: „Diese drei Tage auf Tour mit Led Zeppelin waren der klassische Rock-’n’-Roll-Himmel. Ich war genau das, was ich immer sein wollte: die Freundin des Lead-Gitarristen der besten Band der Welt.“

Die wenigsten Groupies haben es im Musikbusiness zu eigenem Erfolg gebracht. Selbst berühmt werden wollten sie erst, nachdem sie und ihr Tun von anderen – meist männlichen Ikonen – zu Kunst erklärt wurde. Das hat Frank Zappa gleich mehrfach erledigt. Für ihn waren die GTOs und Cynthia Plaster Caster Künstlerinnen. Allerdings durften die GTOs bei Auftritten von Zappa zwar als Background-Sängerinnen auf der Bühne stehen und nahmen unter seiner Anleitung sogar eine Platte auf, doch war ihnen in seinem Kollektiv vor allem der dekorative Platz an seiner Seite zugedacht. Sie selbst wären, so scheint es, nie auf die Idee gekommen, es ihren Idolen gleichzutun.

Am weitesten in Richtung Pop-Art ging Cynthia Plaster Caster, die von den Geschlechtsorganen ihrer berühmten Liebhaber Gipsabdrücke angefertigt hatte – nachdem sie in ihrer Bildhauerklasse dazu aufgefordert worden war, etwas „Hartes“ in Gips nachzubilden. Die Paste, mit der sie die Abdrücke ausführte, war nur kurze Zeit formbar – eigentlich war sie für den Einsatz in der Dentalprothetik bestimmt – und verlangte Modell wie Modelleurin je ganz eigene Kunstfertigkeiten ab. Von Liebe keine Rede. Kein Wunder, dass nicht jede Sitzung von Erfolg, sprich: einem naturalistischen Abbild des Objekts der Begierde gekrönt war.

Kerstin Grether glaubt, dass die Groupies in den 60er-Jahren vor allem Teil des Rock ’n’ Roll sein wollten und dafür den schnellsten und sicherlich nicht langweiligsten Weg wählten. „Groupies sind schließlich die besseren Musen: Sie werden inspiriert und inspirieren zurück.“ Für Grether ist ein Groupie „eine coole Frau, die sich zu Musikern hingezogen fühlt und diesem Verlangen nachgibt – weil sie im Grunde ihres Wesens selber eine Künstlerseele hat und deshalb die Spiegelung sucht.“

Nach den legendären und mittlerweile verklärten Anfängen des Groupietums in den 60er- und 70er-Jahren begann auch in diesem Schattenbereich des Business eine zunehmende Professionalisierung. Das Wissen um die eigene Coolness verschaffte den Groupies Selbstbewusstsein. Sie waren nicht mehr nur persönliches Vergnügen der Stars und deren Geheimnis, sondern konnten ihre Verbindungen und ihr eigenes Exotentum in eigenen Ruhm ummünzen. Mit ihren Autobiografien voller Backstage-Erlebnisse wurden Frauen wie Pamela des Barres oder Bebe Buell zu Ikonen und Ratgeberinnen für hoffnungsvolle Nachwuchsgroupies.

She said I know the drummer, can you let me in?

Tell the guitar player I brought a friend.

Ask the roadies do they need a hand

Tell the manager there’s a girl named Jan (Funkadelics: „No Head

No Backstage Pass“, 1975

Der HipHop ist eine der letzten musikalischen Subkulturen, in denen mit dem Verschleiß möglichst vieler Groupies noch geprahlt wird. In Videos und Songtexten wird die Männlichkeit der Künstler herausgestellt, um den sich weibliche Nacktheit drapiert. Die Demonstration ihrer Männlichkeit beschränkt sich im HipHop nicht nur auf das Herzeigen von mannigfaltigen Einschusslöchern in Körperregionen und das Rekurrieren auf die Herkunft aus dem Ghetto, sondern auch auf die Anzahl ehemaliger und gegenwärtiger Sexualpartnerinnen. Da gehört es zum Geschäft, dass über Stars wie Jay-Z oder Ludacris diverse Gerüchte und Geschichten im Umlauf sind.

Eine andere Besonderheit der HipHop-Kultur ist das offensichtliche und zur Schau gestellte Dienstleistungsverhältnis zwischen Star und Groupie. Die Stars bekommen Sex, eine Bestätigung ihrer Wichtigkeit und in der öffentlichen Wahrnehmung die Aura einer omnipotenten Männlichkeit. Die Frauen bekommen im Gegenzug Sex mit einem bewunderten Star, demonstrativen Luxus, die Nähe zu wichtigen Persönlichkeiten und dadurch selbst eine vermeintliche Bedeutung.

In Interviews, die das amerikanische HipHop-Magazin ozone mit Groupies machte, zeigt sich, wie nüchtern diese ihre Eroberungen betrachten. So beschreibt eine Frau im Interview ihre Affäre mit dem Rapper und Produzenten Jay-Z: „Ich traf ihn in einem Club. Ich fand ihn überhaupt nicht attraktiv, aber er war dabei, berühmt zu werden, und ich dachte, ich hätte etwas zu erzählen. Er sagte zu mir, ich sähe so aus, als hätte ich einen ‚fickbaren Mund‘, was meiner Meinung nach die größte Respektlosigkeit war, die ich jemals gehört hatte. Wir trafen uns drei Monate, und er kaufte mir zwei Pelzmäntel, Diamant-Ohrringe und gab mir vor allem Geld, ungefähr 3.000 Dollar insgesamt.“

Groupies come and groupies go

And they are always at our show

So I garb me the tightest one and purseed straight to the mall

Shes so excited thats shes here with me that she feels she should pay here fee

And I did not disagree so she droped down to her knees

G. Unit: „Groupie Love“, 2003

Groupies scheinen heute weniger an Musik interessiert, auch nicht an der Teilhabe an einer Szene, sondern rein am Marktwert der Person, mit der sie schlafen. Diese Konzentration auf die ökonomischen Aspekte der Beziehung zwischen Star und Groupie, die mit dem Fan-Aspekt nichts mehr zu tun hat, ist ein Phänomen jüngeren Datums.

Trotzdem lässt sich, trotz aller Nüchternheit und Geschäftsmäßigkeit der Selbstaussagen von Groupies, eine grundsätzliche Faszination des Prinzips „Groupie“ nicht ausschließlich durch eigennützige Motive und das Verlangen nach eigener Bedeutungssteigerung erklären. Für Kerstin Grether ist die Faszination der Vorstellung, mit einer berühmten Person zu schlafen, vieldeutig: „Es geht um das Gefühl, selbst ein Stück des Ruhms abzubekommen. Aber zugleich auch um das Gefühl, endlich mal anonym zu sein. Groupies sind ja oft Frauen, die im Alltag auffallen. Sei es durch extravagante Kleidung oder habituelle Kessheit. Wenn sie mit einem berühmten Menschen schlafen, sind sie endlich mal selber die Unauffälligen. Die Normalen. Mit berühmten Leuten zu schlafen macht einen zu einem ganz normalen Idioten. Manche brauchen dieses Runterkommen. Andere natürlich das Draufkommen. Es ist eben auch ein Machtspiel. Ein Spiel überhaupt. Es geht um Besitz und Illusion und Macht. Das hat auch etwas Trauriges. Denn eigentlich ist das Kriterium ‚Berühmtheit‘ für beide Seiten erniedrigend.“

Grether hat einen Tipp für all diejenigen, die sich selbst gerne als Groupies versuchen würden: „Gründet Bands, werdet so berühmt wie eure Vorbilder. Und dann könnt ihr vielleicht schon bald selbst aus den Groupies auswählen oder andere Stars daten.“

Die legendären Zeiten des Groupies aus Leidenschaft sind lange vorbei. Und in den wenigsten Fällen dürfte das Erlebnis, mit Stars Sex zu haben, einen Karriereschub bedeuten – oder auch nur eine besondere Erleuchtung mit sich bringen. Es sei denn, man betrachtet so ein Abenteuer als lustigen Ausflug in ferne, exotische Gefilde. Dann kann es durchaus reizvoll sein, mit jemandem zu schlafen, der sein Instrument beherrscht.

CHRISTINA KRETSCHMER, 27, ist freie Autorin. Sie wäre gerne Elvis’ Groupie gewesen