: Demokratische Alleinherrschaft
Initiative „Mehr Demokratie“ wirft der CDU vor, den Volksentscheid zum Wahlrecht auf kaltem Wege zu unterlaufen. Union dementiert, SPD, GAL und DGB sind skeptisch
Die Aufregung ist groß bei Manfred Brandt. Die CDU wolle „das neue Hamburger Wahlrecht faktisch wieder abschaffen“, glaubt der Sprecher der Initiative „Mehr Demokratie“. In einem „kleinen Zirkel“ der Partei sowie in Teilen der Bürgerschaftsfraktion gebe es Bestrebungen, den Volksentscheid für ein neues Wahlrecht auf kaltem Wege wieder zu demontieren. CDU-Sprecher Michael Ohm dementiert: „Wir wollen das nicht kippen.“ Auch der Unions-Abgeordnete Manfred Jäger, Vorsitzender des Verfassungsausschusses der Bürgerschaft, versichert, das sei „kein Thema in meiner Fraktion“.
Beide räumen allerdings ein, dass Wege für eine „sinnvolle“ Umsetzung des Wahlrechts gesucht werden. Zusammen mit der Bezirksverwaltungsreform, für welche die CDU im Herbst nach den Bundestagswahlen eine Gesetzesvorlage erarbeiten wird, würde auch über Wahlrechtsdetails diskutiert werden. Die Frage der „politischen Grenzen“ nennt Jäger als Beispiel – also die Frage, ob Wahlkreise und künftige Bezirke in Hamburg identisch sein sollten. Am Volksentscheid selbst werde aber nicht gerüttelt, beteuert Jäger: „Der ist geltendes Recht.“
Die Initiative „Mehr Demokratie“ hatte beim Referendum im Juni vorigen Jahres mit ihrem Vorschlag für eine Wahlrechtsreform über den Gegenvorschlag von CDU und SPD triumphiert. Bei der nächsten Bürgerschaftswahl werden die 121 Abgeordneten nicht mehr nur nach den Landeslisten ihrer Parteien gewählt, auf deren Erstellung die BürgerInnen keinen Einfluss haben. Stattdessen werden in 17 Wahlkreisen 71 Direktmandate vergeben, wobei die WählerInnen bis zu fünf Stimmen auf einen oder mehrere KandidatInnen nach Belieben verteilen können. Nur noch 50 Abgeordnete werden über die Liste gewählt.
Gerüchte wollen nun wissen, dass die CDU dieses Mehrstimmenwahlrecht wieder einschränken wolle: Bis zu 50 Wahlkreise mit nur je einem Kandidaten pro Partei und bei Bezirkswahlen sogar wieder das alte Einstimmen-Wahlrecht. Von all dem, beteuert Jäger jedoch, „ist mir nichts bekannt“.
SPD-Parteichef Mathias Petersen hat das „Geraune“ auch vernommen, aber er stellt klar: „Wir machen da nicht mit.“ Sollte die CDU – wie beim LBK-Verkauf – einen Volksentscheid missachten wollen, „dann ohne uns“. Farid Müller, Verfassungsexperte der Grünen, die den Volksentscheid aktiv unterstützt haben, kündigt Gegenwehr an. Wenn CDU und Senat „so einen Putsch“ versuchten, so Müller, „dann machen wir das mit einem neuen Volksentscheid wieder rückgängig“.
Widerstand versprechen auch die Gewerkschaften. Wenn CDU und Senat ihre „Alleinherrschaft im Obrigkeitsstaat“ sichern wollten, so Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm, sei das eine „Missachtung des Volkswillens“.
Sven-Michael Veit