Erlösung in der Neuen Welt

Tiefer graben: Vor dem letzten Golfkrieg trat Paul Berman als linker Falke hervor. Zurzeit ist der US-Politologe Stipendiat in Potsdam und denkt über die Wurzeln des Pro- und Antiamerikanismus nach

Mit den Franzosenist Bush d’accord – allerdings ohne eszu wissen

VON CHRISTIANE TEWINKEL

Paul Berman versucht es jetzt auf anderem Wege. In seinem Buch „Terror und Liberalismus“ (2003) hatte der amerikanische Politologe noch offen für eine notfalls gewaltsame Verteidigung der Demokratie gegen den totalitären Islamismus plädiert. Das hatte ihm die Bezeichnung „linker Falke“ eingebracht. Bis zu 200 Jahre war er zurückgegangen, um Ursprünge antiliberalen Denkens aufzuzeigen und eine Gerade in die Gegenwart zu ziehen: Noch vor der Invasion sprach sich Berman, Beiratsmitglied der linken US-Zeitschrift Dissent, deutlich für den Irakkrieg aus.

Nun gräbt er tiefer. Schreitet bis in die Antike, kommt nicht ganz so schnell wieder zurück in die Jetztzeit. Nur mittelbar geht es ihm noch um liberale Intervention und Demokratie. Im Vordergrund steht Mentalitätsgeschichtliches: Berman, gegenwärtig Stipendiat der American Academy am Berliner Wannsee, denkt über die Wurzeln von Pro- und Antiamerikanismus nach. Aus „Enttäuschung“, wie er sagt, über die bisherige Debatte, die nichts als Schaden angerichtet habe. Und um eine Diskussion zu umgehen, in der man bloß die immer selben Schlagwörter wiederholt: „Die neuen Formen des Totalitarismus bedeuteten eine große Gefahr für die Welt. Wir leben in einer Zeit gigantischer Massaker. Die liberalen Demokratien haben bei der Reaktion auf diese Probleme versagt.“ Pro- und antiamerikanische Einstellungen hätten den Blick auf die Herausforderungen der Zeit getrübt. Ihnen und ihren Ursprüngen gelte es nachzugehen.

Wer sich harte Einlassungen zur Gegenwart erhofft hatte, konnte also nur perplex auf die historische Exkursion reagieren, die Paul Berman eben in der American Academy präsentierte, Teil eines geplanten Buches mit dem Titel „Is America Good Or Bad?“. Der Einladung, ihm trotz der Konzentration auf die Jahrhunderte vor 1850 auch Fragen zu späteren Zeiten zu stellen, mochte so schnell niemand folgen. Schon gar nicht kam es nach seinem Vortrag zu Anwürfen der Sorte: „Alles schön und gut, aber was halten Sie von den Vorgängen in Abu Ghraib?“ Berman erzählt später, dass er solcherlei eigentlich erwartet hatte.

Freilich mag bei der Reserve des Publikums auch Bermans Siebenmeilenstiefelgang durch die Geschichte eine Rolle gespielt haben: eklektisch, abenteuerlich, in jedem Fall interessant. Der 1949 Geborene erzählte zunächst von seiner Studentenzeit in New York und den 1970er-Jahren in Paris, dem Bewusstsein, dass „die US-Gesellschaft zutiefst fehlerhaft“ sei, „der ganzen Welt ein Feind“, und der zweiten, ganz anderen Wahrheit, an die man glaubte, Rock ’n’ Roll, Bob Dylan. Dass sich die politische Linke in Frankreich gegen Amerika stellte, kulturell jedoch amerikanische Werte übernahm, sei bloß der andere Ausschlag eines Pendels gewesen, Umkehrung der politisch pro-, kulturell antiamerikanischen Haltung der französischen 1820er-Jahre. „Ist Amerika Bedrohung oder Erlösung? Diese Debatte wird bis heute geführt.“ Jeder erfahre an sich selbst derlei Phasen; Michael Moore sei typisches Beispiel für eine „Gespaltenheit“ Amerika gegenüber, Karikatur eines Amerikaners, gleichwohl europäische Kultfigur.

Die philosophisch-historischen Grundlagen dieser Ambivalenz macht Berman in der (Spät-)Antike aus, bei Cicero und Plotin. Dieser habe festgeschrieben, wie die Charaktere einer Republik gestaltet sein müssten, jener das Modell einer Welt gezeichnet, in der alle und alles auf das Eine, Gute, Wahre hinstreben. Beobachter der Neuen Welt hätten diese an ciceronischen Kriterien gemessen, ihre Tiere und Bewohner als einer „späteren“ Welt zugehörig begriffen und als kleiner, unterlegen, unheimlich, sexuell antriebsarm beschrieben. Plotin hingegen habe Amerika über das Magazin Democratic Review erreicht. Erste Ausgaben schon forderten eine genuin amerikanische Kultur und Zivilisation, die Überwindung von Tradition und Klassengrenzen. Die demokratische Partei sei Institution gewordene Philosophie, der Gedanke, dass Amerika einem entkräfteten Europa aufhelfen müsse, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts aufgekommen, nicht zuletzt in den Reihen deutscher Exilanten. In der Tat, wird Berman tags darauf sagen: Amerika im plotinischen Sinne als Vorbild für die Welt zu sehen, sei durchaus Absicht gewesen. Er lächelt selbst über die ungewöhnliche Analogie. Und nimmt sie doch nicht zurück: „Ich gehe oft so vor, ich spiele mit weltgeschichtlichen Entwürfen. Auch daraus kann Erkenntnis erwachsen.“

Zur Beschäftigung mit der Geschichte von Pro- und Antiamerikanismus gehört für ihn, die Figur Bushs in ein anderes Licht zu rücken. Denn erst vor dem Hintergrund der Wünsche nach einer Vorbildrolle der Neuen Welt stelle sich Bush als „Schock“ dar. „Es kann aber nicht jeder ein Washington sein.“ Das ist die vielleicht überraschendste Volte, die Berman schlägt auf dem Werbe-Weg für ein verändertes Bewusstsein den USA gegenüber. Der smarte Linksintellektuelle attestiert dem tumben Präsidenten, von der eigenen Verankerung in der europäischen Geistesgeschichte einfach zu wenig zu wissen. Bush kann sozusagen nichts für seinen Mangel an Ausbildung; cyranomäßig leiht Berman ihm, dem wenig Wortmächtigen, Worte und Ideen. „Wie erleichtert man wäre, wenn man wüsste, wie sehr Bush im deutschen Idealismus verankert ist. Auch mit den Franzosen ist Bush d’accord, ohne es zu wissen.“ Der Präsident verstehe einfach nicht, dass die uramerikanischen Ideale für nichtamerikanische Ohren faschistisch klingen, weil weder er noch seine Gegner wüssten, woher diese Ideale tatsächlich kommen.

Bush kann sich glücklich schätzen, dass ein so inventiver Denker wie Berman auf diplomatische Undercover-Mission geht. Für die Vermittlung scheint Berman prädestiniert; seine weitschweifigen Überlegungen zu Literatur, Philosophie und Staatskunde sind neuweltlich-wagemutig und zu gleicher Zeit geradezu europäisch vernagelt. Dass der Ausflug in die friedfertige Geistesgeschichte kaum Angriffsfläche bietet, dürfte für seine Überzeugungsarbeit von Vorteil sein. Das Risiko, aus der gegenwärtigen Diskussion in Parallelwelten exiliert zu werden, scheint allerdings ähnlich hoch.