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Archiv-Artikel

Belegschaft fordert Entwicklung

Die Mitarbeiter von Agfa Leverkusen sind geschockt über die Insolvenz des Traditionsunternehmens. Seit Montag ruht teilweise die Produktion, ob die Arbeiter im Mai bezahlt werden, ist unsicher

VON JÜRGEN SCHÖN

„Wir stochern immer noch im Nebel“, beschreibt Frank Löllgen die Lage. Vor sechs Tagen hatte die Geschäftsführung der Agfa Photo GmbH Insolvenz angemeldet – „völlig unerwartet“, so der Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (BCE). Auch das Warum sei völlig unklar. Der Betriebsratsvorsitzende im Leverkusener Agfa-Werk, Bernhard Dykstra, zeigt sich ebenfalls „geschockt“ von der Nachricht. Es habe keinerlei Hinweise auf irgendwelche „argen Nöte“ des Unternehmens gegeben. Im Gegenteil: „Alles lief positiv, die Belegschaft fasste Vertrauen in die Entwicklung.“

Von der Insolvenz überrascht wurden auch viele Mitarbeiter, die nach einem Kurzurlaub am Wochenanfang ihren Dienst in Leverkusen antreten wollten. Erst hier erfuhren sie, dass es für manche von ihnen keine Arbeit mehr gibt. Weil einige Lieferanten aus Angst vor unbezahlten Rechnungen kein Material mehr liefern, ruhen zum Beispiel die Filmbeschichtung und die Produktion von Fotopapier. Gut jeder vierte der insgesamt 870 in Leverkusen Beschäftigten ist so zur Zwangspause verdammt.

Noch schlimmer aber: Die Auszahlung des Maigehalts ist für die deutschlandweit 1.800 Agfa-Mitarbeiter nicht gesichert. „Ich gehe davon aus, dass davon auch die Geschäftsführung betroffen ist“, meint Löllgen sarkastisch und fragt: „Aber wie soll ein Familienvater mit zwei Kindern bei einem Monatsgehalt von 1.500 Euro die nächste Zeit überstehen?“ Schließlich sei bei einer Insolvenz auch kein Bankkredit zu erwarten.

Vorrangiges Ziel von Betriebsrat und Gewerkschaft sei es jetzt, mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Fortführung der Produktion zu sichern. Dies gelte auch für die Zusammenarbeit mit den vier anderen Unternehmensstandorten in München, Vaihingen, Windhagen und Peiting. „In seiner Substanz ist das Unternehmen nicht am Ende“, stellt Aufsichtsratsmitglied Löllgen klar, aber ein längerer teilweiser Stillstand von Produktion und Vertrieb wäre wohl das Ende.

1998 arbeiteten bei Agfa allein in Leverkusen noch rund 2.500 Menschen. Danach wurde kontinuierlich Personal „abgebaut“ – eine Folge sinkender Nachfrage nach Filmen und Fotopapier aufgrund der zunehmenden digitalen Fotografie. Innerlich, gibt Dykstra zu, habe man sich auf einen weiteren Abbau vorbereitet, „aber das neue Management habe nie irgendwelche Andeutungen gemacht“.

Auch in den letzten Monaten war die Produktion nicht ausgelastet. Ausgelegt auf 400 Millionen Filme pro Jahr, spuckten die Maschinen zuletzt nur noch 140 Millionen aus. Auch die Fotopapierproduktion war nur noch zu 30 Prozent ausgelastet. „Alles keine bedrohliche Situation“, urteilt Gewerkschafter Löllgen. Zumal die nachfragestarken Sommermonate bevor ständen. Außerdem sei man dabei gewesen, neue zukunftsfähige Produkte zu entwickeln. Ziel sollte eine Kooperation europäischer Firmen gegen die beiden Marktführer Fuji und Kodak sein.

Löllgen und Dykstra fordern die Geschäftsführung der Agfa Photo GmbH und der übergeordneten Holding auf, unverzüglich die Gründe für die Insolvenz offen zu legen. Die Rede ist von 900 Millionen Euro, die fehlen. Außerdem seien weitere 400 Millionen „futsch“. Sogar die Eröffnungsbilanz fehle noch.