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Archiv-Artikel

Wenn die Häuptlinge sitzen, herrscht Ruhe

Nach zwei Jahren Sonderdezernat für jugendliche Intensivtäter ziehen die Ermittler eine nüchterne Bilanz

Als die Staatsanwälte des Sonderdezernats für jugendliche Intensivtäter vor zwei Jahren ihre Arbeit aufnahmen, hatten sie die Vorstellung, dass Schlimmes auf sie zukommen würde. „Aber das, was dann kam, hat meine kühnsten Träume übertroffen“, sagt Oberstaatsanwalt Roman Reusch, Leiter der Abteilung 47.

335 Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene hat das Sonderdezernat seit seiner Gründung am 1. Juni 2003 als Intensivtäter erfasst. Eingang in die Liste findet nur die „Crème de la Crème der Gewalttäter“, wie es im Kriminalgericht Moabit so schön heißt. 30 bis 40 Gewalttaten pro Nase seien fast normal, 50 bis 60 Taten keine Seltenheit. „Die Skala nach oben ist offen“, sagt Reusch. Das Wundern darüber, zu was für Taten junge Menschen imstande sind, haben sich Reusch und seine Leute abgewöhnt.

Trotzdem gibt immer wieder Momente, da erwischt es sie kalt. Zum Beispiel im Fall eines Migrantenjungen. Im Alter von zehn zwang er ein Mädchen zum Oralverkehr und urinierte danach auf das Opfer. Mit elf beging er seinen ersten Straßenraub. „Manchmal werden die eigenen Vorurteile noch von der Wirklichkeit übertroffen“, so Reusch. Offiziell kümmere sich das Sonderdezernat noch gar nicht um den Jungen, weil er noch nicht strafmündig ist. Das wird man erst mit 14 Jahren.

70 bis 80 Prozent der jungen Intensivtäter haben einen Migrationshintergrund. Die Mehrzahl sind türkischer und arabischer Herkunft, Bosnier oder Kosovo-Albaner. Die gebürtigen Deutschen auf der Liste, worunter auch die Kasachen zählen, leben in der Mehrzahl im Ostteil der Stadt. Die Taten der registrierten Kasachen und Skinheads seien durch eine ganz besondere Brutalität gekennzeichnet. Es werde agiert ohne Bremsen, wie ein wildgewordener Stier. Auch die 16 Mädchen auf der Liste leben zum überwiegenden Teil in den östlichen Bezirken. Aufgefallen sind sie durch wiederholten Straßenrauben, so genannte Abziehtaten, die in Gangs begangen werden.

Längst nicht alle kommen aus sozial auffälligen Familien. Das seien zum Teil ganz normale Teenager aus scheinbar ganz normalen Elternhäusern. „Wir haben dafür keine Erklärung“, sagt Reusch. Das Sonderdezernat verfolgt das Ziel, die Intensivtäter einem schnellen Gerichtsverfahren zuzuführen. In der Anklageschrift wird die komplette kriminelle Vita der Beschuldigten dargelegt. Die Folge: Die Richter lassen weniger Milde walten. Von rund 290 Urteilen, die seit Gründung des Dezernats ergangen sind, sind 102 Urteile ohne Bewährung ergangen, in 80 Fällen hat es eine Vorwarnung gegeben. Das heißt: Wenn der Angeklagte binnen einer bestimmten Frist erneut straffällig wird, wandert er in den Knast.

Der Illusionen, dass die Täter von solchen Strafen geläutert werden, gibt sich Reusch allerdings nicht hin. „In manchen Kiezen ist zwei bis drei Monte Ruhe, wenn die Häuptlinge aus dem Verkehr gezogen ist. Aber meist wachsen neue nach.“ Immerhin aber habe die Zahl der Intensivtaten in den letzten Jahren nicht zugenommen.

PLUTONIA PLARRE