: Das große Rad
Die Firma Bard schickt sich an, in der Nordsee den ersten deutschen kommerziellen Windpark zu errichten. Firmeninhaber ist ein Russlanddeutscher, der in der Gasindustrie groß geworden ist und die Branche revolutionieren will
AUS CUXHAVEN GERNOT KNÖDLER
Mit dem Segen eines katholischen Priesters lief im litauischen Klaipeda Ende Juni ein besonderes Schiff vom Stapel. Nur der Taufspruch, das Schiff möge stets eine „Handbreit Wasser“ unter dem Kiel haben, war in diesem Fall nicht ganz passend. Denn die rund 60 Millionen Euro teure „Wind Lift I“ des Emdener Unternehmens Bard ist so groß wie ein halbes Fußballfeld und hat vier 70 Meter lange Beine, mit denen sie sich aus der Nordsee heben kann. Turmhohe Wellen können unter dem flachen Schiff durchrollen. Die „Wind Lift I“ ist weniger ein Schiff als eine bewegliche Arbeitsplattform speziell für den Aufbau von Offshore-Windkraftanlagen – und damit einmalig in Deutschland.
„In unserem System ‚Fundament und Windkraftanlage Offshore‘ ist die ‚Wind Lift I‘ eine Schlüsselkomponente“, sagt Bard-Geschäftsführer Heiko Roß bei der Taufe. Gleich in Serie wollen Roß und Firmengründer Arngolt Bekker Offshore-Windparks, also Windparks auf hoher See, produzieren. Statt sich von Zulieferern, gemieteter Technik und fremder Infrastruktur abhängig zu machen, hat Bard eigene Windkraftanlagen und eine eigene Infrastruktur mit einer Wohnplattform und besonders seegängigen Installations- und Wartungsschiffen entwickelt.
Bis zu 40 Meter Tiefe
Wenn Bekkers Plan aufgeht, wird er sich zum Jahresende rühmen können, den ersten kommerziellen Offshore-Windpark in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) jenseits des Wattenmeeres errichtet zu haben. Zwar gibt es weltweit schon Erfahrungen mit Windparks auf See, doch die Bedingungen in der deutschen AWZ, die 40 bis 100 Kilometer vor der Küste entfernt liegt und in der das Wasser bis zu 40 Meter tief ist, sind ganz besonders schwierig.
Mitte August nahmen dort, genauer: 45 Kilometer nordwestlich von Borkum, drei Windkraftanlagen des Testfelds „Alpha Ventus“ den Probebetrieb auf. Bis Ende des Jahres sollen auf dem Testfeld, das vom Bundesumweltministerium gefördert und von den Energiekonzernen EWE, Eon und Vattenfall betrieben wird, zwölf Windkraftanlagen Strom liefern. „Wir hätten auch gerne die Ergebnisse des Testfelds gehabt“, sagt Bard-Sprecher Andreas Kölling. Bis diese vorliegen, wollte man aber nicht warten.
Firmenchef Arngolt Bekker, Jahrgang 1935, ist es gewohnt, das große Rad zu drehen. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 in die Sowjetunion wird er mit seiner Familie nach Kasachstan deportiert. Als junger Mann kämpft er sich aus dieser Außenseiterposition heraus. Jahrzehntelang arbeitet er im sowjetischen Ministerium für die Gasindustrie. Mit dem Ende der Sowjetunion nutzt er die Gelegenheit, zusammen mit Kollegen ein privates Unternehmen zu gründen: Stroitransgas.
Die Firma wird Hauptauftragnehmer des russischen Monopolisten Gazprom beim Pipelinebau. Zwischen beiden Unternehmen gibt es Überkreuzbeteiligungen, sei es direkt, sei es über Anteilseigner. Hunderte Millionen Dollar fließen angeblich von Gazprom an die Familien des Managements von Stroitransgas.
2001 übernimmt Alexei Miller, ein Gefolgsmann Wladimir Putins, die Führung der Gazprom. Miller soll die Vetternwirtschaft eindämmen und will den Aufsichtsrat mit seinen eigenen Leuten besetzen. Bekker verzichtet auf eine erneute Kandidatur. Im Jahr 2003 verkauft er, offenbar auf Druck, die Anteile von mindestens 20 Prozent, die er und seine Familie an Stroitransgas halten, und wandert nach Deutschland aus. 240 Millionen Euro nimmt er nach Schätzung des Magazins Forbes mit. Kurz zuvor ist er noch am Bau der „Blue Stream“-Pipeline beteiligt, die von Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei führt.
Bekker langweilt sich in Bremen. Also sucht er sich eine Wettbewerbsnische, in der er sein Kapital und seine Kenntnisse gewinnbringend verwerten kann. Öl und Gas sind als Geschäftsfelder in Deutschland längst besetzt, neue Vorkommen kaum zu erwarten. Zudem hätten diese fossilen Energieträger ihre beste Zeit hinter sich, findet Bekker – ganz im Gegensatz zur Windenergie. Durch den Pipelinebau verfügt er über Erfahrungen mit Arbeiten auf See. Mit zehn Mitarbeitern beginnt er, am Bau von Offshore-Windparks zu tüfteln.
Sechs Jahre und einige hundert Millionen Euro Investitionen später hat sein neues Unternehmen Bard Engineering 800 Mitarbeiter, zwei Produktionsstandorte in den Hafenstädten Emden und Cuxhaven und eine Repräsentanz in Bremen.
In Emden werden die Gondeln und Flügel der Windräder gebaut; die Türme kommen aus den Niederlanden. Die mehr als 20 Meter hohen Fundamente werden in einer 250 Meter langen Halle am Cuxhavener Elbufer zusammengeschweißt.
„Tripiles“ heißen bei Bard die Fundamente. Ein Dutzend davon stehen in unterschiedliche Fertigungsstadien in der Cuxhavener Halle. Die Tripiles sind auf eine Serienproduktion ausgelegt: Sie bestehen aus jeweils drei 20 Meter langen Zapfen mit stumpfer Spitze, die ein Stützkreuz miteinander verbindet. „Wir müssen so weit kommen, dass wir pro Woche eine dieser Strukturen vom Hof fahren“, sagt Bard-Sprecher Kölling.
Wie in „Krieg der Welten“
Jeder der drei Ausleger des Stützkreuzes wiegt 72 Tonnen – deutlich mehr als ein Leopard-II-Panzer. Wenn er mit dem Kran bewegt wird, wackelt die Halle. Menschen im Blaumann schweißen hoch oben die Ausleger an einen Basisring. Geduldig legen sie eine meterlange Schweißnaht an die andere. Im Licht der Brenner bieten die Tripiles ein Bild wie aus H. G. Wells’ „Krieg der Welten“.
Zur Vorbereitung auf das Lackieren werden die fertigen Tripiles in der Nachbarhalle mit Stahlgrieß „sandgestrahlt“. Unter lautem Zischen verwandelt sich die Oberflächenfarbe der Dreibeine von Rostrot in Silberbronze. Die abprallenden Stahlkörnchen prickeln noch in 20 Meter Entfernung im Gesicht. Eine Kehrmaschine saugt sich im Sandstrahlnebel durch den Kügelchenteppich auf dem Boden. Anschließend besprühen die Arbeiter die Tripiles mit drei verschiedenfarbigen Schichten. Drei Mann schuften zwei Stunden für eine Lage. Die oberste Schicht ist zitronengelb. Es soll ja kein Schiff dagegenkrachen.
„Wir erwarten, dass die Stützkonstruktionen mehr als 25 Jahre halten“, sagt Kölling. Um Salzwasser, Wind und Wellen zu trotzen, müssen sie besonders sorgfältig verschweißt und lackiert werden. Ein Schiff kann alle paar Jahre ins Dock gebracht und neu gestrichen werden, bei den Tripiles geht das nicht. Außerdem müssen die Elektromotoren, Generatoren, Trafos und Schaltanlagen in den Windkraftanlagen vor der salzhaltigen Luft geschützt werden.
„Full risk“
Zu der Frage, ob der Neuling Bard mit seinem Windpark zurechtkommen wird, wollen sich Leute aus der Branche nicht öffentlich äußern. „Das ist full risk“, sagt ein Insider. Der Versuch wird anerkannt, ansonsten will man sich überraschen lassen.
Bei den deutschen Windparks, die sehr weit draußen stehen, gelten die Kosten und Risiken als besonders groß. Dafür ist allerdings die Förderung auch besonders gut. „Der Offshore-Markt wird wachsen, aber Onshore wird dominant bleiben“, vermutet auch Ditlev Engel, Vorstandschef von Vestas. Auch der dänische Weltmarktführer in der Herstellung von Windrädern hat eine eigene Offshore-Abteilung gegründet und betont zugleich, dass die Technik für Anlagen an Land nicht einfach auf solche auf hoher See übertragen werden kann.
Vor der Halle in Cuxhaven wartet eine Gruppe fertiger Dreifüßler darauf, dass die „Wind Lift I“aus Klaipeda einläuft. Auf Pontons werden sie in das Gebiet Bard Offshore I, rund 100 Kilometer nordwestlich von Borkum geschleppt. Bis dahin wird die „Wind Lift I“ die ersten Dreiergruppen von Rammrohren in den 30 Meter tief liegenden Meeresgrund gerüttelt haben.
Dann wird ein bordeigener Kran die Tripods auf jeweils eine Dreiergruppe stecken. Ein paar Zentimeter Spiel hat der Kran dabei. Bis zu Windstärke sieben und einer Wellenhöhe von knapp fünf Metern soll das klappen, sodass auch auf der rauen Nordsee eine vertretbare Zahl von Arbeitstagen zur Verfügung steht.
Bei Bard gibt man sich zuversichtlich, dass mit diesem System in zwei Tagen ein Windrad aufgebaut werden kann. 80 Anlagen der 5-Megawatt-Klasse sind in Bard Offshore I vorgesehen. Inklusive Vorlauf wird das ganze Vorhaben mehr als eine Milliarde Euro kosten. Für einen zweiten Park gleicher Größe läuft das Genehmigungsverfahren. Weitere sollen folgen – nicht nur in Deutschland.