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Archiv-Artikel

Sprechen wir mal drüber!

PARLAMENT Der SPD-Abgeordnete Torsten Schneider beschwert sich in einem Brandbrief über die „besorgniserregende Verrohung“ der Sprache durch die Piraten. Er hätte besser geschwiegen

So wird der im vergangenen Jahr unter Berücksichtigung der Ergebnisse eines landesweiten Diskussionsprozesses entwickelte erste Referentenentwurf gegenwärtig nochmals intensiv geprüft und im Lichte zwischenzeitlicher Entwicklungen überarbeitet. Frank Henkel, CDU

Herr Oberg, Herr Mutlu, Sie beide sind super! Martin Delius, Piraten

Ich bitte, das mit dem zuständigen Senator zu diskutieren. Das ist jetzt nicht so einfach zu beantworten. Klaus Wowereit, SPD

Geht es hier um Sachfragen, oder geht es darum, sich selbst ein bisschen von der Palme zu wedeln, wie geil die letzten 100 Tage waren? Christopher Lauer, Piraten

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erarbeitung der Fortschreibung des gleichstellungspolitischen Rahmenplans. Dilek Kolat, SPD

Die Beantwortung dieser Frage ist selbstverständlich kompetent vorbereitetet worden.Andreas Statzkowski, CDU

Olé, olé! Ich habe noch eine Minute! Wir sind hier nicht in der Nordkurve, meine Damen und Herren! Christopher Lauer, Piraten

VON UWE RADA

Torsten Schneider ist bislang nicht besonders aufgefallen im Abgeordnetenhaus. Nun aber hat der parlamentarische Geschäftsführer der SPD einen Brandbrief geschrieben, in dem er sich um die Sprache der Volksvertreter sorgt. Oder besser: um die „besorgniserregende Verrohung der parlamentarischen Umgangsformen“ durch die Piraten. Als Beispiel nennt Schneider ein Zitat des Abgeordneten Christopher Lauer, der das Selbstlob von Rot-Schwarz mit den Worten kommentiert hatte: „Geht es hier um Sachfragen, oder geht es darum, sich selbst ein bisschen von der Palme zu wedeln?“

Vergleichbares findet sich von Torsten Schneider natürlich nicht. Aber auch sonst spuckt die Suchmaschine in den Parlamentsprotokollen wenig aus beim Pankower Abgeordneten – am ehesten noch Zwischenrufe. Den grünen Abgeordneten Lux nannte Schneider einmal einen „Kasper“.

Schneider hin, Schneider her, das Thema ist im Raum. Und siehe da, auch die etablierten Parteien sind keine Unschuldslämmer. So beschimpfte der heutige Innensenator Frank Henkel (CDU) – da war er noch nicht im Senat – den SPD-Politiker Klaus Uwe Benneter einmal als „Dreckschleuder“.

Ganz überwiegend aber tragen Christ- und Sozialdemokraten ihr Anliegen vor, wie es im Hohen Hause guter Brauch ist: bürokratisch, langweilig, floskelhaft (siehe Zitate oben).

Spricht aus dem Brandbrief Schneiders also der Neid auf die Piraten? Haben sie nicht nur politisch, sondern auch verbal frischen Wind ins Parlament gebracht?

„Das ist Ansichtssache“, sagt der Parteienforscher und Piratenkenner Carsten Koschmieder. „Für die einen ist das ein Zeichen, dass die Piraten anders sind, weil sie die Sprache des Volkes sprechen.“ Andere wiederum würden eine Reduzierung komplexer Sachverhalte ablehnen. „Aber auch bei den etablierten Parteien wird auf die Pauke gehauen, sobald die Kamera live sendet.“ Bei den Wählern der Piraten, ist sich Koschmieder aber sicher, verfehlen die Sprüche im Parlament ihre Wirkung nicht.

Da Schneiders Brief an die parlamentarischen Geschäftsführer ging, hat ihn bei den Grünen Benedikt Lux bekommen. „Der spielt da die Sprachpolizei“, ärgert sich Lux. „Dabei verrohen die Sitten eher politisch als sprachlich.“ Lux spricht von einer Blockadehaltung der SPD und CDU gegenüber Anträgen der Opposition. Ähnlich sehen es auch die Linken, wiewohl sie den Piraten tatsächlich eine Fäkalsprache attestieren.

Allerdings sind auch Grüne und Linke nicht frei von Polemik. Den Eventmanager Manfred Schmidt hat der grüne Abgeordnete Dirk Behrendt im Parlament eine „Kanaille“ genannt – und sich die Empörung von Klaus Wowereit zugezogen.

„Das war im Eifer des Gefechts“, meint Benedikt Lux dazu, sei aber gerade noch zulässig. „Fäkalsprache oder rassistische und sexistische Sprüche sind bei uns aber tabu“, meint Lux. „Und bei Zwischenrufen wollen wir künftig weniger platt sein.“

Martin Delius, der parlamentarische Geschäftsführer der Piraten, will auf den Brief von Schneider erst mal nicht reagieren. „Ich erwarte, dass wir die Diskussion in der nächsten Geschäftsführerrunde am Mittwoch führen“, sagte er der taz.