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Erste Regierungskrise

Angela Merkel, gerade zur Kanzlerkandidatin gekürt, bleibt keine Zeit, den Erfolg zu feiern. Die Union streitet über die Steuerpolitik und wartet auf ein Machtwort

VON LUKAS WALLRAFF

Angela Merkel wird Bundeskanzlerin. Es gibt nichts und niemanden, der sie aufhalten könnte. Oder? Noch am Montag sah alles danach aus. So geschlossen und so schnell wie möglich hatte sie die Union auf den Schild gehoben. So geschlossen und so schnell wie noch nie vor einer Wahl waren sich alle Medien und alle Demoskopen einig, dass das Ergebnis eigentlich schon feststeht. Die Hymnen auf die Kanzlerin, Verzeihung, Kanzlerkandidatin der Union nahmen zum Teil geradezu groteske Züge an.

Die früher noch frisurkritische Bild lobte plötzlich ihre „guten Beine“. Selbst die seriöse FAZ schwelgte über Merkels staunenswerte Entwicklung „von der Raupe zum Schmetterling“. Der Stern belegte gar mit Auszügen aus Stasi-Akten: Merkel sei schon immer sehr begehrt gewesen, habe viele Liebhaber gehabt. Wer hätte das gedacht? Angela Merkel – everybody’s darling. Wie nett. Aber was für eine kurze Freude! Schon gestern stand Merkel wieder zwischen allen Fronten. In der eigenen Partei.

Jetzt wird nicht mehr geschwärmt, es wird nach unangenehmen Dingen wie „Mehrwertsteuererhöhung – ja oder nein?“ gefragt. Der munter aufkeimende Streit in der Union darüber hat die am Montag bei Merkels Kandidaturkür erweckte Illusion im Keim erstickt, wonach sich jetzt alle Unionisten „unterhaken“ (Edmund Stoiber). Von wegen. Alle reden wie zu schlimmsten Gesundheits-Zeiten durcheinander. Schon beschwert sich die FDP über „dieses Gegackere in der Union, Mehrwertsteuer rauf oder runter“.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger ist gegen eine Erhöhung, Hessens Regierungschef Roland Koch dagegen sagt: „Die Umfinanzierung von Sozialsystemen mit dem Ziel, die Arbeitskosten zu senken, geht vermutlich nur über die Anhebung der Mehrwertsteuer.“ Quatsch, eine Anhebung wäre vollkommen falsch, ruft der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr empört: „Wir sind doch nicht die Steuererhöhungspartei!“ Das, was man da von der CDU höre, schimpft Rainer Brüderle von der Steuersenkungspartei FDP, sei „kein Beitrag zur Klarheit“, die Merkel doch versprochen habe. Das ist ihr Problem: Alle warten auf ein Machtwort, als wäre sie schon Kanzlerin. Bis zum 11. Juli, an dem Merkel ihr Programm vorstellen möchte, wird sie kaum warten können. Von einer Politikerin, die dem allgemeinen Gefühl nach quasi schon regiert, werden schnelle Antworten verlangt. Die Lobpreisungen, die staunenswerte Selbstverständlichkeit, mit der ihre Kanzlerschaft herbeigeschrieben wird, sind mit einer enormen Erwartungshaltung verbunden: Die Merkel wird’s schon richten. Und das bedeutet eben auch: Ab jetzt muss sie entscheiden. Die bei der Kandidatenkür ins Feld geschlagenen CDU-Ministerpräsidenten Koch und Christian Wulff lehnen sich entspannt zurück und machen deutlich, welcher Druck auf Merkel lastet: „Wir haben nur einen Schuss frei“, sagen Wulff und Koch unisono über das Wahlprogramm der Union und meinen damit: Merkel ist es, die nur einen Schuss frei hat.

Was die Mehrwertsteuer angeht, raten manche in der Union, wie der schlaue CSU-Fuchs Michael Glos, jetzt zu einem klaren Jein. Bloß nicht festlegen. Doch das wird schwierig. Schließlich hat sich Merkel selbst weiter unter Druck gesetzt: „Wir müssen ehrlich sein“, verkündete sie in Bild. Damit ist sie im Dilemma: Einerseits will sie radikale Reformen versprechen. Andererseits weiß jeder, dass die Geld kosten. Viel Geld. Aber Ehrlichkeit, also höhere Steuern anzukündigen, gilt als Gift im Wahlkampf. Die Entscheidung, wie viel Gift sie zu verstreuen wagt, nimmt ihr niemand ab. Merkel spürt schon jetzt die Einsamkeit der Macht, die sie noch gar nicht hat.

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