: Silvester Stallone kommt nach Borsa
Unruhe und Hoffnung verbreiten sich in der psychiatrischen Klinik, die versteckt im rumänischen Hinterland liegt. Ein Verein aus dem Westen möchte den Weggesperrten ein Leben in der Gemeinschaft ermöglichen. Ein Anfang ist gemacht
VON BRIGITTE HÜRLIMANN (TEXT) UND PETER DAMMANN (FOTOS)
„Ich denke jeden Tag und jede Nacht an dich. In den Gedanken bist du immer bei mir. Ich schaue in deine Augen. Ich werde dich zum Lachen bringen – warum nur antwortest du nicht auf meine SMS?“ Die Stimme des jungen rumänischen Popstars jault herzerweichend aus den winzigen Lautsprechern, und begeistert singen alle mit. Es ist Diskoabend. Ein paar Dutzend Frauen und Männer jeden Alters hopsen auf der Tanzfläche, die im Wesentlichen aus einer Ecke im kahlen, ungastlichen Essraum besteht, dort, wo kurzerhand ein paar Tische und Stühle zur Seite geschoben worden sind.
Sonst gibt es nichts, was eine Diskoatmosphäre kreieren könnte, keine blinkenden Lichter, keine Kerzen, keine Dekoration – nur gerade diese freie Ecke, nackte Wände, einen schmutzigen, feuchten Steinboden, einen kleinen CD- Spieler und einen Pförtner, der seinen freien Abend opfert, um im Essraum als DJ aufzutreten.
Die Stimmung aber ist überbordend. Schon den ganzen Tag lang haben sich die Patientinnen und Patienten der Psychiatrischen Anstalt in Borsa auf diese Stunden gefreut – immer wieder darüber gesprochen: wer wohl alles kommen wird, was man anziehen soll. Denisa tanzt ausgelassen und kokett, ihre beste Freundin Cristina hingegen drückt sich verschämt auf einen Stuhl am Rande der Tanzfläche, den Kopf gesenkt, sie muss ihre Scheu erst noch überwinden. Die freche Monica dominiert mit ihren Kapriolen und ihren beiden Verehrern von Anfang an die Szene, Ion hat seine Tochter Diana zum Tanz aufgefordert, die heute zu Besuch kam, und sogar einige der Pflegerinnen und Pfleger, die Nachtschicht schieben, mischen sich unter die Patienten und wagen ein Tänzchen.
Normalerweise meiden Angestellte und Besucher jeglichen Körperkontakt mit den Verrückten, aus Angst vor den Flöhen und Krätzemilben, die sich in der Anstalt ungehindert verbreiten können, in den dreckigen Matratzen und zerfetzten Kleidern stecken, gut sichtbar auf den Körpern der Patienten herumspazieren. Die hygienischen Bedingungen hier, im ehemaligen Landschlösschen mitten in Transsilvanien sind – gelinde gesagt – katastrophal. Und das ist nur eines von vielen gravierenden Problemen in dieser rumänischen Anstalt für psychisch erkrankte Erwachsene und andere Außenseiter der Gesellschaft. Die Klinik wurde 1957 gegründet und ist seither Abstellplatz für Menschen, die nirgendwo mehr unterkommen.
Der Umgang mit Psychiatriepatienten ist auch im heutigen Rumänien, das unbedingt und so schnell wie möglich EU-Mitglied werden möchte, immer noch katastrophal und skandalös. Nach Jahrzehnten unter dem Joch eines totalitären Regimes hat es der Staat bis heute nicht gelernt, gegenüber seinen schwächsten Bürgern die nötige Verantwortung und Rücksichtnahme walten zu lassen. Die Klinik im Dörfchen Borsa, eine von vielen ähnlichen Anstalten, ist ein Schandfleck für Rumänien; das sagen auch einheimische Ärzte, Professorinnen, Behördenmitarbeiter, Politiker oder Journalistinnen. Wer einmal als unheilbar psychisch krank eingestuft wurde, als notorischer, vielleicht aggressiver Alkoholiker oder einfach betagt und pflegebedürftig ist und von der Familie nicht betreut wird, der landet in einer Klinik: abgeschoben und vergessen, weit weg von jeglicher städtischen Infrastruktur, abgelegen und gut versteckt, denn kein Wegweiser und kein Schild weist darauf hin, dass in diesen Gemäuern, inmitten lieblichster transsilvanischer Landschaft, 220 erwachsene Patienten unter menschenunwürdigen Umständen vor sich hin vegetieren.
Die Chance, dass sie die Klinik lebendigen Leibes wieder verlassen können, ist äußerst gering; auch für die 24-jährige Denisa, die gleichaltrige Monica und die 30-jährige Cristina. Sterben ist hier Alltag und Normalität – Borsa bedeutet Endstation. Nur wenige Stunden vor dem Diskoabend sind zwei Patienten beerdigt worden: sie hießen Stefan und Alexandru, der eine wurde 72 Jahre alt, der andere 56. Vor ihrem Tode lagen sie zwei Monate lang regungslos auf ihren Matratzen, wurden nicht gewendet und aßen kaum mehr. Sie verfaulten richtiggehend in ihren Betten. Kaum jemand regt sich darüber auf. Der Tod ist allgegenwärtig in der Klinik von Borsa. Und dennoch wird hier auffallend oft von Liebe gesprochen.
Obwohl es Winter ist und draußen klirrend kalt, tragen die Diskobesucher zum Teil bloß zerschlissene Nachthemden oder Morgenröcke, tanzen mit nackten Füßen in kaputten Schuhen oder Pantoffeln – einige sind gar barfuß. Ihre wenigen Habseligkeiten bewahren die Patienten unter der Matratze auf oder gleich am eigenen Leibe, denn es gibt kaum Schränke oder Kästchen, wo das bescheidene Eigentum aufbewahrt werden könnte. In den hoffnungslos überfüllten, stickigen und manchmal unerträglich stinkenden Sälen des ehemaligen Schlosses steht Bett an Bett, in einigen schlafen zwei gemeinsam, auf einer schmalen, dreckigen Matratze.
Monica und ihre beiden Verehrer Sergiu und Petre haben sich für den Diskoabend so hübsch wie nur möglich angezogen, geschminkt und maskiert. Bei allen dreien wurde Schizophrenie diagnostiziert, sie leben noch nicht lange in der Klinik und halten zusammen wie Pech und Schwefel. Falls sie nicht gerade eingesperrt sind, gehen sie Arm in Arm durchs Klinikgelände, küssen abwechselnd Monica und dürfen sogar gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen, obwohl sonst streng zwischen der Frauenschicht und der Männerschicht unterschieden wird. (Auf den Glockenschlag hin strömen die Frauen in den Essraum, schlingen lustlos und so schnell wie möglich die unappetitliche Pampe hinunter, stehen auf und machen den Männern Platz, die bereits draußen auf dem Vorhof warten.)
Am Tag nach dem Diskoabend werden Monica und Petre allerdings keine Mahlzeiten in der Klinik einnehmen. Die beiden haben sich mitten im Tanzgeschehen zusammen mit ihrem Freund Sergiu davongeschlichen, sind ins angrenzende Wäldchen hinaufgestiegen und haben sich dort trotz der Kälte der Liebe hingegeben. Monica und Petre beschlossen daraufhin, nicht mehr in die verhasste Klinik zurückzukehren. Sie rannten weg, mitten in der Nacht, machten sich auf den Weg zu ihren Eltern, die in Cluj wohnen, gut vierzig Kilometer von der Anstalt entfernt. Sergiu hingegen kehrte nach dem Liebesabenteuer brav in sein Zimmer zurück; er erwartete am nächsten Tag den Besuch seiner Mutter und hoffte, sie werde ihn wieder zu sich nehmen.
Die Mutter kam tatsächlich, ließ den Sohn aber in der Klinik zurück. Einen Tag später brachte die örtliche Polizei auch die beiden Ausreißer wieder nach Borsa. Das Liebespaar hatte es bis zu den Eltern geschafft, zu Fuß, per Anhalter und mit der Eisenbahn, doch Monicas Mutter alarmierte die Klinik und die Polizei, und Letztere spedierte das Pärchen zurück in die Klinik. Dort wurden Monica und Petre zur Strafe in Isolierräume gesteckt und mit Medikamenten ruhig gestellt.
Monica musste das Loch und ihr Schicksal mit drei anderen Frauen teilen. Als Toilette dient im Isolierraum für Frauen ein Blecheimer, der in der Mitte des Zimmers steht. Der Isolierraum für Männer ist wesentlich größer und wurde erst kürzlich von Angestellten freiwillig renoviert; dort gibt es auch Toiletten, die sich allerdings in einem nicht ganz appetitlichen Zustand befinden. Die geschlossene Abteilung für Männer gehört heute zu den hübschesten Räumen der ganzen Anstalt, weshalb die Patienten darum betteln, dort leben zu dürfen, und sie nehmen dafür sogar in Kauf, eingeschlossen zu werden.
Weggesperrt von ihrem Liebsten, lässt Monica durch einen Postillon d’Amour eine Botschaft in den Isolierraum für Männer schicken: „Petre, ich vermisse dich, wie geht es dir? Versuche, nicht an andere Frauen zu denken! Deine Frau Monica“.
Ganz uneigennützig haben die Angestellten den Isolierraum für Männer nicht renoviert und bemalt. Seit einem guten Jahr herrscht nämlich ein neuer Wind in der Anstalt von Borsa, ist Hoffnung und gleichzeitig auch große Unruhe entstanden. Vor einem Jahr hat der Ravensburger Chefarzt und Psychiatrieprofessor Paul-Otto Schmidt-Michel auf einer Rumänienreise zufällig die Klinik im Landschloss entdeckt und war von den dortigen Zuständen derart schockiert, dass er seither Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um den Patientinnen und Patienten das Leben zu erleichtern.
Borsa gleicht einer Schattenwelt aus einem längst vergangen geglaubten Zeitalter der Psychiatrie“, sagt Schmidt-Michel. Mithilfe eines deutschen Vereins für Rumänienprojekte versucht der Psychiatrieprofessor, möglichst viele Menschen aus dem Schloss zu evakuieren, sie in anderen, geeigneteren Kliniken unterzubringen und mit den übrigen Patienten in Borsa eine Art landwirtschaftliche Kolonie zu gründen.
Sein Vorhaben hat im Dorf und in der Klinik helle Panik ausgelöst. Die Anstalt ist der wichtigste Arbeitgeber der Gegend, fast alle Angestellten kommen aus Borsa und Umgebung – die wenigsten von ihnen bringen eine geeignete Ausbildung mit. Sie wurden in einer Schnellbleiche in die Belange der Psychiatrie eingeführt, verdienen einen Lohn, mit dem sie kaum überleben können, haben jedoch keine Alternative und sind dementsprechend schlecht motiviert. Doch besser eine ungeliebte, schlecht bezahlte Arbeit mit fraglichem sozialem Prestige haben als gar keine.
Auch die Dorfautoritäten, vom Pfarrer, Bürgermeister, Polizisten bis hin zu den Ladenbesitzern, betonen die Bedeutung der Klinik für die Gemeinde. Waren es früher, vor der Machtübernahme durch die Kommunisten, die adligen Schlossbesitzer, der ungarische Clan der Banffys, die den armen Bauern im Dorf Arbeit und ein kärgliches Einkommen verschafften, so hat heute die Klinik diese Funktion übernommen. „Zuerst müssen wir die Mentalität der Menschen ändern, und zwar der Angestellten und der Bevölkerung überhaupt“, sagt die junge rumänischungarische Ärztin Elisabeta Turos, die seit sieben Jahren in Borsa arbeitet. „Erst wenn die Leute lernen, anders, respektvoll und verantwortungsbewusst mit Psychiatriepatienten umzugehen, sind nachhaltige Verbesserungen möglich. Es muss ein Umdenken stattfinden. Doch das ist ein langer Prozess.“
Elisabeta Turos wird am Diskoabend von einem Patienten nach dem anderen zum Tanz aufgefordert. Sie kennt keine Berührungsängste, liebt ihre Patientinnen und Patienten, unterstützt die Pläne der deutschen Helfer nach Kräften – als eine der wenigen der Klinikangestellten –, obwohl auch sie um ihren Arbeitsplatz fürchten muss, falls die meisten der Patienten tatsächlich ausgelagert werden. Elisabeta Turos wohnt in Cluj, muss täglich vierzig Kilometer weit nach Borsa fahren, bei Regen, Schnee und Eis, über holprige, ungeteerte Straßen – ein Abenteuer. Wenn zu viel Schnee liegt, bleibt die Klinik abgeschnitten und unerreichbar.
Fast jeden Morgen wartet Cristina vorn an der Pforte auf das Eintreffen der jungen Ärztin. Am Abend in der Disko hat sie sich endlich zum Tanzen überreden lassen und schmiegt sich nun schüchtern an ihre Tanzpartnerin. Wie die meisten der Patienten sehnt sich Cristina nach Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit und Körperkontakt. Sie gilt als oligophren und schizophren, lebt seit zehn Jahren in der Klinik und ist glücklich darüber, in Denisa eine neue Freundin gefunden zu haben. Anfänglich schlief Denisa bei Cristina in dem schmalen Bett, bis eine Schlafstelle frei wurde, im gleichen Zimmer. Noch vor einem Jahr hoffte die 30-jährige Cristina auf eine Rettung durch Silvester Stallone. Sie hatte in einer alten Fernsehzeitschrift, die ihr in die Hände geraten war, sein Bild gesehen und sich sofort in den Filmstar verliebt. Sie schrieb ihm einen Brief: „Stallone, ich liebe dich sehr. Ich will, dass du schnell hierher kommst und mich mit nach Miami nimmst. Ich warte an der Pforte auf dich. Liebe, liebe Grüße von Cristina“.
Silvester Stallone ist bis heute nicht in Borsa eingetroffen. Dafür hat Cristina eine verletzte Taube gefunden und sie bis zu deren Tod gepflegt, sie dann im Wäldchen vergraben – dort, wo Monica ihre Verehrer bei klirrender Kälte geliebt hat. Seit die Taube tot ist, kümmert sich Cristina um den Kater von Mariana, die im Raum nebenan lebt, im schönsten und saubersten aller Frauenräume. Bobby war den Pflegern zunächst ein Dorn im Auge, doch auf Intervention der Ärztin hin durfte er schließlich bleiben – zur großen Freude der meisten Patientinnen.
Bobby ist der einzige Freund und Lichtblick im Leben der 52-jährigen Mariana. Die gelernte Krankenschwester spricht mit niemandem in der Klinik, verachtet die Patienten wie die Angestellten, empfindet alle als grob, ungebildet, vulgär und zieht sich, wenn immer möglich, mit einem Buch ins Bett zurück, obwohl keinerlei Privatsphäre möglich ist und in allen Zimmern ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Mariana ist eine gepflegte, auffallende Erscheinung. Sie wäscht täglich ihre Kleider im kalten Wasser, schminkt und frisiert sich sorgfältig. Eine Fotografie aus ihrer Jugendzeit zeigt eine hinreißend schöne Frau.
Mariana weigert sich, zusammen mit den anderen Patientinnen im öden Essraum ihre Mahlzeiten einzunehmen und darf ihren Futternapf mit ins Zimmer nehmen. Auch sie soll an Schizophrenie leiden und lebt seit sechs Jahren in der Klinik. Mariana denkt nicht im Traum daran, an der Diskoveranstaltung teilzunehmen. Auf einem kalten, schmutzigen Steinboden herumzuhüpfen, das entspricht nicht ihrem Niveau. Wie die meisten der Patientinnen und Patienten hat sie noch nie Besuch erhalten, seit sie in Borsa eingeliefert wurde.
Zwei Tage nach ihrer missglückten Flucht sitzt Monica mit knallrot geschminkten Lippen auf dem Bett der Isolierzelle. Sie steckt sich eine Zigarette nach der anderen an und schreibt sich die Seele aus dem Leib: „Draußen vor dem Fenster ist Freiheit. Außerhalb meiner Seele ist Freiheit. In meiner Seele ist Schmerz. Ich sage: Gott, nimm den Schmerz von meinem Herzen. Ich warte auf die Liebe. Liebe ist Freiheit.“ Im Essraum, in dem auch die Disko stattgefunden hat, wird Monica am darauf folgenden Sonntag zusammen mit ihren beiden Verehrern an einer Messe teilnehmen, die Stefan Moldovan, der orthodoxe Pfarrer des Dorfes, regelmäßig für die Patienten hält. Die beiden Ausreißer dürfen für den Gottesdienst die Isolierzellen verlassen und sitzen, gemeinsam mit Sergiu, Arm in Arm in der vordersten Reihe, hören dem Pfarrer andächtig zu.
Moldovan ist in vollem Ornat erschienen, zusammen mit zwei Helfern. Er hat in derselben Ecke, in der am Donnerstagabend euphorisch zu rumänischer Pop- und Folkloremusik getanzt wurde, ein provisorisches Altärchen aufgebaut. Weihrauch erfüllt den Saal und verdrängt für wenige Minuten den modrigen, miefigen Krankenhausgestank. Immer mehr Menschen strömen in den Essraum, auch viele Angestellte; ernst stehen sie da, bekreuzigen sich ständig und nehmen nach der kurzen Predigt aus den Händen Moldovans geweihtes Brot entgegen.
Zappelt ein Patient herum oder kann er seinen Mund nicht halten, so erntet er einen strengen Blick des Pfarrers und strafende Worte der Angestellten und übrigen Patienten. Die meisten aber stehen ruhig und konzentriert da. Die Messe ist eine der wenigen willkommenen Abwechslungen im ansonsten öden Klinikalltag. Seit die Deutschenin die Anstalt kommen, kontinuierlich materielle Hilfe, Know-how und vor allem Aufmunterung bringen, gibt es ein klein bisschen Beschäftigung, ein Malatelier und eine Handarbeitsstube, und nur dank der Hilfe können die 220 Männer und Frauen auch regelmäßig warm duschen.
Die Anwesenheit der deutschen Helfer hat den orthodoxen Pfarrer dazu bewogen, sich regelmäßig in der Klinik zu zeigen. Wie alle anderen Dorfbewohner hatte auch er bis dahin gar keine Lust verspürt, das ehemalige Landschloss mit seinen heutigen, verwahrlosten Bewohnern aufzusuchen. Und wollen die Patienten ihrerseits ein paar Schritte im Dorf spazieren gehen oder in einem Laden die so dringend benötigten Zigaretten kaufen, brauchen sie dafür eine schriftliche Bewilligung der Klinikleitung – so hat es die örtliche Polizei befohlen.
Seit das Schloss zur Irrenanstalt geworden sei, sagt auch der 86-jährige Dorfbewohner Teodor Lungu, habe er keinen Schritt mehr dorthin getan. Lungu war früher Schäfer der ungarischen Baronenfamilie Banffy, der ehemaligen Besitzer und Feudalherrscher über die Ortschaft. Vor allem an die Baronin, die zuletzt als allein stehende, ältere, verwitwete und kinderlose Frau in Borsa lebte, kann sich Lungu noch bestens erinnern. Er schwärmt von der früheren Blumenpracht im Park, von den noblen Empfängen im Schloss, von der Mildtätigkeit der Baronin. Weil er sich mit den Schlossgärtnern gut verstand, konnte der junge Schäfer ab und zu eine Blume aus dem Park stibitzen und sie einer Dame seines Herzens schenken, meist zusammen mit einem Liebesgedicht.
Blumen stiehlt der betagte, verwitwete Bauer heute keine mehr, von der Liebe vermag er aber noch immer zu schwärmen. Keine Frau verlässt seine niedrige Stube, ohne ein Liebeslied oder ein Liebesgedicht verehrt zu bekommen: „Ich würde dir jetzt gerne eine Strophe widmen, denn du bist schön wie eine Blume. Aber deine quälende Schönheit lässt sich nicht mit Worten auffangen, nicht auf tausenden von Seiten beschreiben. Mit den besten Wünschen für die vielen kommenden Jahre mit viel Gesundheit und viel Glück in der Burg der Liebe.“
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Hortensia Banffy von den kommunistischen Machthabern Rumäniens mit Schimpf und Schande vom Schloss gejagt. Die alten Leute im Dorf erzählen heute noch von ihren letzten Worten, vom Fluch der Baronin: „Aus diesem Schloss soll eine Irrenanstalt werden!“, soll sie gerufen haben, bevor sie für immer aus Borsa verschwand.
BRIGITTE HÜRLIMANN, Jahrgang 63, ist Juristin und Journalistin und lebt in Zürich. Sie besucht Borsa regelmäßig, auch um entstandene Freundschaften mit Patienten, Angestellten und Dorfbewohnern zu pflegen PETER DAMMANN, Jahrgang 50, lebt in Bern und Hamburg. Seine Fotos sind von seinen Erfahrungen als Sozialarbeiter geprägt, oft dokumentieren sie die Arbeit von NGO-Projekten. Er arbeitet für die Agentur Focus