: Vergewaltigung als bunter Abend
Zuerst das Leiden, dann der Umtrunk: Die Ex-Hure Lisa Moss stellte ihre Autobiografie vor. Rolf Eden war auch da
Schon komisch, wie der Trick immer wieder funktioniert. Da erzählt eine Ex-Prostituierte aus ihrem Leben – und schon brummt die Pressekonferenz im Varieté-Saal der Ufa-Fabrik. Oder sind die vielen Menschen wegen der anschließenden „Erotik-Performance“ da? Lisa Moss ist 37, arbeitete 20 Jahre lang als Prostituierte und hat zwei Söhne. In „Das erste Mal und immer wieder“ erzählt sie von zwei Vergewaltigungen in der Familie, drei weiteren Gewalttaten von Freiern, dazu ungefähr 6.000 sexuellen Handlungen für Geld und einer Menge umsonst, für Liebe nämlich.
Das sind traurige, dramatische Geschichten, die die schlanke blonde Frau erlebt hat. Traurige Geschichten, die alte Fragen aufwerfen, die auch an diesem Abend nicht zur Sprache kommen: Wie viele Prostituierte haben in der Kindheit (oder später) sexuellen Missbrauch erlebt? Inwiefern hängt das – oder tut es das überhaupt – mit ihrer Berufswahl zusammen? Wieso gilt es nach wie vor als anstößig, Hure zu sein, wieso sind „Nutte“ und „Hurensohn“ Schimpfwörter, obwohl doch die Freier diejenigen sind, die sich Körperlichkeit teuer erkaufen müssen? Wieso gehen Leute wie Rolf Eden zu einer solchen Pressekonferenz, hat der senile Zwangsplayboy vielleicht besonders viel Mitleid mit vergewaltigten Frauen? Oder liegt es an dieser merkwürdigen Mode, sich als Mann mit käuflichen Frauen, mit Milieu zu umgeben, weil man meint, es ließe einen männlicher und mächtiger aussehen, obwohl doch genau das Gegenteil der Fall ist?
Die Autorin gibt keine Antworten, sie kann sie nicht geben. Sie berichtet von einem Leben zwischen Blasen, SM, mehr oder weniger spendablen und gewalttätigen Freiern, mehr oder weniger betrunkenen und gewalttätigen Partnern und zwei Söhnen, die sie liebt, deren Erziehung sich aber schwierig gestaltet und von denen sie darum viel zu oft und schmerzlich getrennt ist, und von ihrer starken Liebe zu den Falschen. Ihre heartaches ziehen sich bis zum Schluss, wo sie – schon wieder! – von einem Mann ganz schrecklich enttäuscht wird.
In der Ufa-Fabrik liest sie die Passagen nur an, im Buch selbst geht sie genau ins Detail. Manchmal kann man kaum glauben, dass sich so viel Pech, so viel Schicksal auf eine Frau konzentrieren kann: Vergewaltigung, daraus folgt Schwangerschaft, daraus folgt Geldnot wegen der teuren Abtreibung, daraus folgt der Körperverkauf. Man möchte glauben, dass nicht alle Prostituierten durch Gewalt in ihren Beruf getrieben wurden.
Das Publikum ist teilweise grell auf-, teilweise grell abgetakelt, die anderen stehen staunend um die stolzen Halbseidenen herum und denken: Milieu. Bei der Lesung des inhaltlich und sprachlich eher traurigen Buches lacht ein Mann im Zuschauerraum kurz auf, als die Autorin von ihren Hassgefühlen gegen ihren ersten Vergewaltiger spricht.
Spätestens da überlegt man, ob der Rahmen, das Varieté, die anschließende Erotik-Performance, der Freisekt und das Freibier, die Boulevardkameras in der Lobby wirklich das Richtige sind, um das harte Leben einer Professionellen aufzuarbeiten. Und es beschleicht einen das Gefühl, dass dieses ganze möchtegern-lockere, möchtegern-erotische Brimborium einfach nur eine weitere Vermarktung des Unglücks ist, eine weitere Vermarktung einer Frau. Kunde ist dieses Mal nicht der Mann, sondern der Verlag. JENNI ZYLKA
Lisa Moos: „Das erste Mal und immer wieder – Autobiografische Schilderung einer Prostituierten“. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2005, ca. 320 Seiten, 9,90 €