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Archiv-Artikel

Alphatierchen in Ost und West

DER WOCHENENDKRIMI Zu Ostern bringt eine Doppelfolge im städtepartnerlichen Doppelpack die Marke „Tatort“ zum Glänzen. Ambitioniert, aber nicht allzu aufregend

VON STEFFEN GRIMBERG

Warum eigentlich immer Leipzig? Nirgendwo sonst tauchen „Tatort“-Kommissare derart häufig und unangemeldet auf wie in der sächsischen Großstadt, wo sie in fremden Revieren wildern. Das war schon ganz am Anfang so. „Taxi nach Leipzig“ hieß der erste „Tatort“ überhaupt, damals, anno 1970, ermittelte der Hamburger Kommissar Trimmel in der Mustermessenstadt. Die Messe hat längst ihre Bedeutung verloren, doch das Muster blieb: Schlappe 457 „Tatorte“ später machte sich im Jahr 2000 das Kölner Ermittlerduo Max Ballauf und Freddy Schenk ebenfalls nach Leipzig auf, ohne sich bei den Kollegen vor Ort anzumelden. Im Jahr 2002 revanchieren sich wiederum die Leipziger und fahndeten ohne Ankündigung in Köln.

Und am Osterwochenende ist es endlich wieder einmal so weit: Mit gar nicht polizeifeiner Dauerhöchstgeschwindigkeitsübertretung rasen Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) nach Leipzig. Es geht um eine junge Frau aus Leipzig, die gerade eben tot aus dem Rhein geborgen wurde. Dieses Mal hat es sogar nur zehn Jahre für den kooperativen Einsatz – und trotzdem 320 Folgen der Krimireihe gedauert, was man ganz nach Belieben als Beleg für den Erfolg der Marke „Tatort“ oder den Beweis des inflationären Einsatzes von TV-Krimis im Hauptabendprogramm werten kann.

Das Opfer, die 15-jährige Sarah Stellwag, hatte in Leipzig auf der Straße gelebt und war auf den Strich gegangen, weshalb sich Ballauf dort ganz unbürokratisch umschaut. Dabei kriegt er prompt von seinem Leipziger Amtsbruder Andreas Keppler (Martin Wuttke) auf die Nase. Denn Keppler und seine Kollegin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) ermitteln ebenfalls im Straßenkindermilieu, ihre Tote heißt Lisa Noack, war ebenfalls 15 und schaffte gelegentlich an. „Kinderland“ heißt dieser „Tatort“ aus Leipzig, bei dem von heiler Welt der Jugend nicht die Rede sein kann. Und der – Weltpremiere! – nach den üblichen 90 Minuten auch noch weitergeht.

Denn am Ostermontag ermitteln beide Kommissarteams in Köln weiter („Ihr Kinderlein kommet“, Mo., 9. 4., 20.15 Uhr, ARD). Ein weiteres, in Leipzig verschwundenes Mädchen wird nun in der Stadt am Rhein vermutet. Sie lebt – noch. Doch die Zeit drängt: Hat man es doch offenbar mit einem Serienmörder zu tun, der sich an jungen Menschen vergreift, die ohnehin schon „vermisst“ sind.

Laut Bundeskriminalamt waren Anfang 2012 rund 1.900 Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren als vermisst gemeldet, rund drei Prozent von ihnen, so die BKA-Statistik, blieben auch nach einem Jahr verschwunden. Keine ganz leichte Kost, die Thomas Jauch (Regie) und Jürgen Werner (Buch) da zum Osterfest servieren – noch dazu mit der doppelten Herausforderung der Doppelfolge. Denn natürlich hat auch „Kinderland“ einen abgeschlossen Handlungsstrang – der Fall Noack wird gelöst, doch die große Frage bleibt am Ende offen. Wobei der Cliffhanger einen auch nicht um den Osterschlaf bringt.

Für Regisseur Thomas Jauch stand denn auch die Idee, die Zusammenarbeit der beiden Kommissarteams von immer mal wieder stattfindenden „kleinen Besuchen“ zu einer echten „Erweiterung als Zweiteiler zu verzahnen“, im Vordergrund. Anders als die sonst üblichen ein bis zwei Tage Drehzeit im jeweils „anderen“ Revier wurden bei „Kinderland“ und „Ihr Kinderlein kommet“ eher neun bis zehn Tage in der „Partnerstadt“ gedreht, erzählt Jauch. Und dass die vor allem von Keppler und Ballauf zunächst gepflegte Animosität der Alphatierchen hübsch aufs Drehbuch beschränkt blieb. Was wohl erst recht für die kleinen amourösen Andeutungen zwischen Schenk und seiner Leipziger Kollegin Eva Saalfeld gilt. „Spaß gemacht hat’s, das war ganz souverän, uneitel und mit sehr viel Humor“, sagt Jauch, keiner habe „um noch ein Close-up oder ein paar Zeilen mehr“ gefeilscht. Wenn es überhaupt Stress gab, dann eher den, die vier vielbeschäftigten Darsteller terminlich unter einen Hut zu kriegen. Die „Spielfreude hat das jedenfalls eher noch beflügelt“. Stimmt: Die interkommissarisch-menschlichen Zwischentöne machen den Reiz der Doppelfolge aus. Wobei die Sachsen nicht ganz so brillieren wie die Herren vom Rhein; dafür liegen die Leipziger Ermittler immerhin in Sachen Ökobilanz ganz weit vorn: Während die Kölner Kommissare mit dem Bleifuß in Schenks unvermeidlichem Straßenkreuzer unterwegs sind, kommen Saalfeld und Keppler brav mit der Bahn.

Und obwohl die Problematik der Straßenkinder nicht so prägnant herausgearbeitet wird wie sonst die in fast allen „Tatorten“ zu findende gesellschaftspolitische Dimension, passt sie zu den Darstellern. Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär engagieren sich seit dem „Tatort: Manila“ (1998) für Kinder auf den Philippinen. Und Simone Thomalla hat in Leipzig einen Scheck übergeben für den Verein Straßenkinder, der sich seit 2003 für junge Menschen einsetzt, die auf der Straße leben. Schränkt so viel Anteilnahme den Regisseur eigentlich in seiner Arbeit und Freiheit ein? „Nein“, sagt Jauch, „das hat uns in keiner Weise tangiert“, schließlich habe das „nichts Missionarisches, und ’ne Sammelbüchse hat auch niemand bei den Dreharbeiten aufgestellt“.

Das Team war am Ende mit der Köln-Leipziger Viererbande höchst zufrieden, und Jauch, der ab Mittwoch in Dortmund den neuen Ruhrgebiets-„Tatort“ dreht, hofft auf Neuauflagen. „Natürlich muss man mit der Marke ‚Tatort‘ sorgsam umgehen, aber im Jahresabstand ließe sich da bestimmt was machen.“ Zumal die Münchner, die sich noch gerne an den Kurzbesuch ihrer Ludwigshafener Kollegin Lena Odenthal erinnern, auch „mal gern was mit den Kölnern drehen würden“.

Doch noch mehr scheint der Krimistadt Leipzig das Reisen im Blut zu liegen, nicht nur in der ARD. Das ZDF hat jedenfalls seine „Soko Leipzig“ schon 2009 in einem gemeinsamen Fall mit dem Ermittlerteam der britischen TV-Krimireihe „The Bill“ gekreuzt und in London ermitteln lassen. Da gibt es allerdings nicht so schöne, kommissarabschiedstaugliche Imbissbuden wie am Rhein. Obwohl: Die Kölner Wurstbraterei mit dem berühmten Domblick ist ja auch nicht echt.