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Archiv-Artikel

Ist das alles so schön bunt hier

THEATER Wer bei der Schullektüre von Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“ eher einschläft, den will das Theater an der Parkaue wach halten mit einer Musicalversion des Stoffs von norton.commander.productions

Niemand kann bei dieser Produktion sagen, visuell sei es nicht abwechslungsreich

VON KATHARINA GRANZIN

Im Programmheft steht unter anderem das hier: „Jannik sagte am 18. März 2012 um 17.38: ich find die geschichte scheße. ich meine hallooho? ich hab für eine seie mindestens 5 minuten braucht um die zu kapieren“. (Originalrechtschreibung beibehalten.) „Programmheft“ ist eigentlich übertrieben für das in der Mitte gekniffte Blatt, das die Produktion „Kleider machen Leute“ von norton.commander.productions im Theater an der Parkaue begleitet.

Auf der Innenseite steht das Schönste, nämlich Zitate von Jannik und zahlreichen seiner LeidensgenossInnen: SchülerInnen, die sich auf www.inhaltsangabe.de über Freuden und Leiden an ihrer Pflichtlektüre austauschen. „Die hälfte meiner Klasse is beim vorlesen eingeschlafen, und ich übertreib jetzt echt nicht“, erläutert User „xd“ seine Erfahrungen mit der schulischen Lektüre von „Kleider machen Leute“, einer der bekanntesten Novellen von Gottfried Keller, die erstmals 1874 veröffentlicht wurde.

Ach, sie sind zu beneiden, diese jungen Menschen. Diesen tief empfundenen Hass auf alles, was man in der Schule zu lesen gezwungen wird, hat man, wenn man sich mal zurückerinnert, auch gekannt. Nur fehlte damals das Internet zur Triebabfuhr. Außerdem gab es diese innovativen, ästhetisch unerschrockenen Theaterkollektive noch nicht, die heutzutage wie Pilze aus dem Boden sprießen und sich auf die Fahnen schreiben, das Theater zu einem attraktiven Ort für Leute unter achtzehn zu machen. Und – wenn möglich – sogar mit einem Zugewinn an Bildung wieder verlassen.

Erschreckend komplex

Denn die ambitionierte Klassikerpflege blüht. Auch norton.commander.productions, wie das Regieduo Harriet Maria Meining und Peter Meining sich nennt, fällt durchaus in diese Kategorie. Vor lauter offensiver Dekonstruktion kann man im norton.commander-Theater den Klassiker dahinter schon mal vergessen. Aber das gehört ja mit zum Sinn des Ganzen.

Für „Peter und der Wolf“, das sie 2010 im Theater an der Parkaue ganz neu entdeckten, wurden norton.commander mit Lob überhäuft. Musik und Video sind Stilmittel, die zu ihrem Erfolgsrepertoire gehören. Eben damit treten sie jetzt an, Kellers „Kleider machen Leute“ neues Leben einzuhauchen. Diese Novelle ist ja, wie wir dank inhaltsangabe.de wissen, eine sprachlich durchaus erschreckend komplexe Angelegenheit. Sie als Musical neu einzukleiden, kann da nur helfen, Schwellenängste und Hassgefühle abzubauen.

Und es lässt sich auch recht lustig an mit einem Auto, das aus zwei verschiedenen Projektionen besteht, in denen grob gezeichnete Trickfilme ablaufen, einer für die Räder, einer für die Karosserie. In selbige steigt der arme Schneider Strapinski ein, der mit dieser feudalen Mitfahrgelegenheit zum Dorf Goldach gelangt und dort seiner feschen Kleider und des großen Wagens wegen für einen Grafen gehalten werden wird. Und dann eher aus Verlegenheit bei dieser falschen Identität bleibt, unter der er auch das Nettchen heiratet. Nach Irrungen und Wirrungen wird alles gut, und Nettchen und der Schneider werden richtig reich.

So steht es bei Keller, und so passiert es auch im norton-Theater, was auch schon die einzige Gemeinsamkeit beider Varianten ist. Die sprachliche Gestalt der Vorlage hat sich aufgelöst und ist verschwunden zugunsten einer bunten Nummernrevue, die von lediglich zwei heldenhaften DarstellerInnen bestritten wird. In Videoeinspielungen sind zahlreiche weitere Figuren dabei, wundersam kostümiert und teilweise wirklich komisch agierend. Die Realtime-DarstellerInnen agieren mitunter zusammen mit den Videogestalten, ein anderes Mal fungiert das Video als Bühnenbild; und bei manchen Gesangsnummern konzentriert sich alles auf die echten Menschen an der Rampe.

Niemand kann hier sagen, visuell sei es nicht abwechslungsreich. Namosh als Strapinski agiert mit dem optischen Charme des jungen Charlie Chaplin, und Corinna Mühle gibt das Nettchen als leckeres junges Revuegirl. Und doch entsteht kein echter Bühnenzauber. Innerhalb des nummernrevueartigen Aufbaus der Show bleiben die Figuren als Personen total uninteressant - ein Manko, das durch die mittelmäßigen Musiknummern auch nicht aufgehoben wird.

Aber es ist ja immerhin alles sehr schön bunt. Und nach einer Stunde ist das Ganze auch schon wieder vorbei. Was den Verdacht noch verstärkt, dass das Konzept dieser Produktion vielleicht etwas übereifrig auf die junge Zielgruppe zugeschnitten wurde, von der ja immer behauptet wird, sie habe eine so kurze Aufmerksamkeitsspanne.

■ Wieder am 20. (11.30 Uhr) und 23. April (11 + 18 Uhr) im Theater an der Parkaue