: Reichtum einmal anders
ZUKUNFT Kann es eine Wirtschaft ohne Wachstumszwang geben? Und macht nachhaltiges Konsumieren das Leben attraktiver? Zwei Neuerscheinungen zum Thema
VON ANNETTE JENSEN
Der Autor ist sauer und ungeduldig, das spürt man auf jeder Seite. Der Volkswirtschaftsprofessor Niko Paech hat ein Büchlein geschrieben mit dem Titel „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“. Tatsächlich ist es jedoch eher ein Pamphlet gegen das gegenwärtige Wirtschaftsmodell als eine Wegbeschreibung in eine wünschbare Zukunft, auch wenn Hinweise auf die Notwendigkeit einer regional orientierten, auf stärkere Selbstversorgung ausgerichteten Ökonomie nicht fehlen.
Paechs Sprache ist scharf, und voll wütender Ironie betrachtet er die Loha-Szene, die glaubt, mit dem Einkauf im Bioladen und dem Bezug von Ökostrom der Nachhaltigkeit Genüge zu tun. Die ganzen i-Geräte erklärt er zu „einer unverzichtbaren Symbolik für individuelle Selbstdarstellung“ und Studierende, die ein Auslandssemester absolvieren, zum „Easyjet-Weltbürgertum“. Ein „Rückbau solch überzogener Ansprüche“ sei unabwendbar – oder es komme zum Kollaps. Mit dieser drohenden Haltung, die die Notwendigkeit zum Verzicht ins Zentrum stellt, erinnert Paech an manchen Stellen an die rechthaberische Haltung gewisser linksalternativer Szenen der 80er Jahre.
Wer sich jedoch einen Überblick darüber verschaffen will, warum unser Wachstumsmodell weder durch grüne Techniken noch durch Digitalisierung zu retten ist, ist mit dem Bändchen gut bedient und rasch auf dem aktuellen Stand der Debatte. Der Versuch, Geräte oder Fahrzeuge effizienter zu gestalten, führt regelmäßig zu höherem Ressourcenverbrauch, weil entweder die Stückzahl steigt oder das beim Stromsparen eingesparte Geld in sonstigen Konsum gesteckt wird. Auch Windräder und Solaranlagen sind wegen des Herstellungsaufwands kein Ausweg. Das Einzige, was hilft, sind absolute Obergrenzen, etwa maximal 2,7 Tonnen CO2-Emission pro Erdenbürger festzusetzen. „Wer diese Forderung ablehnt, will entweder keinen Klimaschutz oder keine globale Gerechtigkeit.“
Paech scheut sich nicht, sich mit vielen anzulegen. Neoliberale und Marxisten sieht er „eingenebelt von exakt derselben Fortschrittsillusion“. Arbeitgebern und Gewerkschaften unterstellt er eine „beständige Komplizenschaft“ bei der permanent zunehmenden Aneignung von Ressourcen.
Am Schluss rät Paech seinen Lesern zum „kreativen Unterlassen“ und dazu, „Fremdversorgungsballast“ abzuwerfen. Ansonsten finden sich hier viele Passivformulierungen wie: „Versorgungsmuster werden stabil, wenn sie maßvoll, dezentral, vielfältig sind und auf möglichst kurzen Distanzen zwischen Ressourcenextraktion und Verbrauch beruhen.“ Solch müde Sätze aber werden kaum jemand davon überzeugen, dass ein solches Leben attraktiver ist als die Gegenwart.
Genau diesen Ansatz verfolgt Alexander Dill mit seinem Buch „Gemeinsam sind wir reich. Wie Gemeinschaften ohne Geld Werte schaffen“, das ebenso wie Paechs Titel vor wenigen Tagen im Oekom-Verlag erschienen ist. Der Soziologe stellt zahlreiche Beispiele vor, wie Menschen sogenanntes Sozialkapital schaffen. Da ist das von einer Genossenschaft errichtete Gasthaus in dem Örtchen Bollschweil südlich von Freiburg, das der Gemeinde eine Seele gibt. Und man erfährt, dass es in slowenischen Kneipen ausschließlich slowenischen Wein zu trinken gibt, weil die Bevölkerung ihre Winzer unterstützen will und dafür auch bereit ist, etwas mehr auszugeben.
Den New Yorker Einwanderernetzwerken, die dort für eine geringe Arbeitslosenquote sorgen, ist ebenfalls ein Kapitel gewidmet. All das hat irgendwie mit lokaler Identifikation und kollektivem Tun zu tun – doch Dill gelingt es nicht, aus dem Mosaik ein klares Bild zu formen, und am Ende bleibt leider schwammig, was Sozialkapital eigentlich genau sein soll und unter welchen Voraussetzungen es gedeiht. Genau das zu wissen wäre aber wichtig, um Einzelne oder Gemeinschaften zum Mit- und Nachmachen anzuregen.
■ Niko Paech: „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“. Oekom Verlag, München 2012, 144 Seiten, 14,95 Euro
■ Alexander Dill: „Gemeinsam sind wir reich. Wie Gemeinschaften ohne Geld Werte schaffen“. Oekom Verlag, München 2012, 208 Seiten, 14,95 Euro