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Archiv-Artikel

Prämierte Haltung

DAILY DOPE Ein Apotheker, ein Lehrer, ein Biathloncoach und eine Rudertrainerin kämpfen gegen Doping

BERLIN taz | Werner Franke läuft zu Hochform auf. Der Heidelberger Molekularbiologe sollte eigentlich nur eine Laudatio auf die diesjährigen Preisträger des Heidi-Krieger-Preises halten. Die frühere Rudertrainerin Johanna Sperling, der Biathloncoach Henrich Misersky, der Sportlehrer Hansjörg Kofink und der Apotheker Horst Klehr hatten sich Dopingaufforderungen ihres Umfelds widersetzt und die zum Teil minderjährigen Sportler vor „den Pillen“ gewarnt. Sie wurden deshalb nun vom Verein für Doping-Opfer-Hilfe prämiert.

Bevor Franke aber die Widerständler vorstellte, zeichnete er ein plastisches Bild des Dopings im Spitzensport. Er beschrieb – ausgehend von sieben im vergangenen Jahr gesperrten russischen Leichtathletinnen – wie auch jetzt in Berliner WM-Hotels Athleten ihre Blase entleeren und sich dann künstlich entweder Fremdurin oder eigenes Urin aus einer dopingfreien Zeit wieder zuführen, um damit die Röhrchen der Dopingkontrolle zu füllen. Bei Frauen sei das ganz einfach, ergänzte er. „Sie müssen nur eine Strecke von 5 Zentimeter überbrücken, um sich das Urin neu zu verabreichen. Männer müssen schon heroische 25 Zentimeter überwinden.“

Franke wagte auch einen Rückblick auf das Doping in Ost und West. Der DDR attestierte er eine „preußische Praxis“: „Da wurde ein Beschluss zum Dopen gefasst und dann auch aufgeschrieben, wer wann was bekommt. In Westdeutschland hingegen läuft es auf die christliche Art. Ungefähr so, wie es der Pfarrer mit der Haushälterin hält. Alle wissen es, keiner sagt was.“ Laut Franke haben sich die Ost- und die West-Kultur nun fröhlich vereinigt.

Umso heldenhafter ragen jene Menschen aus dem Dopingsumpf, die den Verlockungen nicht erlegen sind. Der Mainzer Apotheker Horst Klehr weigerte sich in den 1970er-Jahren, westdeutschen Leichtathleten Dopingmittel auszuhändigen. Er informierte den DLV darüber und sammelte Beweismaterial. Doch der Verband wollte von den unbequemen Aussagen Klehrs nichts wissen. Hansjörg Kofink, viele Jahre Beauftragter von „Jugend trainiert für Olympia“ in Baden-Württemberg, prangerte in den 1980er-Jahren die Verabreichung von anabolen Steroiden an junge Frauen und Mädchen an. Er hatte von solchen Plänen im bundesdeutschen Kugelstoßen erfahren. Henrich Misersky wurde vom Thüringer SC Zella-Mehlis gefeuert, als er seinen Ski-Langläuferinnen, darunter seine Tochter Antje, nicht das DDR-weit vertriebene Oral-Turinabol verabreichen wollte. Der Olympiasiegerin im Biathlon von 1992 wurden die Pillen später untergeschoben. Dass sie nicht die einzige unter den Protagonistinnen des deutschen Biathlonwunders war, der das passierte, davon kann man wohl ausgehen.

Johanna Sperling war Rudertrainerin in Ostberlin. 1963 schickte sie an ihre Rudergruppe folgenden Brief: „Ich bitte euch ernsthaft, kein einziges Mittelchen zu schlucken, das eure Leistung angeblich steigert; und wenn es als noch so harmlos, als vollkommen unschädlich, aber wunderwirkend euch gepriesen wird; auch wenn man euch sagt, dass ihr dann die Einzigen seid, die nichts zu sich nehmen. Und wenn es nur das Schamgefühl wäre, das sich eurer nach einem erfolgreichen Rennen bemächtigen würde – ihr könntet euch nicht ehrlich eines Sieges freuen. Erspart es euch und geht mit gutem Gewissen an den Start, die Nationalhymne klingt dann umso erhebender.“ Ein schönes, 46 Jahre altes Dokument. Man sollte es zur Pflichtlektüre in Sportinternaten erklären – und einmal im Olympiastadion ein Messgerät für Scham installieren. Wahrscheinlich lägen dessen Ausschläge noch unter denen der Dopinganalytik. TOM MUSTROPH