Gesellschaft: Die Bündnisse werden immer breiter
Vorigen Samstag zogen in Stuttgart mehr als 10.000 Menschen auf den Marktplatz, um „die rechte Welle zu brechen“ – so das Motto dieser Demo. Bundesweit waren allein am vergangenen Wochenende mehr als 50 Demonstrationen gegen Rechtsextremismus angemeldet.

Von unserer Redaktion↓
Rechtsextreme, die meinen, ihnen nicht genehme Menschen aus dem Land werfen zu können, mobilisieren die Fantasie. Ob ältere, mittelalte, junge, sehr junge Menschen, ob politisch Aktive oder Neumotivierte – bei den Demos gegen rechts fühlen sich viele animiert, selbst gebastelte Schilder mitzubringen und zu zeigen, wie breit der Protest gegen die AfD ist. „Menopausierende“, „Künstler“, mittlerweile auch „Opas“ und nicht ausschließlich „Omas“, „Yuppies“, „Singles“ – sie alle malen „gegen rechts“, „für Demokratie“, „für Vielfalt“. Am liebsten alle sollen dabei sein, und so lautet ein derzeit gängiger Demo-Slogan: „Ganz Stuttgart/Frankfurt/Dresden/Hamburg/München hasst die AfD!“. Das stimmt zwar leider nicht, sonst hätte die Partei nicht so gute Umfragewerte, aber es stärkt diejenigen, die sich wehren nach der Correctiv-Recherche zum Potsdamer Treffen, in dem Rechtsextreme mit CDU-Politikern und Unternehmern darüber schwadronierten, Menschen zu deportieren. Nach Auswertungen der taz demonstrierten seit dem 12. Januar bundesweit zwischen 3,7 und 4,9 Millionen Menschen bei 1.264 Versammlungen gegen die AfD und für die Demokratie.
Die Bündnisse, die die Demos organisieren, sind unterschiedlich, die jüngste Großdemo in Stuttgart wurde von einem breiten Zusammenschluss unterstützt. So standen ohne merkbares Murren Organisationen wie die Mieterinitiativen, IG Metall, Jusos, Naturfreunde, Umsonst und Draußen zusammen mit Antifa-Gruppen. Das ist bemerkenswert, gilt es doch sonst unüberbrückbare politische Differenzen auszublenden. Doch die Befürchtungen, die AfD könnte im Juni bei Europa- und diversen Kommunalwahlen sowie im Herbst bei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg noch mehr zulegen bis hin zur Regierungsverantwortung, ist mittlerweile so groß, dass immer mehr Menschen und Organisationen bereit sind, für Aktionen den kleinsten gemeinsamen Nenner – nämlich pro Demokratie – zu akzeptieren.
Auch in der Wirtschaftwachsen die Sorgen
Selbst in der Wirtschaft ist es so weit. Am vorigen Montag unterzeichneten Südwestmetall und IG Metall Baden-Württemberg eine Erklärung. „Wirtschaft für Demokratie“ ist sie überschrieben und betont unter anderem, wie wichtig Weltoffenheit für exportorientierte Unternehmen ist und dass die Vielfalt unter den Beschäftigten auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor für erfolgreiches Wirtschaften ist. „Wir sehen nicht dabei zu, wie die Kultur des Miteinanders untergraben wird, sondern stellen uns entschlossen gegen jede Form von Rassismus, religiöser Diskriminierung und insbesondere Antisemitismus“, heißt es.

Geadelt wurde die Unterzeichnung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). Der hatte maßgeblich dafür gesorgt, dass der Bundesverband der Arbeitgeber und der Deutsche Gewerkschaftsbund Ende Januar in Berlin die Bellevue-Erklärung unterzeichneten, in der sie sich zum Grundgesetz und zur Einheit Europas bekennen. Steinmeier hatte dazu aufgerufen, diesem Beispiel zu folgen – Südwestmetall und IG Metall BW folgten ziemlich schnell. Im großen Saal von Südwestmetall erklärte der Bundespräsident, dass die Erklärung für Demokratie und gegen Extremismus auch eine Selbstverpflichtung der Unternehmen sei. Er lobte das „starke Zeichen“, das auch der ökonomischen Vernunft geschuldet sei. Denn wer wie die AfD den Austritt aus der EU fordere, vernichte Wohlstand. „Und was passiert, wenn Fachleute aus dem Ausland sich nicht mehr nach Deutschland trauen?“ Rund 500 geladene Gäste applaudierten den Reden von VW- und Porsche-Vorstand Oliver Blume, Mercedes-Chef Ola Källenius, Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die in Varianten den Erklärungswortlaut wiederholten. Von Arbeitgeber:innenseite nutzte Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller als Einzige die Chance, vor den versammelten Zuschauer:innen – darunter auch Landtags- und Bundestagsabgeordnete – anzudeuten, warum aus ihrer Sicht die AfD Zulauf hat. Sie sprach von einer „aus dem Ruder gelaufenen Bürokratie“ gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Die Folge: „Auch im Mittelstand wendet man sich zunehmend von ‚denen da oben‘ ab.“ Das sei nicht nur im Osten so, auch hierzulande fühlten sich Bauern, Gastwirte, Kleinunternehmer zunehmend nicht berücksichtigt von den Regierenden. „Die politischen Effekte werden erheblich sein“, warnte die Unternehmerin.

Barbara Resch, die neue Bezirksleiterin der IG Metall BW, betonte, „betriebliche Mitbestimmung ist ein wesentlicher Baustein für gelebte Demokratie“ und befand, der Geist des nunmehr geschlossenen Bündnisses solle durch eine Demokratiezeit in die Betriebe getragen werden. Gemeint ist damit eine bezahlte Stunde pro Woche, in der politisch diskutiert werden kann. Ob die Anregung aufgegriffen wird, bleibt abzuwarten. Möglichst schnell wollen die Sozialpartner konkrete Projekte und Aktionen pro Demokratie auf den Weg bringen. Bei aller gefeierten Einigkeit – der maßgebliche Unterschied zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen wurde nicht vergessen. „Zur Tarifrunde im Herbst streiten wir wieder“, kündigte SWM-Hauptgeschäftsführer Oliver Barta an.
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