Wenn das Holz erzählt

Das Labor für historische Dendrochronologie in Lübeck analysiert Holz. So kann es erkennen, wie alt ein gehobenes Schiffswrack oder eine ganze Stadt ist – aufs Jahr genau

Wer es zu lesen weiß, kann in einem Stück Holz eine Menge erkennen Foto: pxhere/Creative Commons

Von Friederike Grabitz

Bei der Renovierung eines Hauses bei Lübeck kamen alte Holzbalken zum Vorschein. Das ­Labor für Dendrochronologie an der Technischen Hochschule analysierte das Holz – und konnte danach erstaunlich genau die Geschichte des Hauses rekonstruieren. Es wurde in verschiedenen Phasen gebaut, über Jahrhunderte kamen Anbauten hinzu. Anfangs stammte das Holz aus der Region, später auch aus Schweden.

Jedes Jahr hinterlassen Bäume einen einzigartigen Fingerabdruck in ihren Baumringen. Es gibt trockene und feuchte, warme und kalte Jahre. Hatte der Baum Stress, fallen die Ringe besonders dünn aus. Sind sie bei mehreren Bäumen gleich, lässt sich daraus auch ablesen, wie das Klima in früheren Zeiten war. Diese Reihenfolge dicker und dünner Jahresringe ergibt ein Muster, das in seiner Reihenfolge einzigartig ist.

Der Leiter des dendrochronologischen Labors, Daniel ­Balanzategui, ritzt mit einer Rasierklinge eine längliche Kerbe in ein schwarzes Holzstück. Es stammt aus dem Wrack eines Schiffs aus der Hansezeit, das vor Kurzem im Lübecker Kanal geborgen wurde.

Im noch feuchten Holz werden Muster aus 20 bis 30 Rillen sichtbar. Er hält das Holz unters Mikroskop und schaltet einen kleinen weißen Kasten an, der die Rillen erfasst und mit den Daten in Balanzateguis Computer abgleicht. Weil die Holzplanken nur einen kleinen Ausschnitt einer Baumscheibe enthalten, muss er das an vielen verschiedenen Stellen tun, bis das Bild komplett ist. So setzt er nach und nach ein Puzzle zusammen. „Irgendwann in den nächsten Wochen“, sagt der Wissenschaftler, „können wir ziemlich genau sagen, wie alt das Schiffswrack ist“.

Seine Arbeit ist viel einfacher, wenn er, statt geschnittener Hölzer, eine ganze Baumscheibe bekommt. Hat sie eine Rinde, kann er sogar auf die Jahreszeit genau sagen, wann der Baum gefällt wurde: Dann ist sicher, welcher Jahresring der äußerste ist.

Deshalb „sind Archäologen froh, wenn sie Holz finden. In Erdschichten kann man Jahrhunderte sehen, in Baumringen exakte Jahre“, sagt Balanzategui. Nicht nur das: Es lässt sich auch bestimmen, woher das Holz stammt. Denn der hölzerne Fingerabdruck ist in jeder Region der Welt anders.

Die Datenbanken des Labors enthalten Baumringprofile aus Jahrhunderten. In Süddeutschland haben Forschende eine Datenbasis, die über 10.000 Jahre lückenlos in der Zeit zurück reicht. Im Norden ist immerhin die Zeit bis 1500 vor Christus dokumentiert, sagt der Geologe. Sein Problem: Ein großer Teil davon ist in einer Zeit entstanden, als die Forschenden noch keine Computer hatten. In Pappkisten in seinem Büro warten noch hunderte dünne Papierrollen mit Skalen auf Digitalisierung.

Dabei war der Mann, der sie erstellt und gesammelt hatte, schon in den 1980er-Jahren ein Pionier für Baumringsoftware – und für die Entwicklung des Fachs insgesamt. Der Dendrochronologe Dieter Eckstein entwickelte in Hamburg und Lübeck neue Methoden, mit denen sich Klimadaten aus Baumringen lesen lassen, und etablierte das Fach in Nord- und Osteuropa. Wohlgemerkt in einer Zeit, als es den Eisernen Vorhang noch gab. Er bestimmte das Alter der Lübecker Altstadt und der Wikingersiedlung Haithabu. Und er entwickelte Methoden, mit Tropenholz zu arbeiten. Denn dort, wo es keine Jahreszeiten gibt, haben Bäume auch keine Jahresringe wie bei uns.

Der hölzerne Fingerabdruck ist in jeder Region der Welt anders

Zum Beispiel in der Heimat von Daniel Balanzategui. Der junge Australier ist ­„excited“, dass er in Lübeck das Erbe des 2004 pensionierten Dieter ­Eckstein antreten darf – samt einem Teil von dessen Fachbibliothek. Vorher hatte Balanzategui in Berlin und Potsdam zum Beispiel daran geforscht, wie Bäume Mikroplastik aufnehmen. Seit Mai letzten Jahres leitet er nun das neu gegründete Labor in Lübeck. Hier arbeitet er viel praktisch und hat schon etliche Proben für Archäologen untersucht. Er arbeitet eng mit den Historikern zusammen, auf deren Initiative das Labor und seine Stelle überhaupt erst eingerichtet wurde.

Das Institut hat Kooperationen in viele Richtungen. Dass das Labor in einer Halle des Fachbereichs Bauwesen der Technischen Hochschule liegt und mit der Materialprüfanstalt Schleswig-Holstein verbunden ist, bringt ihm viele Vorteile, sagt der Forscher, „denn unser Fach ist interdisziplinär“. Mit der Jugendbauhütte sind außerdem junge Menschen in das Projekt eingebunden, die unter anderem dabei helfen, mit Hohlbohrern Proben aus noch lebenden Bäumen zu nehmen.

Und nur drei, vier Kilometer nördlich des Campus liegt ein großartiges Forschungsfeld: Die Lübecker Altstadt, mehr als hundert Hektar Unesco-Welterbe.