: Chemische Zwangsjacke
Im Geschlossenen Heim Feuerbergstraße werden Psychopharmaka ohne Zustimmung der Eltern an Jugendliche verabreicht. Richterverein spricht von Körperverletzung
Neue Vorwürfe gegen die Feuerbergstraße: Die Vergabe der Neuroleptika „Truxal“ und „Risperdal“ an zehn Jugendliche in dem Geschlossenen Heim war vermutlich rechtswidrig. So erfuhr GAL-Politikerin Christiane Blömeke durch eine Anfrage, dass die Vergabe ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten erfolgte. Unterbleibt diese aber, so ist dies laut Familienrichter Ulrich Engelfried vom Hamburger Landesverband des Neuen Richtervereins eine „strafrechtlich relevante Körperverletzung“.
Blömeke hatte erstmals im Dezember 2004 von der Psychopharmaka-Vergabe erfahren, als sich zwei geflohene Jugendliche öffentlich über ihre Behandlung beschwerten und erklärten, sie würden, „mit Medikamenten ruhig gestellt“ (taz berichtete). Auf ihre erste Anfrage im März antwortete der Senat, dass insgesamt zehn Jugendliche diese auch als „chemische Zwangsjacke“ bekannte Behandlung erhielten, davon neun erstmals in der Feuerbergstraße. Aus der zweiten jetzt beantworteten Anfrage geht hervor, dass sieben dieser Jugendlichen die Pillen verweigerten, davon einer sogar 62-mal. „Das formelle Einverständnis der Jugendlichen erfolgt nicht“, schreibt der Senat. Würde die Tabletteneinahme verweigert, versuchten die Pädagogen des Hauses „darauf hinzuwirken“, dass die Jugendlichen diese „freiwillig“ nähmen. Blömeke vermutet dahinter „sanften Zwang“.
In Juristenkreisen gilt die Vergabe von Neuroleptika vor allem wegen der Nebenwirkungen – bei „Risperdal“ zum Beispiel Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, innere Unruhe und Angstzustände – als so starker Eingriff, dass in jedem Fall die Sorgeberechtigten gesondert schriftlich zustimmen und ihnen auch Alternativen erklärt werden müssten. In der Senatsantwort heißt es aber, ein „spezielles Einverständnis“ für diese Medikamente gebe es nicht. Vielmehr würde bei der Aufnahme der Jugendlichen eine generelle Zustimmung zur ärztlichen Behandlung abgefordert. „Ein solches Verfahren würde die Gabe von Neuroleptika nicht abdecken“, sagt Richter Ulrich Engelfried, „das wissen die Ärzte eigentlich.“ Nur in Notfällen könnte die Zustimmung nachträglich eingeholt werden, dann aber sofort. Handle es sich um eine so starke Dosis, dass die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, müsse dies gar ein Richter genehmigen.
Blömeke drängt nun auf eine baldige Befragung von Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA), um die Psychopharmaka-Vergabe zu klären. Der PUA tagt morgen, wird sich aber zunächst mal mit seinem Untersuchungsauftrag beschäftigen. Die CDU möchte gern auch die Jugendhilfe der 90er Jahre beleuchten. Das allerdings ist nach einem Gutachten der Bürgerschaftskanzlei unzulässig. Kaija Kutter