berliner szenen: Eine Weltreise vom Bett aus
Es ist 8 Uhr morgens. Auf dem Balkon gegenüber meinem Schlafzimmer rauchen zwei Männer und trinken Bier, das sie aus einer Bierkiste nehmen. „Wie im Karneval“, sagt N., die zur Karnevalszeit in ihrer Heimatstadt Rio de Janeiro war. Da würden die Leute schon beim Frühstück wieder anfangen zu trinken. Ich sage ihr, dass ich noch nie beim Kölner Karneval war, aber dass ich ihn mir ähnlich vorstelle.
Wir sind weder in Rio noch in Köln, und der Rosenmontag ist längst vorbei. Doch auch in Neukölln wird zu morgendlichen Stunden Alkohol konsumiert. Auch an einem Mittwoch. So wie die Männer, die uns nicht zu bemerken scheinen.
Wir trinken Kaffee im Bett und reden über Bücher, die von Fernreisen berichten. Und dann erzählt N. von ihren eigenen Erfahrungen aus Sibirien, Thailand und Südamerika. Sie sitzt am Kopfende des Bettes, mit offenen Haaren, die fast bis zu ihren Unterarmen reichen, und gestikuliert mit den Händen, um ihre Erzählung grafischer zu machen. Wie immer lacht sie, bis sie weinen muss, eine der Sachen, die ich an ihr liebe. Bei ihrem Anblick denke ich an Geschichtenerzähler*innen und Spielleute. N. beschreibt alles so detailliert, dass ich Menschen, Landschaften und Tiere vor meinen inneren Augen genau sehen kann, als könnte ich mich zu jedem Ort transportieren. Als wir aufstehen müssen, habe ich das Gefühl, tatsächlich eine Weltreise gemacht zu haben und nur langsam nach Berlin zurückzukommen.
In der Küche macht N. Musik an und tanzt ein bisschen herum, um wach zu werden. Das tut sie immer, wenn sie bei mir übernachtet, was mir gute Laune für den Rest des Tages bringt. Wir kochen uns einen zweiten Kaffee, bevor es zur Arbeit geht. Die Männer gegenüber öffnen noch eine Bierflasche und rauchen noch eine Zigarette.
Luciana Ferrando
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