: Der Eiersucher
HANDEL Caspar von der Crone wird dafür bezahlt, dass er sich Eier ansieht. Weil die oft nicht hühnerfreundlich produziert werden. Trotz Käfigverbot. Wie man Hennen schützt – und erkennt, woher das Frühstücksei kommt
CASPAR VON DER CRONE, KONTROLLIERTE ALTERNATIVE TIERHALTUNGSFORMEN
VON ANNE MEYER
Caspar von der Crone wiegt das Ei in der Hand. Blau ist es, ziemlich blau, und es glänzt, als sei es lackiert. Jede Flüssigkeit würde davon abperlen. Unmöglich wäre außerdem, seine Herkunft zu bestimmen. Käfig, Bio, Freilandhaltung? Nein danke, sagt von der Crone. Er möchte das Ei nicht essen. Aber nur, weil er gerade beim Italiener um die Ecke zu Mittag gegessen hat.
Untersuchen kann er das Ei natürlich trotzdem. „Ist der Dotter dunkelorange, dann stammt es mit ziemlicher Sicherheit nicht aus Biohaltung“, sagt er. Weil der deutsche Konsument sein Eigelb lieber als Eiorange verspeist, mischen Futtermittelhersteller den Farbstoff Canthaxanthin in die Tiernahrung. Allein Biohennen bleiben davon verschont.
Hier in Bonn-Friesdorf, im Erdgeschoss eines einfachen Neubaus zwischen Bildungsministerium und Einfamilienhäusern, sitzt der Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen, kurz KAT. Als dessen Geschäftsführer ist Caspar von der Crone, randlose Brille, schütteres Haar, so etwas wie der deutsche Eierpapst. Ungefähr 95 Prozent aller in Deutschland verkauften Eier aus alternativen Haltungsformen – womit alles außer Käfighaltung gemeint ist – tragen ein KAT-Zertifikat. Im Grunde hat der laut Eigenwerbung größte europäische Verband für die Eierwirtschaft seinen Namen aber gar nicht mehr verdient: Die „alternative“ Haltungsform ist in Deutschland längst Standard; die Hennen in Käfigen zu halten ist seit Ende 2009 verboten – wie eigentlich in der gesamten EU.
Muss also niemand mehr befürchten, irgendwo das Ei eines armen Käfighuhns untergeschoben zu bekommen? „In deutschen Supermärkten können Sie keine Eier aus Käfighaltung mehr kaufen“, sagt von der Crone. Was jedoch nicht heißt, dass es diese Haltungsform nicht mehr gibt: „In der EU werden noch immer 100 Millionen Hühner in Käfigen gehalten.“ Und obwohl die EU schon 1999 ein Verbot beschlossen hat, haben zwölf Länder die Verordnung noch immer nicht in nationales Recht umgesetzt. In Polen wurden 2011 noch rund 40 Prozent der Legehennen in konventionellen Käfigen gehalten, in Griechenland sogar 90 Prozent.
Von der Crone weiß, wie es auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zugeht. Er stammt selbst von einem. Und in einem Ordner sammelt er Daten über alle Arten von Hühnerbetrieben, die man in Deutschland so findet. Er blättert darin, nennt Statistik um Statistik und spricht von Besatzdichte und Gruppennesttiefe. „Was den Freilandauslauf betrifft, gehen unsere Kriterien über die Ökoverordnung hinaus. Wir fordern, dass Bio- und Freilandhühner den ganzen Tag über rauskönnen. Woher soll sonst der Ausdruck Freilandhuhn kommen?“, fragt er.
Seinen Hof im Sauerland hat von der Crone inzwischen verpachtet, er ist jetzt ausschließlich Marketingmann für alternative Haltungsformen. Als solche findet er, die EU-Kommission müsse viel mehr Druck auf die säumigen Länder ausüben. Zwar dürfen diese ihre Käfigware seit Jahresanfang nicht mehr in andere EU-Länder exportieren. Da Spanien oder Polen ihre Käfigeier aber nach wie vor im eigenen Land verkaufen, hat das Exportverbot keine gravierenden Konsequenzen für die Betriebe. Und was noch schwerer wiegt: Als Industrieware, als Eipulver oder Vollei, können die Käfigeier sehr wohl über die Grenze geschickt werden, auch nach Deutschland.
Eier aus Käfighaltung werden also weiterhin verzehrt, gut versteckt in Nudeln oder Gebäck. Immerhin 30 Prozent aller Eier werden laut Eiprodukte-Industrie nicht frisch verzehrt, sondern weiterverarbeitet – und diese „stammen immer noch mehrheitlich aus Käfighaltung“, sagt von der Crone. Eine Kennzeichnungspflicht gibt es hier, anders als bei frischen Eiern, nicht. „Die Eiprodukte-Industrie tut sich unheimlich schwer, auf Käfigeier zu verzichten, weil ihr der Umstieg auf alternative Haltungsformen zu teuer ist.“ Aber das EU-Verbot setzt den Herstellern von Eiprodukten zu: Sie können ihren Bedarf an billigen Käfigeiern nicht mehr so einfach decken. Der Preis für frische Eier ist innerhalb eines Jahres von 80 Cent auf 2 Euro pro Kilo gestiegen. Womit die Käfigeier leider immer noch günstiger wären als die „guten“ Eier.
Caspar von der Crone vertraut darauf, dass sich auch der Handel von Eiprodukten bald nach den Wünschen der Verbraucher richtet. Und der Konsument, der kritische zumindest, will ja wissen, wo es herkommt. Deshalb ist der Stempel auch so eine Erfolgsgeschichte: Seit im Jahr 2004 per EU-Verordnung jedes europäische Hühnerei nur mit Prüfnummer in den Handel gelangen darf, kann der Eikäufer relativ leicht herausfinden, wie und wo die Hennen gehalten wurden. „Etikettenschwindel gibt es nicht mehr“, sagt von der Crone. „Mit dem Stempel können Sie sicher sein, auch das zu bekommen, was draufsteht.“ Manchmal erhält man sogar ein Foto vom betreffenden Hühnerhof dazu, wenn man die Nummer auf der Homepage www.was-steht-auf-dem-ei.de eingibt, die von der Crones KAT-Verband betreibt.
Aber kann er wirklich wissen, dass die Bauern ihre Eier nicht falsch stempeln? Er sagt, er kann. Weil seine Mitarbeiter die Bauernhöfe in unangekündigten Besuchen kontrollieren und sein Verband über ein System verfügt, das genau erfasst, wie viele Eier wo produziert werden: Gibt es auf einem Hof plötzlich mehr Bioeier als sonst, fällt das schnell auf. Wer versucht, zu täuschen, fliegt aus dem Verband.
Rund 25.000-mal im Monat wird auf der KAT-Homepage eine Eiernummer eingetippt, kurz nach dem Dioxinskandal waren es noch mehr. Von der Crone freut es, diese Zahlen aufzusagen. Eine Anleitung dafür hat er parat: Die Zahl 0 am Anfang steht für Bio, 1 für Freiland, 2 für Boden, 3 für Käfighaltung. Wobei es die 3 auf deutschen Eiern ja nicht mehr geben sollte.
„Gibt es aber doch“, sagt von der Crone. In sogenannten Kleingruppen dürfen Legehennen in Deutschland auch heute noch in Käfigen gehalten werden; man nennt sie dann allerdings Kleinvolieren. Klingt süß. Trotzdem bieten die den Hühnern kaum mehr Platz als vorher. 7,5 Prozent aller deutschen Legehennen leben in solchen Volieren. „Da sind bis zu sechzig Hühner drin, jedes Huhn hat 890 Quadratzentimeter Platz. Sie können sich ein Nest und eine Scharrfläche teilen, die ihren Namen aber kaum verdienen“, sagt von der Crone. Diese Käfigeier werden auf Wochenmärkten verkauft oder landen in Eiernudeln und Fertiggerichten.
Zwar soll mit der Haltung in Kleinvolieren auch bald Schluss sein. Ein Datum ist aber nicht bekannt. Seit dem 1. April sind die Bundesländer dafür zuständig, einen Termin für den Ausstieg zu finden. Auf EU-Ebene ist das Jahr 2023 für das Ende der „ausgestalteten Käfige“, also Kleinvolieren, im Gespräch. Ein Termin, der den Hühnerhaltern freilich zu früh erscheint. Das Huhn bleibt also vorerst im Käfig.
Caspar von der Crone isst am liebsten kleine Eier. „Weil das Eiweiß-Dotter-Verhältnis da günstiger ist.“ An die ganz kleinen, das Erstgelege von Junghennen, komme man aber im Supermarkt gar nicht ran. Die gibt es nur dort, wo er selbst groß geworden ist: auf dem Bauernhof.