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Archiv-Artikel

Auf die Straße entlassen

WOHNRAUM Wohnungsunternehmen in Bremen und Hamburg sollen laut Vertrag Raum für Obdachlose und Drogenabhängige bereitstellen. Doch der wird nicht erfüllt und viele Bedürftige bleiben ohnehin außen vor

„Der Vertrag galt als großes und fortschrittliches Modell, aber keine Gesellschaft hat sich daran gehalten“

Karoline Linnert, Bremer Finanzsenatorin

VON CARINA BRAUN UND FRIEDERIKE GRÄFF

Die Idee ist so einfach wie überzeugend: Sozialbehörden schließen Verträge mit Wohnungsbaugesellschaften, um Menschen in sozial schwierigen Situationen Wohnraum zu verschaffen. So geschah es 2004 in Hamburg und 1981 in Bremen. Weder hier noch dort werden die Verträge auch erfüllt. In Hamburg vermitteln die beteiligten Unternehmen und Genossenschaften deutlich weniger Wohnraum als vereinbart, in Bremen ist der Vertrag nur noch formal in Kraft.

Dabei galt der Bremer „Wohnungsnotstandsvertrag“ einmal als vorbildlich: Mehrere Wohnungsunternehmen verpflichten sich darin, einen Teil ihrer frei werdenden Sozialwohnungen an Obdachlose und Drogenabhängige zu vermieten. „Der Vertrag galt als großes und fortschrittliches Bremer Modell, aber keine Gesellschaft hat sich daran gehalten“, sagt die heutige Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne), damals sozialpolitische Sprecherin. „Die meisten Wohnungslosen kamen dann eben in Obdachlosenunterkünfte, auch wenn das teurer war.“

In Hamburg ist mit der Saga/GWG ein städtisches Wohnungsunternehmen – und der größte Vermieter der Stadt – einer der zwölf Vertragspartner. Laut Sozialbehörde wuchs zwar jährlich die Zahl der über den Vertrag versorgten Haushalte, doch auch 2008 waren es statt der vereinbarten 1.235 nur 827 Objekte, die an ehemalige Wohnungslose vermietet wurden. Die Behörde erklärt das mit Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt und „der Personenstruktur in der öffentlichen Unterbringung“: Man suche vor allem Wohnraum für Alleinstehende – und damit mehr Wohnungen.

„Wir bringen jedes Jahr eine große Zahl dieser Menschen unter“, sagt Saga-Sprecher Mario Spitzmüller. Wie viele das konkret waren, möchte er nicht mitteilen. Dafür, dass die Wohnungsbaugesellschaften auch Menschen Wohnraum geben, die in sozial schwierigen Situationen sind, möglicherweise Mietschulden oder Schufa-Einträge haben, garantiert die Sozialbehörde gewisse Sicherheiten: Sollten die Mieter die Wohnungen beschädigen, kommt die Behörde dafür auf. Auf den 50.000 Euro-Topf, der dafür jährlich bereit steht, musste bislang kaum zurückgegriffen werden. Weitere Kosten fallen für die Behörde nicht an. Für Mieter, bei denen unklar ist, ob sie in der Lage sind, eine Wohnung zu halten, gibt es Betreuer. Nach einem Jahr wird entschieden, ob der Klient einen eigenen Mietvertrag erhält.

Völlig abgeschnitten von dieser Möglichkeit sind all diejenigen, die in einer Maßnahme eines freien Trägers untergebracht sind: Die Hamburger Fachstellen für Wohnungsnotfälle, die mit den Vermietern kooperieren, sind nur für Menschen zuständig, die in öffentlicher Unterbringung oder auf der Straße leben. „Für die Integration in Wohnraum von Menschen, die sich in stationären Maßnahmen befinden, sind in erster Linie diese Maßnahmen selbst zuständig“, heißt es aus der Sozialbehörde. Horst Brinker vom Verein Jugendhilfe sagt, der Wohnungsmarkt sei „völlig abgegrast“: 2008 habe weniger als ein Fünftel seiner Klienten den Übergang in eine eigene Wohnung geschafft. Damit die übrigen nicht auf die Straße entlassen würden, blieben sie in den Einrichtungen – und belegten Therapieplätze, die andere dringend bräuchten.

In Bremen sind Stadt und freie Träger näher zusammengerückt. Sie gründeten 2006 die Zentrale Fachstelle Wohnen, teilten die Zuständigkeiten zwischen sich auf und schlossen sich dem gemeinnützigen Verein Wohnungshilfe an, der 200 Wohnungen vermietet. Und sie versuchten weiter, den Wohnungsunternehmen Sicherheiten zu bieten – verbindliche Regelungen haben sie nicht erreicht. Die Privatisierung von Wohnungsunternehmen erschwert die Verhandlungen. Und in vielen Nachbarschaften scheut man sich, Menschen mit sozialen Problemen zu integrieren.

Die Gewoba, die größte Baugesellschaft Bremens und noch immer größtenteils in kommunaler Hand, führt zurzeit wieder Gespräche mit dem Amt für Soziales. „Die bisherigen Vereinbarungen“, sagt eine Sprecherin, „waren zu eng, um genügend Wohnungslose zu vermitteln.“