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Archiv-Artikel

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

BUNDESLIGA Im Nordderby holt der Hamburger SV gegen Hannover 96 ein 1:0 heraus. Mann des Tages ist der bisher selten eingesetzte Heung Min Son. Vordringlich bleibt für die Hamburger der Kampf gegen den Abstieg

Hamburg spielte so, wie es die vielen beim FC Chelsea ausgebildeten Jungs gelernt haben. Kämpfen inklusive

VON ROGER REPPLINGER

So saßen sie lange nicht mehr da: Vor ihren Fans, die im Chor „Scheiß St. Pauli“ brüllen und „Niemals Zweite Liga, niemals, niemals“. Irgendwo auf dem Rasen gesessen haben sie immer irgendwo, auch nach verlorenen Heimspielen, irgendwo auf dem Rasen: Stutzen, Schultern, Köpfe: alles runter. Aber diesmal, nach dem Spiel gegen Hannover 96, hielt die Mannschaft des Hamburger SV den Kopf hoch – und es wurde sogar getanzt.

Vor der Begegnung hatten Fans des HSV – die Aktion begann am Samstagmorgen um neun Uhr – auf alle Sitzplätze Schilder gelegt und an alle Besucher Pappschilder ausgegeben – Aufschrift: „Wir für euch! Ihr für uns! Nur der HSV!“ 60 Fans machten das, auch der verletzte rechte Außenverteidiger Dennis Diekmeier half mit. Als beide Mannschaften auf den Rasen liefen, hielten die Zuschauer dann ihre weißen Pappen hoch – es sah aus, als sei Schnee gefallen im Hamburger Volkspark.

Haben und Nichthaben

Mit 1:0 gewann der HSV gegen Hannover 96, vor 57.000 Zuschauern in der eigenen Arena. Nun haben die Hamburger 34 Punkte, das reicht noch nicht, um nicht abzusteigen. Aber es ist besser, diese drei Punkte zu haben, als sie nicht zu haben. Nach dem Spiel war viel davon die Rede, dass die Mannschaft nun kapiert habe, was sie tun muss, um in der Liga zu bleiben. Trainer Thorsten Fink ist offenbar skeptisch: „Vielleicht haben wir heute gesehen, dass die Mannschaft Abstiegskampf kann“, sagt er. Und machte eine Pause, in der jeder Zuhörer den Satz: „Vielleicht aber auch nicht“, gedacht haben wird. Und fuhr fort, wie zur Bestätigung: „Mal sehen, was nächste Woche ist.“ Der Mann hat seine Lektion gelernt.

Neue Spielweise

Versucht hat es der Hamburger SV gegen Hannover 96 – das 15 Pflichtspiele mehr absolviert hat – mit einer neuen Spielweise: Nicht mehr so viel Ballbesitz, statt über die weit aufgerückten Außenverteidiger den Ball nach vorne zu tragen, wird mit langen Bällen gespielt, nicht blind nach vorne, sondern auf die beweglichen lauffreudigen Stürmer Marcus Berg und Heung Min Son. Trainer Fink setzte darauf, dass die 96-Spieler nach so vielen Partien bei langen Sprints auf dem Zahnfleisch laufen würden statt auf schnellen Beinen. So war es auch.

Auch versuchten es Finks Rothosen mit weiten Flügelwechseln. Alles, was so einen müden Gegner schlaucht. Hamburg spielte diesmal so, wie es die vielen beim FC Chelsea ausgebildeten Jungs, die inzwischen zum Team zählen, in England gelernt haben. Kämpfen inklusive. Damit war das Problem erledigt, dass einer der beiden defensiven Mittelfeldspieler, Tomás Rincón oder David Jarolim, das Spiel machen muss.

Hannover versuchte es seinerseits über Hamburgs rechte Abwehrseite: Mit Jeffrey Bruma, der als gelernter Innen- kein idealer Außenverteidiger ist, hatte 96-Trainer Mirko Slomka dort eine Schwäche ausgemacht. Bruma hielt seine Seite dann aber weitgehend dicht, auch weil ihm der Mittelfeldspieler Ivo Iličević half.

Eines der Probleme des HSV ist ja, neben den vielen Toren, die er schluckt, dass er keines macht. In der zwölften Minute aber bekam Heung Min Son, der in dieser Saison nicht oft von Anfang an spielte, ziemlich weit links draußen den Ball. Er trickste Steven Cherundulo aus, lief dann an der 96-Viererkette entlang nach innen und schoss – durch die Lücke zwischen Christian Schulz und Karim Haggui – ins Tor. Eine ziemlich kleine Lücke, durch die er da traf. Sein viertes Saisontor zum dritten Heimsieg, noch kann man alles an einer Hand abzählen.

Eine halbe Stunde nach dem Spiel lächelt Heung Min Son immer noch: „Ich hab lange nicht gespielt und deshalb auf dem Platz heute richtig Spaß gehabt mit der Mannschaft. Der Trainer hat gesagt, dass ich meine Chance bekommen werde, er hatte immer Vertrauen in mich.“

Die Torchancen, die nach dem 1:0 ungenutzt blieben, auch durch Son, zeigen: Alle Probleme ist der HSV noch nicht los. Vorwerfen, sagte Fink, könne er der Mannschaft „höchstens, dass sie das zweite Tor nicht macht“.

„Weiter hart arbeiten“

Als nächstes müssen die Hamburger nach Nürnberg. „Wir müssen weiter hart arbeiten“, sagte Son. Bruma meinte: „Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen und zufrieden sein. Wir müssen weiter hungrig sein.“ Und Kapitän Heiko Westermann erklärte: „Wir müssen genau mit dieser Leidenschaft weiterspielen – so geht Abstiegskampf!“ Und der Trainer gab sich „gespannt, welches Gesicht meine Mannschaft nächste Woche gegen Nürnberg zeigt“.

Das sagen sie beim Hamburger SV weniger an die anderen gerichtet, das sagen sie sich gegenseitig: Weil da ein Trainer seiner Mannschaft nicht mehr über den Weg traut – und diese sich selbst auch nicht.