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Archiv-Artikel

Hisbollah soll zivilen Anzug tragen

Im Libanon findet am Sonntag die zweite Runde der Parlamentswahlen statt. Diesmal wird im Süden des Landes gewählt, wo die bewaffnete Schiiten-Organisation stark ist. Nach dem Abzug Israels und Syriens stellt sich nun die Frage ihrer Entwaffnung

AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY

Für Samir Hamdan ist die Hisbollah hauptsächlich eine Frage des Geschäfts. Er führt einen kleinen Devotionalienladen in der meist von Schiiten bewohnten südlichen Vorstadt Beiruts. Darin finden sich allerlei Souvenirs, mit denen die größte politische und militärische Schiiten-Organisation des Libanons glorifiziert wird. Anders als in Israel, den USA und Europa, wo die Hisbollah meist mit dem Prädikat „Terrororganisation“ versehen ist, wird sie hier als erfolgreiche „standhafte Widerstandsorganisation“ in Ehren gehalten, der die Befreiung des Südens von der israelischen Besatzung hoch angerechnet wird. Dieses Image genießt die Hisbollah im ganzen Libanon. In Hamdans Laden wird es mit Märtyrerbändern gepflegt, mit Aufklebern mit dem Kopf des Generalsekretärs der Organisation, Hassan Nasrallah, mit Kassetten, auf denen dessen feurigen Reden zu hören sind, oder mit den gelben Hisbollah-Fahnen. Wer will, kann auch eine komplette schwarze Hisbollah-Uniform erstehen.

Nachdem Hamdan sicherheitshalber über sein Handy im lokalen Hisbollah-Büro nachgefragt hat, ob er mit Journalisten reden darf, legt der 28-Jährige seine Verkaufszahlen offen. Bis zu 30 Nasrallah-Bilder gehen am Tag weg. Und immer, wenn der Generalsekretär eine neue Rede hält, bis zu über 1.000 Kassetten.

Auch die letzte wichtige Rede findet sich bereits im Regal. Ende Mai hatte sich der charismatische Nasrallah mehr als deutlich dazu geäußert, ob die Hisbollah nach dem Rückzug der Israelis und der Syrer nun ihre Waffen abgeben sollte, wie in der von den USA und Frankreich eingebrachten UN-Resolution 1559 indirekt gefordert wird. „Nun hört mir gut zu … wir werden jeden, und ich meine tatsächlich jeden, der den Widerstand entwaffnen will, bis zum Märtyrertod bekämpfen“, lautete sein unmissverständliches Credo. „Und“, fügte Nasrallah unter tosendem Applaus seiner mehreren tausend Zuhörer im Süden des Landes hinzu: „Jede Hand, die uns entwaffnen will, werden wir als eine israelische Hand ansehen, und wir werden sie abscheiden.“ Gleichzeitig ließ er aber durchblicken, dass seine scharfe Worte nur für den Versuch einer gewaltsamen Entwaffnung gelten. Einem Dialog über diese Frage, ließ er durchblicken, stehe er positiv gegenüber.

Die Entwaffnung der Hisbollah dürfte sich zu einem der heißesten politischen Themen im neuen Libanon entwickeln, spätestens dann, wenn das Land in drei Wochen die Parlamentswahlen hinter sich gebracht hat und die Hisbollah erneut einen wichtigen Teil der Abgeordneten stellen wird. „Der Libanon ist in dieser Frage praktisch in der Mitte gespalten“, erklärt der Hisbollah-Experte Nizar Hamzeh, der an der Amerikanischen Universität Beirut Politikwissenschaft lehrt. „Die eine Seite will den bewaffneten Widerstand erhalten, um eine Art Balance des Terrors mit der israelischen Armee beizubehalten, die Israel bei jeder Aktion im Libanon mit einkalkulieren muss.“ Die andere Seite sei zwar der Hisbollah dankbar für ihren Kampf im Südlibanon, argumentiere aber, dass der bewaffnete Widerstand mit dem israelischen Rückzug obsolet geworden sei. Dabei betont Hamzeh, dass dieses Thema nicht entlang konfessioneller Linien diskutiert werde und sich sowohl Schiiten, als auch Sunniten und Christen auf beiden Seiten finden.

Der gestern ermordete Kolumnist der Zeitung An-Nahar, Samir Kassir, gehörte zur zweiten Gruppe. Das Problem mit der Hisbollah sei, dass sie einen Staat im Staate darstelle, sagte Kassir im März. Ohne Besatzung müsse es auch keinen Widerstand mehr geben, argumentierte er. Andere aber sehen in einer weiterhin bewaffneten Guerillatruppe das beste Instrument, eine übermächtige israelische Armee von Libanon-Abenteuern abzuhalten. Eine Rolle, der die reguläre libanesische Arme nicht gewachsen wäre.

Doch die Libanesen bleiben realistisch. „Eine gewaltsame Entwaffnung, sei es durch eine interne oder externe Kraft, ist völlig ausgeschlossen“, glaubt Hamzeh, da dies den Libanon erneut in eine Bürgerkrieg führen würde. Aber, da sind sich Hisbollah-Experte Hamzeh und Hisbollah-Kritiker Kassir durchaus einig, um die Angelegenheit friedlich zu lösen, bedarf es internationaler Garantien. „Die Frage ist nicht, was wir mit dem Widerstand machen sollen, ob wir ihn etwa in die libanesische Armee integrieren sollen. Die Frage ist: Wie kommen wir zu einem Punkt, an dem dieser Widerstand nicht mehr nötig ist?“, meint Hamzeh. Es gehe hier nicht um eine Gruppe mit ein paar tausend Kämpfern, sondern um eine starke politische Kraft. Die Bewaffnung der Hisbollah müsse im weiteren regionalen Kontext gesehen werden. Dabei muss seiner Meinung nach die Möglichkeit einer umfassenden Friedensregelung ins Auge gefasst werden, nicht nur isoliert die Entwaffnung des libanesischen Widerstands.

Bis dahin gibt sich die Hisbollah weiterhin selbstbewusst. Auf einer roten Plakatwand auf dem Weg zum Beiruter Flughafen steht in großen Lettern eine Rechtfertigung der Hisbollah gegen ihre Entwaffnung: „Der Widerstand schützt den libanesischen Staat und der libanesische Staat schützt den Widerstand.“