: Tiere gehen immer
HASEN Fast jeder Reporter fängt mit Kaninchenzüchterberichten an. Was erzählen diese Vereine über Journalismus?
■ Shorty: Ein Informationskasten, der als Ergänzung zu Artikeln auf der Zeitungsseite steht, wird in der taz „Shorty“ genannt. Die Ziele der Form sind vielfältig: einen Leseeinstieg bieten, den Anschein von Faktenbasiertheit stärken oder auch lästige, störende Zahlen aus dem Text heraushalten.
■ Zeitungskrise: Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger gab es 2011 347 Tageszeitungen in Deutschland. Davon waren 329 Regional- und Lokalzeitungen, 10 überregionale und 8 Straßenverkaufszeitungen (tägliche Boulevardblätter). Die Gesamtauflage der Tageszeitungen lag bei 18,8 Millionen. 1991 lag sie noch bei 27,3 Millionen, seitdem nimmt sie kontinuierlich ab.
■ Kaninchenzüchterkrise: Zur Bundeskaninchenschau, der größten dieser Art weltweit, waren 2011 25.558 Kaninchen angemeldet. Die meisten (3.805) kamen aus Bayern, die wenigsten (56) aus Hamburg. 1990 wurden noch etwa 37.000 Kaninchen ausgestellt.
AUS BERLIN UND WITTLICH MARTIN REICHERT
Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Ohne diese fünf Wörter geht im Journalismus gar nichts. Und genau so gilt dort, dass man einen Text mit einem Satz beginnt, der den Leser so in den Artikel zieht, dass er ganz sicher bis zum letzten Anschlag weiterliest. Bei diesem Text ist das der Satz: Ohne die Kaninchenzüchtervereine wäre der deutsche Journalismus am Ende.
Diese Geschichte handelt davon, dass Journalisten ihr Handwerk häufig bei Lokalzeitungen lernen und dort dazu verdonnert werden, über Ehrungen langjähriger Mitglieder von Kaninchenzüchtervereinen zu berichten, bevor sie – sagen wir – zum Spiegel gehen oder zur FAZ.
Wer? Der Autor dieses Textes fing als Freier Mitarbeiter beim Trierischen Volksfreund an.
Wann? Dies begab sich zu einer Zeit, in der Artikel mit elektrischen Schreibmaschinen auf Manuskriptpapier – mit vorgegebener Spaltenbreite – gehämmert und Fotos auf Schwarz-Weiß-Film gebannt wurde, bevor ein Bote beides in die Druckerei brachte. Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger.
Wie? Die Geschichte funktioniert so: Der Autor besucht zwei Kaninchenzüchtervereine, die gibt es nämlich immer noch, obwohl sie unter Journalisten längst zu einem Running Gag verkommen sind.
Wo? Besucht wird ein Kaninchenzuchtverein in der Hauptstadt des Hauptstadtjournalismus. In Berlin, also dort, wo man zunächst nicht mit Kaninchenzüchtervereinen rechnet. Der Fokus soll auf die „Frauengruppen“ des Vereins gerichtet sein, weil das unerwartbar ist und diskursiv gut einzubetten. In der Redaktion sagt man: Das ist der Dreh. Und dann noch einen in der Kleinstadt Wittlich, Rheinland-Pfalz, heute „moderne Provinz“. Der Autor hat dort einst sein Handwerk gelernt – er schrieb genau über den Verein, den er nun besuchen wird. Neunzehn Jahre alt war er damals. Genauso alt wie der junge Lokaljournalist, den er dort treffen wird, um mit ihm über Kaninchenzüchtervereine, Handwerk und die Zukunft des Journalismus zu sprechen. Aber nicht nur. Artikel müssen sich aufblasen, es darf nicht nur um Hasen gehen. Sondern auch um Frau und Mann, Heimat und Ferne, Leben und Tod.
Es fehlt nun noch ein sechstes Wort mit W: Warum? Weil Ostern ist und Journalisten Themen gerne aktuell aufhängen. Es ist dabei egal, ob der Osterhase ein Hase oder ein Kaninchen ist, weil den Unterschied kaum ein Mensch kennt – das wäre allerdings zu recherchieren. Die Recherche nämlich gilt als letzter Unique Selling Point des Journalismus in der Krise: Die Zeitungsauflagen sinken seit Jahren und eine ganze Branche brütet über der Frage, wie man mit Journalismus im Internet Geld verdienen, also Redakteursgehälter bezahlen kann. Journalisten beschäftigen sich gerne mit sich selbst, deshalb geht es in dieser Geschichte nicht bloß um Kaninchen, sondern auch um den Journalismus. Und nach diesem komplett unzulässigen Einstieg geht es jetzt richtig los mit der Geschichte, wieder mit einem tollen Einstiegssatz, und das alles – immer noch – auf Papier gedruckt:
In Berlin tätowiert man Kaninchen den Buchstaben D in die Innenseiten ihrer Ohren. (Gut, oder?) Das D steht unerklärlicherweise für den Landesverband Berlin-Brandenburg, in dem sämtliche Kaninchenzüchtervereine der Region vereint sind und ist ein Teil der Kaninchenkennzeichnung. Es sind nicht irgendwelche Kaninchen, sondern hochgezüchtete Rassekaninchen. Sie müssen perfekt gewachsen sein, sie müssen Wettbewerbe bestehen und Auszeichnungen gewinnen. Wenn sie zum Beispiel ein Doppelkinn haben, dann wird ihnen das Fell über die Ohren gezogen und sie kommen in den Kochtopf: So wird es in ganz Deutschland gemacht, und so macht man es auch in Berlin-Lichtenrade, einem Einfamilienhäuser-Viertel am Rande des alten Westberlin.
In einem dieser Häuser wohnen Karin Seipp, Jahrgang 1944, und Harald Seipp, Jahrgang 1941. Beide sind im Kleintierzuchtverein D 380 Buckow – und Karin Seipp leitet dessen Frauengruppe: „Wir sind vierzehn Frauen – der Altersdurchschnitt liegt allerdings bei 68 Jahren. Es ist schwer für uns, Nachwuchs zu finden – und das ist schade, weil so Know-how verloren geht. Man braucht Geschick. Und es ist eben Arbeit“, erzählt Karin Seipp am Esstisch, während ihr Mann den Kaffee macht.
Heute soll sie die Hauptperson sein, was eigentlich machen diese Frauengruppen? „Bei uns zum Beispiel Angorapullover. Das Fell der Angorahasen wird zu Fäden versponnen – das aber machen wir nicht selbst, in Westdeutschland gibt es noch Frauengruppen, die das können.“
Sie selbst kam durch ihren Mann zu den Kaninchen – der ehemalige Beamte hatte sich die Zucht zum Hobby für die Rente auserkoren, und Karin Seipp, sie arbeitete früher als Angestellte im Bezirksamt, klinkte sich im Jahr 2001 ein. „Eigentlich stamme ich aus Recklinghausen – zu Hause hatten wir keine Kaninchen, man hatte dort eher Tauben. Und das mit den Kaninchen, da ging es ja ursprünglich ums Essen, um die Gewinnung von Nahrungsmitteln. Kaninchen schmeckt auch sehr gut, in Sahne- oder Tomatensoße, man kann alles mögliche mit dem Fleisch machen.“
Stricken, braten, basteln – die Männer züchten und misten, die Frauen verarbeiten und kochen? „Nein“, sagt Frau Seipp, „es gibt auch Züchterinnen. In den Verbänden gibt es auch Frauen im Vorstand.“ Ihr Mann ergänzt: „In Brandenburg gibt es sogar einen Mann in einer Frauengruppe!“
Auch bei den Kaninchenzüchtern sind überkommene Rollenbilder anscheinend aus der Mode gekommen – doch leider auch die Kaninchenzüchter selbst: „Die Leute haben heute kleinere Grundstücke und Freizeitgärten. Die Nachbarn – Kaninchen sind zwar nicht so laut wie Hähne, sie klopfen aber. Und der Geruch, man muss streng darauf achten, dass es nicht zu Geruchsbelästigungen kommt. In Brandenburg, da ist es besser, die sind längst führend. Und in Westdeutschland, da ist noch mehr los“, erklärt Harald Seipp.“
Ob er bei Facebook ist? Könnte man doch zur Gewinnung neuer Mitglieder nutzen? „Nein, ich habe keine Freunde, und ich will dort nicht nur meine Kinder nerven.“ Apps? „Ich habe ein Handelsblatt-App für mein i-Phone, aber das ist so klein, ich kann es nicht gut lesen.“ Und berichten die Berliner Lokalzeitungen noch über Kaninchenzüchtervereine? „Ja, manchmal. Aber wenn, dann hauptsächlich an Ostern.“
Da macht man dann mal eine bunte Reportage. Schön mit Freistellern, also mit ausgeschnittenen Hasen ohne Bildhintergrund, die man irgendwo in den Text pappt, damit die Zeitung lebendig und nach Internet aussieht, aber draufklicken nützt dann gar nichts.
Herr Seipp ist nunmehr ganz unauffällig zur Hauptfigur des Gesprächs geworden, Gender-Alarm – wir verlassen die gemütliche Sphäre des Wohnzimmers und gehen zu den Kaninchen. Schwarze Fellhügel hinter grünen Gitterstäben. In seinem kleinen Stall erzählt Seipp, dass er nicht mehr gerne schlachtet: „Nach spätestens drei Stück wird mir komisch zumute.“
Im Garten der Seipps hängt überall Osterschmuck. All das – die Gartenmöbel mit den gepolsterten Auflagen, die Lesebrille neben der Zeitung auf dem Tisch – illustriert das Rentner-Glück zweier Kriegskinder, denen es am Ende doch noch gut gegangen ist. Ein eigenes Haus, Kinder, sie nennt ihn zärtlich „Dicker“. Sie erinnern mich an meine Eltern: Zwei liebenswürdige ältere Herrschaften, die ein Hobby haben. Einfach nur so. Es wird nicht so weit kommen, dass die beiden YouTube-Kaninchen-Videos drehen, um D 380 Buckow im 21. Jahrhundert zu verankern. Und wenn man es nicht besser wüsste, so fühlte man sich hier am Rande der Hauptstadt genauso wie in einer Kleinstadt irgendwo in Westdeutschland, dort, wo es den Kaninchenzüchtern angeblich noch gut geht, dort, wo noch immer meine Eltern wohnen.
Mit dem Zug braucht man fast acht Stunden von Berlin bis nach Wittlich in Rheinland-Pfalz. 15.000 Einwohner und ein Hauptbahnhof, der aussieht wie ein heruntergekommener Berliner S-Bahnhof. Die Stadt liegt in einem Tal, hinter dessen Bergen es an die Mosel, in die Eifel und in Richtung Hunsrück geht. Heimat. „Und du besuchst den Festus?“, fragt meine Mutter, als sie mich am Bahnhof abholt, sich womöglich darüber wundernd, ob Journalisten in Berlin nichts anderes zu tun haben. Über Wulff berichten, Eurokrise, die SPD und Angela Merkel.
Festus, so lautete der Spitzname des Hausmeisters an meinem Bildungsreform-Gymnasium, also einer Schule, an der man sich aussuchen konnte, ob man Latein lernen will oder nicht. Und er war und ist Vorsitzender des Wittlicher Kaninchenzuchtvereins RN 64. RN, das steht für Rheinland-Nassau und wird ebenfalls in Ohren tätowiert – was ich aber seinerzeit, als ich seinen Stallungen zum ersten Mal einen Besuch abstattete, noch nicht auf dem Schirm hatte. Es ging bei dem Artikel damals eher um Mitglieder als um Kaninchen, mehr um einen Bericht als um eine Geschichte. „Man muss bitte, bitte, bitte sagen, wenn der Volksfreund mal was schreiben soll“, sagt Wolfgang Zurgeißel, Festus, und ich habe fast ein schlechtes Gewissen, so wie damals in der Schule, wenn ich ordnungswidrig mit dem Fahrrad die Rampe zum Fahrradkeller hinunterfuhr, anstatt zu schieben.
Aber ich bin ja heute im Auftrag einer Zeitung hier, die damals von konservativen Lehrern misstrauisch beäugt in der Schulbibliothek auslag, während eher liberale oder linke Lehrer es degoutant fanden, dass ich für den Volksfreund schrieb, der als reaktionär und spießig galt, aber die Zeit suchte damals einfach keine freien Mitarbeiter im Einzeitungskreis Wittlich. Es ging darum, das Handwerk des Journalismus zu erlernen: Weinköniginnen interviewen, Bundesverdienstkreuzverleihungen, Schwimmbadbegehungen mit dem Bürgermeister. Und eine einzige Kaninchenzüchtergeschichte in all den Jahren: RN 64.
Damals mümmelten die Kaninchen im Garten der Dienstwohnung von Wolfgang Zurgeißel, direkt neben der Rampe des Fahrradkellers: „Wenn ich mal einen guten scheckigen Wurf hatte, habe ich dem Bio-Lehrer Bescheid gesagt, und der kam dann mit der Klasse – Mendel’sche Vererbungslehre!“ Heute ist Wolfgang Zurgeißel längst in Rente, er wohnt nicht mehr neben der Schule, in seiner Dienstwohnung werden nun „Mediationsräume für die Schüler“ eingerichtet, er sagt das so lakonisch, das man auch irgendwie gleich Bescheid weiß, was er davon hält.
„Man braucht Idealismus“, sagt der Züchter im Westen
Hat der RN 64 eigentlich eine Frauengruppe? „Nein, die wurde aufgelöst, keine Mitglieder mehr. Im Westerwald ist es besser, auch in Idar-Oberstein. Und natürlich in Baden-Württemberg und in Bayern. Wir haben Altersprobleme – ich selbst habe gesundheitliche Probleme und will den Vorsitz jetzt abgeben, ich mache das ja jetzt seit 1973. Seitdem ich nicht mehr so kann, fehlt der Leithammel. Wir brauchen Nachwuchs – und heißen deshalb jetzt Kleintierzüchterverein RN 64, damit mehr Mitglieder kommen. Die Kaninchenzucht, das macht Arbeit, die Leute haben weder Zeit noch Platz in ihren Freizeitgärten. Man braucht Idealismus.“
Seine Frau kommt und setzt Kaffee auf, geht wieder. Wir sitzen in der Küche – man darf rauchen – und ich will von dem Mann, der mir so vertraut vorkommt und den ich eigentlich gar nicht kenne, wissen, was es nun mit diesem Idealismus, dieser Leidenschaft für die Kaninchenzucht auf sich hat. „Es ist das Tier selbst. Wenn man sieht, die Jungen kommen. Und man ist stolz, dass man Frohwüchsige hat, die gut heranwachsen. Ein Krüppel, das ist nun mal so, ist ein Krüppel. Aber wenn man abends die gesunden Tiere sieht, die auf ihr Futter warten, dann geht einem das Herz auf. Kein Tier ist wie das andere.“
Als wir zu den Kaninchen im Stall gehen, hinten im Garten, erzählt er, wie alles angefangen hat. Damals, als 15-Jähriger, hatte er den ersten Deutschen Riesen gekauft, Mitte der Fünfziger: „Ich wohnte bei Pflegeeltern, mein Vater war im Krieg geblieben, meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben.“ Damals ging es noch nicht um die Rassezucht, sondern um Schlachttiere. Ums Überleben ging es: „Einen schlechten Ruf bekamen die Kaninchen ja erst, als man es nicht mehr nötig hatte, sie zu essen, das ging schon Mitte der Sechziger los. Arme-Leute-Essen! Aber noch heute kommt die ganze Straße an Weihnachten und will ein Kaninchen – andere rennen einem die Bude ein, weil sie ein Streicheltier für ihre Kinder wollen.“
Neulich war der Verein sogar zu Gast beim Eröffnungsevent eines Baustoffanbieters, es ging ebenfalls darum, Streichelmöglichkeiten für Kinder zu schaffen. Und je mehr er erzählt, desto mehr Geschichten tun sich auf: Wie sich das Leben nach einer Herzoperation und einem Hirnschlag anfühlt („da bekommste Schiss“), warum er das Internet verschlafen hat, wie Lehrer an einem Gymnasium in Wirklichkeit ticken („Oberstudienrat, Haus gebaut, will Ruhe“).
WOLFGANG ZURGEISSEL, ZÜCHTER
Wolfgang Zurgeißel baut gerade an einer Weihnachtskrippe, die dem Haus seiner Pflegeeltern nachempfunden ist – inklusive jenes Stalls, in dem er sich damals um den ersten Deutschen Riesen kümmerte. Ein ganzes Leben könnte man auffächern, aber der Platz für all die vielen Anschläge, die am Ende eine große Geschichte ergeben, er wird immer kleiner, auch in den Print-Zeitungen. Fotos, Infokasten, Weißraum sollen auf die Seiten. Und im Internet funktionieren sowieso nur kleine Textmengen, weil die Leser nicht weiterklicken oder zu viel scrollen wollen. Wolfgang Zurgeißel und ich müssen Abschied nehmen, weil kein Platz mehr in der Zeitung ist – der junge Kollege vom Volksfreund muss ja auch noch in den Text. Es ist nur noch Zeit für eine kurze Recherchefrage. Der Unterschied zwischen Kaninchen und Hasen?: „Kaninchen werden blind und nackt geboren, Hasen sind hingegen Nestflüchter.“
Der Kollege heißt Sebastian Gubernator, 19 Jahre alt, freier Mitarbeiter der Lokalredaktion Wittlich des Trierischen Volksfreunds und wie ich einst Student der Geschichte. Theoretisch könnte ich sein Vater sein. Schon mal was von Manuskriptpapier und Agfapan 400 gehört? „Die Texte schreibe ich in eine Word-Vorlage und das geht dann direkt ins System, ebenso die Digitalfotos, die Blattmacher in Trier machen den Rest. Die Texte werden dann automatisch auch online gestellt“, erklärt er.
Ich erzähle ihm Geschichten aus der Zeit vor dem Internet wie Opa aus dem Krieg. Von Telefonlawinen, Thermofaxpapier. „Ich glaube an die Zukunft des Journalismus, aber nicht mehr unbedingt an die Zukunft der Zeitung“, sagt er, der es trotzdem total schön findet, seine Texte gedruckt zu sehen, „ich habe schon mit vierzehn Krimis geschrieben, wollte eigentlich Schriftsteller werden. Aber es ist eigentlich viel interessanter, über das richtige Leben zu schreiben.“
Er tritt an in einer Zeit, in der alle irgendwas mit Medien machen wollen, denen es eigentlich schlecht geht. Viele in seiner Altersgruppe studieren gleich „Internetjournalismus“, während er darüber nachdenkt, sich eine größeres Objektiv zu kaufen, damit er bei Terminen ernst genommen wird: „Man braucht schon eine ordentliche Kamera – ich sehe einfach total jung aus, achte darauf, immer ein Hemd anzuziehen. Keinen Kapuzenpulli.“
Journalismus, das ist noch immer – theoretisch – ein offener Beruf. Es reichen ein Hemd, eine Kamera, ein Block und eine gute Schreibe. „Ich bin einfach ins kalte Wasser geworfen worden, und das war wohl auch gut so. Angefangen habe ich mit dem Redigieren von Polizeimeldungen. Der Rest war Learning by Doing – obwohl ich mir am Anfang gewünscht hätte, erst mal mit einem Kollegen mitzugehen bei einem Termin. Ich wusste ja überhaupt nicht, wie ich auf die Leute zugehen sollte.“ War er schon mal bei einem Kaninchenzüchterverein? „Ehrlich gesagt: Nein.“
Ja, er glaube an die Zukunft, sagt der junge Reporter
Stattdessen schrieb er neulich sogar über einen kleinen Skandal: Die Deutsche Bahn weigert sich, auf dem Hauptbahnhof Behindertentoiletten einzubauen. „Aber ansonsten glaube ich nicht, dass ich hier groß etwas aufdecken werde. Darauf ist der Lokaljournalismus nicht wirklich eingerichtet. Dennoch: „Der Artikel über den Bahnhof zum Beispiel wurde anschließend im Netz verlinkt, von Behinderten-Foren. Da gab es dann eine Resonanz über das Lokale hinaus“, sagt er begeistert.
Sebastian Gubernator macht einfach weiter, lernt, demnächst will er zusammen mit Freunden einen politischen Blog aufmachen, „obwohl ich gar nicht weiß, wie das geht“. Und genauso wird es wohl gelingen; einfach weiterschwimmen im kalten Wasser, in dem ab einem bestimmten Punkt Haifische herumschwimmen. Er träumt vom Besuch einer Journalistenschule, später würde er gerne mal bei der Süddeutschen arbeiten oder beim Spiegel – oder bei der taz.
Den Journalismus jedenfalls wird es auch in Zukunft geben, dafür steht Sebastian Gubernator, der junge Mann, der Geschichten erzählen möchte und dem es eigentlich egal ist, auf welchem Vertriebsweg diese publiziert werden. Er weiß längst, wie das geht mit dem Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Aber noch eine Frage an Sebastian Gubernator: Darf man beim Volksfreund in Texten mit dem „Ich“ arbeiten? „Ja, einmal durfte ich das – es ging um eine Reportage über das Wittlicher Nachtleben. Regeln und Handwerk finde ich gut, aber sie sollten nicht zum Zwang werden.“
Der deutsche Journalismus ist noch nicht am Ende, im Lokalen schon gar nicht. Aber um die Kaninchenzüchtervereine wird man sich in Zukunft Sorgen machen müssen.
■ Martin Reichert, 39, ist sonntaz-Reporter. Journalismus war und ist sein Traumberuf