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Archiv-Artikel

Machtdemonstration hautnah

CHINA Eine Bürgerrechtlerin wird zu Gefängnis verurteilt. Vor dem Gericht geht die Polizei gegen Demonstranten vor – und gegen anwesende Diplomaten

PEKING taz | Etwa ein Dutzend Diplomaten, unter anderem aus Deutschland, Österreich, den USA und auch ein EU-Vertreter, sind am Dienstag Zeuge einer Polizeioperation gegen Oppositionelle geworden. Die Diplomaten standen mit mehreren chinesischen Demonstranten friedlich vor dem Volksgericht des Pekinger Bezirks Xicheng. Als einer von ihnen den Diplomaten eine Petition übergeben wollte, stürzte sich ein Zivilpolizist auf ihn und riss ihm das Blatt aus der Hand. Die Polizei führte ihn und mindestens zehn weitere ab, die meisten davon Frauen. Die Diplomaten protestierten lautstark. Daraufhin gingen die Polizisten auch gegen sie vor. Es kam zu Rangeleien.

Anlass der Proteste war die Verurteilung der in China prominenten Bürgerrechtlerin Ni Yulan. Das Volksgericht hatte die 51-Jährige am Vormittag zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt, ihrem Mann zu zwei Jahren. Ein Gerichtssprecher gab zur Begründung „Unruhestiftung“ an. Das Ehepaar gehörte zu den Dutzenden von Aktivisten, die vergangenes Jahr im Zuge der sogenannten Jasmin-Proteste verhaftet worden waren. In Ni und ihrem Ehemann sieht das Regime Schlüsselfiguren.

Die ehemalige Anwältin setzt sich seit vielen Jahren für die Opfer von Zwangsenteignungen ein. Den Behörden war sie ein Dorn im Auge. Zweimal wurde sie bereits ins Gefängnis gesteckt. 2002 wurde sie von Polizisten zusammengeschlagen, als sie Räumung und Abriss des Hauses eines ihrer Mandanten hatte filmen wollen. Seither kann sie nur mit Krücken laufen.

Die bei der Urteilsverkündung anwesende Tochter Dong Xuan kündigte an, dass ihre Familie das Urteil anfechten werde. Es sei „unfair und illegal“, sagte Nis Anwalt. Vertreter der EU-Botschaft in Peking forderten ebenfalls die „sofortige Freilassung“ des Ehepaares. Die Europäische Union zeige sich insgesamt beunruhigt „über die Verschlechterung der Lage für Menschenrechtsverteidiger in China“, sagte ein anwesender EU-Diplomat. Er hatte es dieses Mal selbst miterlebt. FELIX LEE