: Rot-Grün verpasst jedes Klimaschutzziel
Die Atmosphäre in der Koalition hat sich binnen einer Woche aufgeheizt wie seit 1998 nicht mehr. Im Streit um die Senkung der Unternehmensteuern greift der Kanzler die Grünen nun erstmals offen an – fasst Schröder schon Schwarz-Rot ins Auge?
VON PATRIK SCHWARZ UND LUKAS WALLRAFF
Der Unterschied zwischen einer Implosion und einer Explosion ist, wenn man das als physikalischer Laie richtig verstanden hat, der zwischen einer Koalition, die in sich zusammenfällt und einer, die auseinander fliegt.
Hinter einer Explosion steht bisweilen die Absicht, einen vorher berechneten Effekt zu erzielen. Knapp eine Woche nach dem „Tag Müntefering“, an dem der SPD-Chef nach Schließung der Wahllokale in NRW das Aus der rot-grünen Koalition im Bund einleitete, ist das die Frage: Steckt hinter den zunehmend feindseligen Äußerungen beider ehemaligen Partner über einander Kalkül oder Verzweiflung?
Ein Überblick in sechs Tagen. Sonntag: SPD kündigt Neuwahlen an, die Grünen sind überrumpelt. Montag: Die Grünen rappeln sich auf, geloben, Lagerwahlkampf für Rot-Grün zu machen. Dienstag: Zeit-Interview des Kanzlers – die SPD wird ohne Grüne in den Wahlkampf ziehen. Mittwoch: Grüne rüsten sich für Wahlkampf auf eigene Faust. Donnerstag: Oder ist der Koalitionsausstieg die bessere Lösung? Die Grünen beraten – und teilen der SPD zunächst mit, die Senkung der Unternehmensteuer, so wie sie von Schröder und Finanzminister Hans Eichel geplant ist, nicht mitzutragen. Freitag: Der Kanzler lässt wg. der verweigerten Steuersenkungen über Regierungssprecher Béla Anda seinen Ärger auf „maßgebliche Führungskräfte“ der Grünen verbreiten, wirft ihnen Blockadepolitik vor. Grünen-Finanzpolitikerin Christine Scheel reagiert empört: „Das ist eine Unverschämtheit.“
Die Grünen werfen der SPD inzwischen offen vor, Lügen zu verbreiten. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß hatte erklärt, die Fraktionsspitze der Grünen habe die SPD-Fraktion am Donnerstag informiert, dass sie „die von der Bundesregierung beschlossene Unternehmensteuerreform nicht mittragen werde“. Eine Darstellung, die auch Müntefering verbreitete. Alles Unsinn, sagen die Grünen: „Diese Darstellung ist falsch“, sagt Scheel.
Vonseiten der Grünen-Fraktionsführung wurde gegenüber der taz zwar bestätigt, dass es am Donnerstag tatsächlich ein Telefonat zwischen den Fraktionschefs Müntefering und Krista Sager (Grüne) gegeben habe. Dessen Inhalt sei aber ganz anders gewesen, als es die SPD darstelle. Sager habe vielmehr versichert, die Grünen würden die Steuersenkung durchaus mittragen, aber eben nur, wenn die Gegenfinanzierung „komplett gesichert“ sei. Von einer Wende der Grünen oder einer grundsätzlichen Ablehnung der Steuerreform könne keine Rede sein, man sei weiter zu Gesprächen bereit.
Die Grünen wollen nach wie vor, dass die Mindereinnahmen durch die Senkung der Unternehmensteuer dadurch ausgeglichen werden, dass die Unternehmen an anderer Stelle belastet werden: nämlich durch eine Regelung, die verhindert, dass Unternehmensverlagerungen ins Ausland wie bisher steuerlich begünstigt werden. Der SPD-Teil der Regierung lehnt diese Belastung der Unternehmen jedoch ab. Eichels Sprecher machte gestern deutlich, dass die Forderungen der Grünen nicht aufgegriffen würden – aus europarechtlichen Gründen.
Für die Grünen steckt hinter der Weigerung, auf die Grünen-Vorschläge einzugehen, „ein albernes Schwarze-Peter-Spiel“ des Kanzlers. Das vermutete Motiv Schröders: Nicht die eigene SPD-Linke, sondern die Grünen sollen schuld sein, wenn die Unternehmensteuerreform scheitert. Also alles nur ein Ablenkungsmanöver auf Kosten der Grünen? Nach Berichten aus der SPD haben sich auch im SPD-Vorstand und in der SPD-Fraktion zwei Drittel bis drei Viertel der Genossen gegen Eichels Konzept ausgesprochen.
Offen bleibt, wie weit Schröder den Konflikt treibt. Bisher hat er nur ankündigen lassen, dass er am 1. Juli im Bundestag die Vertrauensfrage stellen will, die er verlieren möchte, um Neuwahlen einzuleiten. Aus der verfassungsrechtlich problematischen, vorgetäuschten Niederlage könnte eine echte werden, wenn die Grünen Nein sagen.
Die Vertrauensfrage mit Eichels bisherigem Steuerplan zu verknüpfen, sei aber gar nicht möglich, sagen die Grünen. Ohne ein Konzept zur Gegenfinanzierung, das die Grünen akzeptieren könnten, werde man die Unternehmensteuerreform schon vorher im zuständigen Bundestagsausschuss ablehnen. „Der Gesetzentwurf verlässt den Ausschuss nur, wenn sich zuvor die Koalition auf einen Gesetzeswortlaut verständigt hat“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck der taz. Und er warnt die SPD vor einem Alleingang im Ausschuss: „Wir haben uns in der Koalitionsvereinbarung verpflichtet, keine Alleingänge zu machen.“ Heißt auf Deutsch: Andernfalls wäre die Koalition beendet. Mit einer Explosion.
Nur, was käme dann? Zum Abschluss der rot-grünen Chaoswoche ließ Müntefering den Spiegel wissen, eine große Koalition sei jedenfalls „keine Sünde“.