DVDESK : Jazz und Jumpsuits
„Das 10. Opfer“. Regie: Elio Petri. Mit Ursula Andress, Marcello Mastroianni u. a. Italien 1965. Ab rund 19 Euro im Handel
Schwer zu sagen, wer blonder ist: Marcello Mastroianni (Rollenname Marcello, mit Kurzhaarfrisur) oder Ursula Andress (drei Jahre nach „Dr. No“). Eines jedoch ist gewiss: Sie wollen einander ans Leder. Sie ist Jägerin, er Opfer in einem Spiel auf Leben und Tod, das für ein spektakelfreudiges Publikum auf der ganzen Welt ausgetragen wird. Ein Computer in Genf, den man auch einmal sieht, wählt die Kämpfer, bei denen der Jäger sein Opfer kennt, das Opfer jedoch nicht seinen Jäger. Die Welt schaut zu, das Finale wird aufwendig inszeniert. Wer bei all dem an die gerade so erfolgreichen „Tribute von Panem“ oder Wolfgang Menges „Millionenspiel“ oder auch „Rollerball“ (vor allem in der Erstfassung von Norman Jewison) denkt, liegt nicht ganz falsch: Auch Elio Petris „Das 10. Opfer“ aus dem Jahr 1965 gehört ins Science-Fiction-Subgenre des Reality-TV-Menschenjagd-Films. Die Vorlage, auf die sich auch Menge bezieht, ist die Kurzgeschichte „Das siebte Opfer“ des sehr versatilen SF-Autors Robert Sheckley.
Eigentlich sind die Film in diesem Subgenre immer sehr gesellschaftskritisch gemeint. Wir nähern uns einer neuen Gladiatorenzivilisation, die Babys zum Frühstück verspeist und gleich darauf ihre überflüssigen Alten ins Heim sperrt. Dazwischen ist fröhliche Jagd als Catch-as-catch-can, alle sind von dieser oder jener Seite gekauft, die Werbung ist der große Entwerter der Werte, weil sie skrupellos das falsche Leben im Falschen beschwört, und so geht es kulturverfallstheoretisch weiter. Einmal blinzelt in „Das 10. Opfer“ im Hintergrund ein großes Auge wie ein Bewegtbildgemälde an der Wand und mahnt vermutlich an Orwells Big Brother. Gestorben wird in Großaufnahme und der Sieger hat noch einen gut bezahlten Werbespruch für die Firma „Tea Ming“ auf den Lippen. Dazu tanzt in weißen Jumpsuits das Film- oder Fernsehballett.
Das Krokodil im Pool
Weil sie durchweg selbst so großen Spaß am Entertainment haben, das sie zu verdammen vorgeben, sind die Filme von dieser Sorte Gesellschaftskritik ohnehin intrinsisch verlogen. „Die Tribute von Panem“ entgehen dem Problem weitgehend durch Verinnerlichung per Zynismusverzicht und Handkamera. Zum Glück sind aber auch in „Das 10. Opfer“ Kritik, Satire und Zukunftsvision nicht das, was den Film dominiert. Was zählt, sind vielmehr die Jumpsuits, sind die aus Steuerknüppeln und Bügeleisen gekreuzten Handtelefone, sind die Jazzimprovisationen auf dem gleißenden Hausdach, sind die George-Seagal-in-schlecht-artigen Environment-Skulpturen in Marcellos Apartment, sind die punktgenau im Jahr 65 zu verortenden Sonnenbrillen und sexy Zukunftskostüme in Pink und anderen grellen Farben. Was zählt, ist die Lust an der Oberfläche, an der auch mal unvermutet ein Baron explodiert; ist der Spaß, mit dem dem Drehbuch immer wieder alles egal ist. An der nächsten Ecke fällt ein Schuss, oder Marcello zelebriert eine Hippiemesse am Strand.
Kurzum: „Das 10. Opfer“ ist vor allem eines: ein angenehm durchgeknalltes Pop-Art-Spektakel, in dem die Inneneinrichtungen delirieren und draußen mit allem zu rechnen ist, Krokodil im Swimmingpool inklusive. Eine wiederum schöne Ausgrabung der „Bildstörung“-Truppe, deren DVDs man längst blind kaufen kann. EKKEHARD KNÖRER