: „Der Trend geht zum Dritt- oder Viertjob“
ARBEITSWELT Die Konkurrenz zwischen freiberuflichen Kreativen nimmt zu, sagt Bernd Oeljeschläger vom Verband der freiberuflichen Kulturwissenschaftler. Als einen möglichen Lösungsansatz sieht er ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden
■ 44, arbeitet als Verleger und führt die Geschäftsstelle des Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler.
INTERVIEW JASMIN KALARICKAL
taz: Herr Oeljeschläger, sind Sie festangestellt?
Bernd Oeljeschläger: Nein. Ich arbeite als selbstständiger Kulturwissenschaftler und bin Verleger. Zudem führe ich die Geschäftsstelle des Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler für eine Aufwandsentschädigung.
Dann kennen Sie die Probleme freiberuflicher Kulturwissenschaftler aus eigener Erfahrung.
Ja und nein. Freiberufliche Kulturwissenschaftler kommen aus ganz verschiedenen akademischen Richtungen und arbeiten daher auch in ganz unterschiedlichen Berufen. Studiert haben sie vielleicht Kulturwissenschaft, Archäologie, Kunstgeschichte, Kulturanthropologie, Germanistik oder Kulturmanagement. Man kann zum Beispiel als Historiker arbeiten, in der Kulturvermittlung oder in der Pressestelle von Kultureinrichtungen tätig sein.
Wie viele freie Kulturwissenschaftler leben denn in Berlin?
Da gibt es meines Wissens keine aussagekräftigen Zahlen. Im Verband der freien Kulturwissenschaftler haben wir bundesweit 164 Mitglieder. Die Gesamtzahl sollte sehr viel höher liegen. Die, die sich nur irgendwie durchwurschteln, erfassen wir ja gar nicht, weil sie sich vermutlich nicht mal den Mitgliedsbeitrag von 80 Euro leisten können.
Berlin gilt als Hochburg der Kreativen. Stimmt das?
Ja klar. Das gilt allgemein für Großstädte, also auch für Köln, München oder Hamburg. Berlin ist jedoch für viele attraktiv als inspirierende, junge Stadt. Das hat den Nachteil, dass das Verhältnis von Angebot und Nachfrage im Vergleich schlechter ist.
Gibt es heute mehr freiberufliche Kulturwissenschaftler als noch vor zehn Jahren?
Absolut. Es gibt immer mehr Leute mit kulturwissenschaftlichen Abschlüssen im weitesten Sinn. Die kulturpolitische Gesellschaft hat Ende 2011 eine interessante Studie veröffentlicht. Dort wurden 364 Kulturstudienangebote an deutschen Universitäten erfasst – das ist eine sehr hohe Zahl. Zum Teil entlassen Universitäten ihre Studenten mit zweifelhaften Abschlüssen in eine berufliche Zukunft, die überhaupt nicht geregelt oder planbar ist.
Wie meinen Sie das?
Die Universitäten übernehmen oft nicht die Verantwortung dafür, wie und wie viele Leute sie ausbilden wollen. Man verfolgt die eigene Hochschulpolitik, das heißt meist, möglichst viele Studierende zu generieren. Gleichzeitig werden staatliche Gelder im Kulturbereich, also bei potentiellen Arbeitgebern, gestrichen. Viele, die festangestellt waren, bekommen ihre Verträge nicht verlängert und müssen dann freiberuflich arbeiten. Sie konkurrieren mit den Studienabgängern, die jedes Jahr dazukommen. Ich denke, es gibt einen Trend zum Zweit-, zum Dritt- oder sogar zum Viertjob.
Das klingt nicht verlockend.
Als Freiberufler hat man oftmals eine schlechte Verhandlungsbasis. Denn sehr wahrscheinlich sind da noch zehn andere Bewerber, die für dieses oder weniger Geld arbeiten.
Ist Freiberuflichkeit nicht auch eine Chance?
Sicher, ich arbeite gerne freiberuflich. Man kann sich vieles selber einteilen, man ist nicht direkt von einem Chef abhängig. Wenn die Sonne scheint, kann ich einfach mal die Arbeit unterbrechen. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Da ich von den Aufträgen lebe, bin ich andererseits natürlich auch sehr vom Markt abhängig.
Was müsste sich denn ändern, damit freiberufliche Kulturwissenschaftler ein gutes Leben führen können?
Das bedingungslose Grundeinkommen könnte eine Lösung sein. Man müsste aber sehen, wie man so eine Sockelfinanzierung ausgestalten kann. Ansonsten sind gute Werkverträge oder Regelungen zu Urheberrechtsfragen wichtig für die Freiberuflichen. Letztlich ist dies natürlich die politische Grundfrage, wie man Menschen in vernünftige Arbeitsverhältnisse bringt.
■ Das Interview entstand auf Wunsch von Christiane Syré aus Bochum, deren Mann seit 2000 Genosse ist